Innovation und Kundenliebe :
Warum SAP wie Apple werden will

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Branche in Bewegung: SAP zeigt Flagge auf der Cebit in Hannover
Der Softwareriese aus Deutschland kämpft um die Vorherrschaft im Markt für Vertriebssoftware. Effizienz alleine reicht nicht, Kunden sollen die Produkte lieben. Ohne Show geht das nicht.

Für eine Regatta in Italien hat Hasso Plattner 40 Sensoren in sein Segelboot einbauen lassen. Um Daten aufzuzeichnen, Daten über die Geschwindigkeit, den Wind, das Ruder und wann welche Segel gesetzt wurden. Und er hat die Fahrt auch noch von einem professionellen Drohnenflieger filmen lassen. In 4k-Qualität, schwärmt Plattner. Unglaublich, was man mit solchen Bildern und Daten noch Neues über das Segeln erfahre, einer Disziplin, die er nun wirklich kennt.

Der Mitbegründer des Softwarekonzerns SAP erzählt diese Anekdote auf der Kundenmesse Sapphire im amerikanischen Orlando. Und sollte tatsächlich jemand geglaubt haben, der 74 Jahre alte Unternehmer und Mäzen werde ruhiger, der wurde dort abermals eines Besseren belehrt. Dass sich ein Aufsichtsratschef zur Strategie und Zukunft äußert, schon das ist ungewöhnlich. Plattner ist aber nicht nur der letzte verbliebene Gründer im Unternehmen, er ist auch noch immer dessen Motor.

Unumstrittener Weltmarktführer

Gemeinsam mit seinem Vorstandschef, dem amerikanischen Vertriebsprofi Bill Mc Dermott, greift der deutsche IT-Vordenker nun abermals an. Es geht um einen der letzten Märkte, auf denen der Weltmarktführer für Unternehmenssoftware aus Deutschland noch Nachholbedarf hat: Programme zur Vertriebssteuerung, im Fachjargon Customer Relations Management, kurz CRM, einer der am schnellsten wachsenden Softwaremärkte überhaupt.

SAP ist unumstrittener Weltmarktführer für sogenannte ERP-Programme, also Software zur Überwachung und Steuerung von Unternehmen samt Materialwirtschaft, Personalwesen und Buchhaltung. Die Programme der Walldorfer laufen auf Rechnern von 380 000 Unternehmenskunden auf der ganzen Welt. Im CRM-Geschäft hat allerdings Salesforce die Nase vorn. Der Konkurrent aus dem amerikanischen San Francisco hat sich früh spezialisiert und als einer der ersten verstanden, dass Vertriebssteuerung nur mit der Verfügbarkeit aller Daten in der Cloud funktioniert, und so die Marktführerschaft errungen. Salesforce liegt mit einem Marktanteil von fast 19 Prozent vorn, SAP als Nummer zwei kommt nicht einmal auf die Hälfte.

Mehr als nur eine Messe

Der CRM-Markt ist wachstumsstark und schon heute größer als der klassische Markt für Unternehmenssteuerung. Er gilt zudem als Schlüssel für künftigen Erfolg, denn wer den Vertrieb steuert, überwacht auch das Allerheiligste eines Unternehmens: die Kunden. Durch die massenhafte Verarbeitung von Daten bieten sich dort Möglichkeiten, die vor Jahren noch undenkbar schienen. Um die Schwäche auszuwetzen, hat SAP nach Plattners Worten in den vergangenen neun Monaten ein wahrhaft „großes Projekt“ gestartet: 4500 der 26 000 Softwareentwickler seien damit beschäftigt gewesen, die bestehenden Programme zu bündeln, die von zugekauften Unternehmen einzubinden und das ganze Paket fit zu machen für die Anwendungen in der Cloud. Herausgekommen ist „C4 Hana“, ein Bündel aus Software und Services, mit dem SAP jetzt angreifen will. Klar habe SAP das Ziel, auch in diesem Markt Erster zu werden. Salesforce werde verlieren, dem Unternehmen fehle der Zugang zu Unternehmensdaten, sagt Mc Dermott. Weniger Optimismus kann er nicht.

