Trumps Muslim-Bann hat den Lebenstraum einer Iranerin zerstört

Als Sedigheh Rouzafzoun auf dem Weg in die USA war, wollte sie im Konsulat in Deutschland noch ihr Visum abholen. Donald Trumps Einreiseverbot hat ihr Leben auf den Kopf gestellt.

Akiko Lachenmann, Stuttgart
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Binnen Minuten erledigten sich sieben Jahre Papierkrieg: Die Iranerin Sedigheh Rouzafzoun steckt in Deutschland fest. (Bild: Max Kovalenko)

Binnen Minuten erledigten sich sieben Jahre Papierkrieg: Die Iranerin Sedigheh Rouzafzoun steckt in Deutschland fest. (Bild: Max Kovalenko)

Vor dem amerikanischen Konsulat in Frankfurt läuft eine Frau weinend auf und ab. Sie kann den Ort, an dem ihr lang gehegter Traum binnen Minuten zerstört wurde, nicht einfach so verlassen. Eine Mitarbeiterin, die vor dem Gebäude raucht, fragt, ob sie ihr irgendwie helfen könne. Ein irrationaler Funken Hoffnung steigt in ihr auf, doch schon nach den ersten Sätzen winkt die Mitarbeiterin seufzend ab: «Oh Schätzchen, hast du heute keine Nachrichten gehört?»

Jahre für die Dokumentenbeschaffung

Dieser Moment, den die Iranerin Sedigheh Rouzafzoun im Rückblick schildert, ereignete sich am Montag, dem 25. September 2017. Wenige Stunden zuvor hatte der amerikanische Präsident Donald Trump neue Einreisebeschränkungen verkündet, die dritte Version der Executive Order 13 769, die Bürgern aus mehrheitlich muslimischen Staaten die Einreise in die USA verbietet – bekannt auch als «Muslimban». Da Trump diesen Befehl damit begründet hatte, «islamische Terroristen» fernzuhalten, verstösst er nach Meinung vieler Juristen gegen Grundprinzipien der Verfassung wie dem Diskriminierungsverbot. Die dritte Version sollte wasserdicht sein. «Wir lassen nicht solche ins Land, die wir nicht zuverlässig überprüfen können», schrieb Trump nach der Verkündigung auf Twitter. Ob er damit durchkommt, entscheidet das Oberste Gericht in den Vereinigten Staaten. Eine Entscheidung wird im Juni erwartet.

Sedigheh Rouzafzoun ist eine attraktive, selbstbewusste Frau. Gerne hätte sie sich «zuverlässig» überprüfen lassen, erzählt die 32-jährige Iranerin bei einer Tasse Schwarztee in der Wohnung eines Bekannten in Stuttgart. Sie war auf alle Eventualitäten vorbereitet. Das Visum wäre das letzte Dokument in einem ganzen Ordner voll Unterlagen gewesen, die sie für ein Studium in den USA gesammelt hat. Sieben Jahre waren vergangen, bis sie alles zusammenhatte, darunter medizinische Gutachten, Impfbescheinigungen, zwei Sprachtests, Empfehlungsschreiben von Professoren und das wichtigste Schreiben: die Zusage der renommierten University of California Santa Barbara für einen Studienplatz im Masterprogramm «Technology Management». Sie nahm dann den weiten Flug nach Deutschland in Kauf, weil in näher gelegenen amerikanischen Botschaften keine Zeitfenster für einen Visumsantrag vor Studienbeginn mehr geöffnet waren. Doch der Konsulatsmitarbeiter in Frankfurt warf nicht einmal einen Blick in den Ordner. Binnen Minuten erledigten sich sieben Jahre Papierkrieg, Sprachstudium sowie Tausende von Dollars, die sie investiert hatte. Wie gross müssen ihre Ausdauer und ihr Fernweh gewesen sein? Sie winkt ab: «Ich wollte nur ein Leben in Freiheit, wie viele Frauen in Iran», sagt sie.

Der Kummer der Eltern

Sedigheh Rouzafzoun stammt aus Yazd, einer der ältesten Städte des Landes. Ihr Vater hat sich vom Bäcker zum Grossunternehmer hochgearbeitet und seinen Kindern stets eingebläut, dass Erfolg harte Arbeit bedeutet. Sie war das achte von neun Kindern, das jüngste Mädchen, und eckte von klein auf an: Sie sträubte sich, den Religionsunterricht zu besuchen. Sie missachtete die Kleidervorschriften für Schülerinnen. Sie beschwerte sich bei Rektoren über das Unterrichtsniveau einzelner Lehrer. «Ich musste sehr häufig die Schule wechseln», erinnert sie sich schmunzelnd. Dabei war sie eine ausgezeichnete Schülerin. An der Universität engagierte sie sich in Studentenparlamenten und gründete Radiosender, in denen sie ihre Meinung zu Gesellschaftsthemen kundtat. Zum Kummer ihrer Eltern. «Sie wollten mich auf ein angepasstes Leben in Iran vorbereiten.»

