Forscher machen Gasturbinen fit für die Energiezukunft

Mit dem Klimaschutz und dem Umbau des Energiesystems verändern sich die Anforderungen an Gaskraftwerke. Wissenschafter rüsten die Turbinen darum für neue Brennstoffe und den Stopp-and-go-Betrieb.

Ralph Diermann
Drucken

Gaskraftwerke gelten als Sicherheitsnetz einer Stromversorgung, die sich mehr und mehr auf wetterabhängige Windräder und Photovoltaikanlagen verlässt: Sie stehen verlässlich bereit, wenn kein Wind weht, die Sonne nicht scheint und die Speicher erschöpft sind. Zwar spielt Erdgas im Strommix der Schweiz bis anhin praktisch keine Rolle, doch über den Bau von Gaskraftwerken wird durchaus diskutiert. Man will den Bedarf an Stromimporten im Winterhalbjahr reduzieren.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Gersteinwerk steht in Werne, Nordrhein-Westfalen. (Bild:RWE)

Das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Gersteinwerk steht in Werne, Nordrhein-Westfalen. (Bild:RWE)

Ob die neuen Kraftwerke dann aber tatsächlich noch allein mit Methan, dem Hauptbestandteil von Erdgas, betrieben werden? Das ist fraglich, denn der CO2-Ausstoss soll ja drastisch verringert werden – und die Verbrennung von Methan produziert nun einmal CO2. Viele Versorger haben daher Wasserstoff als Brennstoff im Visier. Der ist emissionsfrei, wenn er per Elektrolyse mit Strom aus regenerativen Quellen erzeugt wird. Dem Methan beigemischt, macht der Wasserstoff die Gaskraftwerke klimafreundlicher.

Turbinen für Wasserstoff

Allerdings vertrage die heute gängige Kraftwerkstechnik in der Regel nur äusserst geringe Wasserstoffanteile, erklärt Peter Jansohn, Leiter des Bereichs Energy System Integration am Paul-Scherrer-Institut in Villigen. «Anders als Methan ist Wasserstoff ein hochreaktiver Brennstoff, er verbrennt sehr schnell.» Ein höherer Wasserstoffanteil im Brenngas stelle daher neue Anforderungen an die Konstruktion und die Materialien der Turbinen.

Mit seinem Team entwickelt Jansohn derzeit eine kleine Gasturbine, die auf Wasserstoff ausgelegt ist. Sie soll einmal Wohnquartiere oder Immobilien wie Hotels mit Energie versorgen. Alle grossen Turbinenhersteller arbeiteten derzeit daran, ihre Produkte für den grünen Brennstoff zu rüsten, so Jansohn. «Ich gehe davon aus, dass wir in fünf bis zehn Jahren Turbinen auf dem Markt sehen werden, die ausschliesslich mit Wasserstoff zurechtkommen werden», sagt der Wissenschafter.

Variierende Leistung

Der Einsatz von Wasserstoff ist nur eine der Herausforderungen, vor denen die Turbinenbauer heute stehen. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ändert sich die Betriebsweise der Gaskraftwerke: Liefen sie früher viele Stunden am Stück mit voller Leistung, um den Basisbedarf an Strom, die sogenannte Bandenergie, zu decken, so werden sie in Zukunft vor allem dann gebraucht, wenn Windräder und Photovoltaikanlagen schwächeln. Sie bekommen die Aufgabe, die Lücke zwischen der – häufig schwankenden – Ökostromerzeugung und der Nachfrage zu füllen. Daher werden sie künftig oftmals mit verminderter, zugleich jedoch variierender Leistung laufen müssen.

Für eine solche Fahrweise ist die heutige Turbinentechnik jedoch nicht entwickelt worden. «Dabei entstehen Schwingungen, die die Bauteile mechanisch belasten», erklärt Reinhard Mönig, Direktor des Instituts für Antriebstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die Materialien könnten ermüden, so dass Schäden an der Anlage drohen. Forschungsinstitute und Hersteller beschäftigen sich derzeit damit, die lokalen Beanspruchungen bei solchen Betriebsweisen sowie mögliche Gegenmassnahmen zu simulieren. Abhilfe könnten zum Beispiel der Einsatz einer aktiven Dämpfung oder eine die Spannung reduzierende Veränderung der Konstruktionsweise schaffen, sagt Mönig.

Darüber hinaus müssen Gasturbinen künftig öfter herauf- und heruntergefahren werden, um die fluktuierenden Erträge der Windräder und Solarsysteme auszugleichen: Bei viel Wind und Sonne gehen sie in den Stand-by-Modus, bei Flaute und dicken Wolken springen sie wieder an. Die zunehmende Zahl von Start-und-Stopp-Vorgängen tut ihnen jedoch nicht gut. Ein häufiges An- und Abfahren der Turbinen mindere ihre Lebensdauer, sagt Mönig, denn die derzeit installierte Anlagentechnik sei nicht auf eine solche Betriebsweise ausgelegt. Der permanente Wechsel zwischen dem halbwarmen Ruhezustand und dem Betrieb bei sehr hohen Temperaturen sorgt für Stress, der die Komponenten vorzeitig altern lässt.

Materialien und Kühlung

Ein Ansatzpunkt zur Lösung dieses Problems liegt darin, für besonders beanspruchte Bauteile robustere Materialien zu verwenden. Die Forschung arbeite derzeit an neuen Werkstoffen, die resistenter gegen thermische und auch mechanische Belastungen seien, erklärt Damian Vogt, Direktor des Instituts für thermische Strömungsmaschinen und Maschinenlaboratoriums der Universität Stuttgart. Auch durch eine andere Gestaltung der Bauteile könnten die Belastungen reduziert werden.

Ein weiterer Hebel ist die Kühlung. Bereits heute müssen Turbinenschaufeln gekühlt werden, da das durchströmende Gas mit Temperaturen von bis zu 1700 Grad so heiss ist, dass das Metall, aus dem sie gefertigt sind, sonst schmelzen würde. Das geschieht mithilfe von Luft, die durch die Anlage in die Schaufeln geleitet wird und dort durch kleine Löcher austritt. «Die Luft legt sich als Kühlfilm auf die besonders belasteten Stellen und schützt sie so vor dem heissen Gasstrom», erläutert Vogt. Mithilfe von neuen Verfahren wie der additiven Fertigung, also dem 3-D-Druck, ist es möglich, den Bauteilen komplexe Geometrien zu geben, die die Kühlluft noch genauer dorthin lenken, wo sie tatsächlich gebraucht wird. Das wirke sich nicht nur positiv auf die Lebensdauer der Anlage aus, sondern auch auf ihren Wirkungsgrad, so Vogt.

Allerdings gibt es in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und Grossbritannien bereits bestehende Gasturbinen, die auf einen möglichst gleichmässigen Betrieb mit voller Leistung und einer geringen Zahl von Start-und-Stopp-Zyklen ausgelegt sind. Was ist mit denen – fallen sie aus als Korrektiv zu den Windrädern und den Photovoltaikanlagen? Nicht unbedingt, meint Vogt. Technisch sei bei der Nachrüstung alter Anlagen viel möglich. Eine von mehreren Optionen sei der Einbau neuer Turbinenschaufeln. «Letztlich ist das vor allem eine Frage der Wirtschaftlichkeit», sagt der Stuttgarter Forscher.