Die Kundenmesse des Konzerns ist schon lange mehr als nur eine Zusammenkunft interessierter Anwender und Entwickler. Der dort zur Schau getragene Optimismus, die Superlativen und Lobhudeleien, der Auflauf von Show- und Sportgrößen wie Jon Bon Jovi oder Lindsey Vonn, erinnern nur noch am Rande an ein Branchentreffen. In der IT-Industrie, wo es darum geht, eine möglichst große Community zu schaffen, also eine möglichst große Schar von Anwendern und Entwicklern auf die eigenen Produkte einzuschwören, gehören solche Veranstaltungen mittlerweile zum Geschäft – in Perfektion zelebriert vom verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs. Und genau dorthin will auch SAP. Der Konzern hat verstanden, dass die Funktion nicht mehr alles ist, es geht darum, Endkunden zu begeistern. Sie sollen SAP lieben. Mc Dermott versprach, die beste „user experience“ zu liefern, also den Kunden die Anwendung so leicht und elegant wie möglich zu machen, ihnen ein gutes Gefühl zu geben. SAP-Anwendungen galten lange als leistungsstark, zugleich aber nüchtern und komplex.

Schon zwei mal Rückstand aufgeholt

Apple ist ein Vorbild, daraus macht auch Plattner keinen Hehl. Zumal die Mischung aus Innovation und Kundenliebe sich in harter Währung niederschlägt. Apple schickt sich gerade an, als erstes Unternehmen der Welt eine Börsenkapitalisierung von einer Billion Dollar zu erreichen. Zum Vergleich: SAP als Europas Vorzeige-IT-Konzern und zugleich das am höchsten bewertete Unternehmen Deutschlands kommt aktuell auf „nur“ 120 Milliarden Euro.

Unter Plattners lenkender Hand hat der Konzern schon zwei Mal einen Rückstand aufgeholt: erst den Anschluss ans Internet gefunden, dann den in die Cloud. Jetzt also sollen die Endkunden umgarnt werden. Gerade in der schnelllebigen Technologie zählen die Erfolge in der Vergangenheit wenig. Die SAP-Granden sind sich dessen bewusst: Plattner nannte Nokia und Motorola als mahnende Beispiele, Mc Dermott erwähnte später den einst hoch gelobten Softwarekonzern Siebel, der am Ende vom SAP-Konkurrenten Oracle geschluckt wurde.

Gehen die Planungen auf, dann werden sich die Investitionen in die neuen Softwarelösungen bei SAP in rasantem Wachstum niederschlagen. Die Erlöse mit Software und Dienstleistungen in der Cloud werden nach den Worten von Finanzvorstand Luca Mucic bis 2020 im Durchschnitt um 30 Prozent im Jahr wachsen: von heute 3,8 Milliarden auf bis zu 8,5 Milliarden Euro. Die Konzernerlöse sollen auf 28 bis 29 Milliarden Euro klettern.

Mit Daten Fußballweltmeister geworden

Die Investitionsoffensive drückt allerdings auch die Margen. Von der Rentabilität im Softwaregeschäft können andere Branchen zwar nur träumen, der Fall der operativen Marge von SAP unter die 30-Prozent-Marke stieß aber auch manchen Softwareanalysten sauer auf. Nach Mucics Worten soll die Marge dieses Jahr wieder steigen und in zwei Jahren 30,7 Prozent erreichen.

Nicht jede Grundsatzfrage fand in Orlando eine Antwort. Was etwa passieren würde, wenn Donald Trump SAP als einzigen europäischen unter amerikanischen Softwareanbietern ins Visier nehmen würden, schließlich hat der Konzern Zugriff auf eine Flut von Unternehmensdaten, wurde nicht öffentlich diskutiert. McDermott sagte lediglich, SAP glaube an offene Unternehmen und glaube an den freien Handel. Dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und Maschinenlernen stark macht, hält SAP-Gründer Plattner zwar für richtig. Dass Deutschland dabei aber weniger Daten als die Amerikaner zulassen will, sei falsch.

Plattner erinnerte an die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien, wo die deutsche Mannschaft bekanntlich Weltmeister wurde, und zwar mit Datenanalysen von SAP. Ob sich die Unterstützung in Russland abermals auszahlen werde, sei allerdings offen. Wie gesagt, der Erfolg in der Vergangenheit bietet keine Garantie für den Erfolg in der Zukunft. Diese Lektion hat die Softwareindustrie gelernt.