Ihrem Vater zuliebe studierte sie an einer renommierten Universität bei Teheran und schloss 2009 mit einem Bachelor of Science in Informatik, Technologie und Ingenieurwesen ab. Es war ein Jahr der Unruhen: Nach der Präsidentschaftswahl wurde dem alten und neuen Amtsinhaber Mahmud Ahmadinejad Wahlbetrug vorgeworfen. Die Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen. «Ich habe viele Kommilitonen in diesem Jahr das letzte Mal gesehen», erzählt Sedigheh Rouzafzoun. Schon damals rieten ihr Freunde, ins Ausland zu gehen, aber sie wollte bleiben. «Ich wollte etwas für den Fortschritt meines Landes tun.»

Sie bewarb sich gegen den Willen des Vaters in der Entwicklungsabteilung einer Regierungsbank in Teheran. «Er befürchtete, dass ich in der Hauptstadt zu vielen liberalen Einflüssen ausgesetzt bin.» Er bot ihr sogar eine Art Gehalt an, wenn sie nur nach Hause zöge. Sie lehnte ab. Erst als die Bank ihr die Stelle gab, konnte sie sich ein eigenes Zimmer leisten.

Neben der Arbeit schrieb sie wissenschaftliche Beiträge zum Thema E-Commerce, die in internationalen Zeitschriften erschienen. Einen durfte sie 2010 auf einem Kongress in Malaysia vor Wissenschaftern aus aller Welt vortragen. «Zum ersten Mal spürte ich, wie es sich anfühlt, frei zu sein», erinnert sie sich. Eine Professorin aus den USA ermutigte sie, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen – idealerweise in den USA. So begann der Traum.

Keine Besserung in Sicht

Immer abends nach der Arbeit paukte sie Englisch. Die amerikanischen Hochschulen verlangen zwei anspruchsvolle Sprachtests – von ihrem Ergebnis hängt auch ab, ob die teuren Studiengebühren erlassen werden. Vier Mal machte sie den gefürchteten GRE-Test, um eine möglichst hohe Punktzahl zu erreichen. Jedes Mal blätterte sie 200 Dollar Gebühren hin und flog zu Testcentern in der Türkei oder in Dubai. Sie veröffentlichte ausserdem Studien, um ihre Chancen zu erhöhen. Ihre Beharrlichkeit wurde belohnt: Nach rund 30 Bewerbungen – für jede wurde eine Gebühr zwischen 50 und 100 Dollar verlangt – erhielt sie eine Zusage von der University of California Santa Barbara. Sie lernte bereits online ihre künftigen Kommilitonen kennen. Auch nahm sie an Web-Einführungskursen teil, die sie auf ein Leben in den USA einstimmten. Der Traum schien zum Greifen nah. Bis zum 25. September des vergangenen Jahres.

Sedigheh Rouzafzoun wusste von Trumps Einreisedekret. Als die Universität sie fragte, welche Folgen das für ihre Einreise haben könnte, gab sie sich optimistisch. Es werde schon klappen, hiess es. Dass die Hoffnung enttäuscht wurde, lag nach Vermutung von Morgan Hangartner auch am unglücklich gewählten Datum. «Die Botschaftsmitarbeiter haben zwar Ermessensspielräume», sagt der Jurist und Experte für amerikanisches Visumrecht. Aber den Ton gebe Washington vor. Seit Trumps «harter Linie», die er im vergangenen Jahr bekräftigt hatte, dürften die Beamten nun besonders darauf bedacht sein, Sicherheitsrisiken zu minimieren – und bei Zweifeln Anträge relativ zügig abzulehnen. Die jüngste Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, das Iran-Atomabkommen zu verlassen, dürfte die Praxis weiter verschärft haben. Das amerikanische Konsulat nimmt zu Fragen zur Visavergabepraxis nicht Stellung.

Keine Unterstützung aus Deutschland

Noch am selben Tag, an besagtem 25. September, entschied Sedigheh Rouzafzoun, in Deutschland zu bleiben. «Es wäre zu deprimierend gewesen, an den Punkt zurückzukehren, wo ich vor sieben Jahren war.» Auch einen weiteren Versuch zu unternehmen, in die USA einzureisen, konnte sie sich nicht vorstellen. «Ich wollte einfach nur noch ankommen», sagt sie rückblickend. Ein ehemaliger Kommilitone, der in Stuttgart lebt und für die IT-Branche arbeitet, nahm sie bei sich auf.

Nun ist Sedigheh Rouzafzoun seit einem Semester am Karlsruher Institut für Technologie immatrikuliert. Aber die Hochschule verlangt für den englischsprachigen Studiengang hohe Gebühren, die sie auf Dauer nicht zahlen kann. Sie hat bereits an die 40 Einrichtungen um finanzielle Unterstützung gebeten, von der Heinrich-Böll- bis zur Ikea-Stiftung. Doch bisher nur Absagen, sie erfülle «die formalen Kriterien» nicht. Sie sei zu alt, kein Flüchtling, habe zu wenig Deutschkenntnisse, sei keine EU-Bürgerin, zu kurz in Deutschland, brauche einen Bürgen und so weiter. Auch alle Bemühungen, Arbeit zu finden, scheiterten mangels Deutschkenntnissen. Vieles wäre leichter, hätte sie einen Flüchtlingsstatus. Ein Gedanke, dem Sedigheh Rouzafzoun nicht folgen mag. «Es gibt sicher einen Grund dafür, warum ich nach all den Strapazen nun hier in Deutschland bin.»