Kolumne

Er oben, sie unten: Die Verteidigung der Missionarsstellung

Die Missionarsstellung hat einen prüden und vorgestrigen Anstrich. Das wird dem Klassiker unter den Sex-Positionen nicht gerecht. Denn die Oben-unten-Stellung ist nach wie vor begehrt.

Birgit Schmid
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Zwischen der Studentin Anastasia (Dakota Johnson) und dem Milliardär Christian Grey (Jamie Dorman) kommt es in «Fifty Shades of Grey» zu einem regelrechten Stellungskampf. Mit der Realität hat das wenig zu tun. (Bild: Imago)

Zwischen der Studentin Anastasia (Dakota Johnson) und dem Milliardär Christian Grey (Jamie Dorman) kommt es in «Fifty Shades of Grey» zu einem regelrechten Stellungskampf. Mit der Realität hat das wenig zu tun. (Bild: Imago)

Die Missionarsstellung gilt als die langweiligste Position, wenn sich zwei Menschen, die sich nahe sind, noch näher kommen. Von all den verschiedenen Stellungen im Bett und ausserhalb liegt sie am anderen Ende jener Skala, auf der die Lotusblume ganz oben steht. Manche nennen die Missionarsstellung auch die Strickjacke unter den Sexpositionen, weil sie so bequem ist. Immerhin: Die Urposition des Sex ermöglicht denselben bis ins hohe Alter.

Es gibt Umfragen dazu, wie oft sie unten und er oben und sie oben und er unten liegt, wie oft sich Paare stehend, kniend, kauernd oder als Zahl verschlungen vereinigen. Wenig überraschend: Die Missionarsstellung gehört immer noch zu den beliebtesten Positionen. Jeder Dritte zieht sie vor, wie diverse internationale Befragungen zeigen.

Doch nun scheint die Vorrangstellung der klassischen Stellung bedroht. Das jedenfalls stellen Kritiker des Zeitgeists fest. Und verteidigen die Missionarsstellung.

Falsche Bilder durch Pornografie

Zum Beispiel die Autorin Marilyn Simon im australischen Online-Magazin «Quillette», mit ihrem Essay «A Modest Defence of the Missionary Position». Dass der lange, unbescheidene Beitrag auf dieser Internetplattform erscheint, verwundert nicht: «Quillette» kämpft für die Freiheit des Denkens im akademischen Mainstream, für die ketzerische intellektuelle Debatte. In den Augen der Autorin, einer Literaturwissenschafterin, ist es die sexuell permissive Liebeskultur unserer Tage, die die Missionarsstellung antiquiert erscheinen lässt.

Das Internet-Dating führt zu flüchtigen Sexbegegnungen, die allgegenwärtige Pornografie gibt jungen Leuten falsche Bilder vor, so dass sie im Bett bloss noch performen wollen – dies auf alle möglichen Arten. Ausser eben der guten, alten Missionarsstellung, in der man sich in die Augen schaut und eine tiefe Verbundenheit spüren kann, die nachklingt und die erotische Anziehung im besten Fall dauerhaft verlängert.

Nun fragt man sich zuerst, vor was für Angreifern die Missionarsstellung denn geschützt werden muss, wenn sie weiterhin so viele praktizieren. Sie sehen das Schöne an ihr: die Nähe und Sinnlichkeit, da sich die Haut grossflächig berührt. Dass Hände und Mund frei sind, um Dinge zu tun und zu sagen, die das Begehren steigern. Zur Missionarsstellung muss einen niemand bekehren.

Dass die Missionarsstellung aber den Ruf hat, gewöhnlich und phantasielos zu sein, hat auch mit der Wortherkunft zu tun. Die Sexposition der christlichen Missionare wurde der Legende nach von «wilden» Völkern als eintönig verspottet. Deshalb erntet man mit ihrer Verteidigung heute keinen Applaus.

Es braucht Mut zu Hingabe

Aus progressiver Sicht ist es immer einfach, eine andere Meinung als vorgestrig zu bezeichnen und zynisch darauf zu antworten. Das erlebt auch Marilyn Simon mit ihrer Verteidigung alter Werte, etwa von linksliberalen Medien. Ohne mit ihr in jedem Punkt einig zu sein, verdient ihr Essay deshalb noch einen Gedanken. Es stimmt, wenn sie sagt, dass das unverbindliche Paarungsverhalten zwangsläufig zu Frustration und Lieblosigkeit führe. Erfüllende sexuelle Beziehungen sind so nicht möglich. Das gilt besonders für Frauen, und hier nutzt die Autorin nun die Symbolik der Missionarsstellung für ihre Argumentation, von Oben und Unten, Dominanz und Unterwerfung.

Man muss sich einlassen, um sich auszuliefern. Es braucht Mut zur Hingabe, sich selber zu vergessen und in die Hände eines anderen zu begeben, wie es schon Simone de Beauvoir gesagt hat. Eine Frau, die ihre Freiheit liebt, setzt diese in dem Moment, in dem sie sich unterwirft, aufs Spiel. Die Missionarsstellung verspricht guten Sex bei grösstmöglicher Nähe.

Und nun Rollenwechsel.

NZZ-Redaktorin Birgit Schmid schreibt in ihrer Kolumne «In jeder Beziehung» wöchentlich über Zwischenmenschliches.