Das Stichwort: Was Penicillin mit einem Schwänzchen zu tun hat. Und warum «pencil» eigentlich ein obszönes Wort ist

Vor neunzig Jahren hat Alexander Fleming eine Entdeckung gemacht, die die Welt veränderte: das Penicillin. Dabei spielten Schimmelpilze eine Rolle. Vor allem einer, der auch für den Namen des Wirkstoffs verantwortlich ist.

Klaus Bartels
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Zugegeben, appetitlich sieht es nicht gerade aus, und auf der Konfitüre hätten wir diese Gesellschaft nicht gern. Aber die pinselförmigen Sporenträger der Gattung Penicillium haben der Menschheit schon viel Leid erspart. (Bild: PD)

Zugegeben, appetitlich sieht es nicht gerade aus, und auf der Konfitüre hätten wir diese Gesellschaft nicht gern. Aber die pinselförmigen Sporenträger der Gattung Penicillium haben der Menschheit schon viel Leid erspart. (Bild: PD)

In einem Brief an seinen vertrauten Freund Paetus äussert sich Cicero ausführlich über den Gebrauch «obszöner» Wörter. Zu dem lateinischen penis merkt er an, die «Alten» hätten unter dem Wort in seiner ursprünglichen eigentlichen Bedeutung noch jede cauda, jeden «Schwanz», verstanden; daher rühre ja noch die Verkleinerungsform penicillus, «Schwänzchen», für den «nach der Ähnlichkeit» – sagen wir: mit einem Pferdeschwanz – so bezeichneten «Pinsel». Erst durch den neueren, übertragenen Gebrauch sei das allzu oft das Obszöne verhüllende Wort schliesslich selbst zu einem obszönen Wort geworden.

Zwischen einem Pferdeschwanz und einem Pinsel liegen Grössenordnungen und in der Sprache die zwei Diminutive peniculus und penicillus. Wie der penis in der einen, so leben die Verkleinerungsformen in der anderen übertragenen Bedeutung fort: im Italienischen als pennello, im Französischen als pinceau, im Englischen – mit einem Sprung vom Malen zum Schreiben – als pencil, bei uns über ein mittelhochdeutsches pensel eben als «Pinsel». Aber dass hier nicht manches durcheinanderpurzelt: Hinter dem englischen pen steckt eine lateinische penna, «Feder», und das Schimpfwort «Pinsel» war ursprünglich auf einen knauserigen Schuster gemünzt, bis die Studenten des 18. Jahrhunderts es auf die unstudierten «Einfaltspinsel» ummünzten – dahinter steckt eine «Pinne», ein hölzerner Schuhnagel . . .

Vom Pferdeschwanz zum Helikon

Der erste Bedeutungssprung vom Pferdeschwanz zum Pinsel hat bald weitere und höhere nach sich gezogen. Wieder in einem Brief, diesmal an seinen Bruder Quintus, der damals, im Sommer 54 v. Chr., bei Cäsar im Gallischen Krieg Dienst tat, gebraucht Cicero den penicillus als Bild für den besonderen Malstil, wie wir ja bis heute den stilus, den «Stift», als Bild für den besonderen Schreibstil verwenden. Darin verheisst Cicero seinem Bruder und dem grossen Imperator ein farbenreich rühmendes «Poem» zu der kühnen Britannien-Expedition dieses Jahres: «Schildere mir Britannien, dass ich es malen kann: mit deinen Farben, meinem Pinsel – meo penicillo.» Da steht dieses «Schwänzchen» für den Pinsel, dieser wieder für die Malkunst, diese wieder für die Verskunst: ein dreifacher Metaphernsprung vom Pferdeschwanz zum Helikon hinauf.

Später bezeichnet dieser penicillus auch überhaupt die «Malerei»; aber das sind vereinzelte Höhenflüge geblieben. Die neuzeitliche Wortgeschichte führt von derlei Höhen und Weiten zu den niedersten Stufen des Lebens hinab. Im frühen 18. Jahrhundert hat Carl von Linné einer Gattung von Schlauchpilzen wegen ihrer pinselförmigen Sporenträger, also wiederum «wegen der Ähnlichkeit», die systematische Bezeichnung Penicillium, zu Deutsch «Pinselschimmel», verliehen. Zu der artenreichen Gattung gehören so edle Arten wie das Penicillium camembertii und das Penicillium roquefortii, aber auch weniger geschätzte, die zum Schrecken der Hausfrau Bauernbrot und Sonntagszopf, Zwetschgenmus und Kirschkompott grünlich-bläulich überziehen.

Camembert und Roquefort

Vor just neunzig Jahren, im Herbst 1928, entdeckte der englische Bakteriologe Sir Alexander Fleming, dass Schimmelpilze dieser Gattung krankheitserregende Bakterien abzutöten oder doch ihre Vermehrung zu hemmen vermögen. Es war eine Zufallsentdeckung, deren Bedeutung zunächst nicht erkannt wurde; erst Jahre später gelang es in den USA, aus dem Penicillium notatum ein erstes heilkräftig wirksames Antibiotikum zu gewinnen. Aber dieser Zufallsfund bescherte der Menschheit, wie Fleming später einmal sagte, «an enormous gratification», dem Entdecker im Jahre 1945 einen späten Nobelpreis und dem alten penicillus einen unverhofften neuen Höhenflug. Von Pinsel und pencil zu griechischer Malerei und Ciceros Verskunst, von den Pinselschimmeln zu Camembert und Roquefort und schliesslich zu dem lebensrettenden Penicillin: Wer denkt da noch an irgendwelche Schwänze?