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"Anne Will" "So schlimm war es noch nie": Antisemitismus-Debatte spaltet TV-Runde

TV Kritik Anne Will: "Verliert Deutschland den Kampf gegen Antisemitismus?"
"Verliert Deutschland den Kampf gegen Antisemitismus?", fragte Anne Will u. a. "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt (l.) und Unions-Politiker Volker Kauder (r.)
© NDR/Wolfgang Borrs
Nach Übergriffen auf Kippa-Träger und der umstrittenen Echo-Verleihung diskutiert auch Anne Will über den Antisemitismus. Wie er zu bekämpfen ist, darüber herrscht Uneinigkeit.
Von Jan Zier

Wäre er ein Jude, sagt der Lehrer aus Berlin-Neukölln, dann würde er sich an dieser Schule keine Kippa aufsetzen. 90 Prozent seiner SchülerInnen haben einen Migrationshintergrund, und meist auch einen muslimischen. Mit den Geflüchteten sei auch eine "andere Form von Antisemitismus" ins Land gekommen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst in einem Fernseh-Interview. Dabei, auch das sagt sie, kommt hierzulande schon seit langem kein jüdischer Kindergarten und keine Synagoge ohne Polizeischutz aus.

"Verliert Deutschland den Kampf gegen Antisemitismus?", fragt Anne Will

"So schlimm, wie im Augenblick, war es noch nie", antwortet "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt. "Die Heftigkeit hat zugenommen", sagt Ahmad Mansour, ein Psychologe, der als Araber in Israel geboren wurde, früher selbst antisemitisch gedacht hat und inzwischen seit langem in der Extremismusprävention aktiv ist. "Ich wundere mich, das man sich wundert", sagt hingegen der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein - "das Problem ist nicht neu". Doch nach den Übergriffen auf Kippa tragende Männer in Berlin sieht auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, "eine neue Qualität des Antisemitismus". Er hätte sich einen solchen Vorfall vor zehn Jahren nicht vorstellen können, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk. Und so wie Schuster warnt auch der Lehrer aus Neukölln vor dem Wiederauftauchen von antisemitischen Stereotypen wie der "jüdischen Weltverschwörung". Dabei würden wir die meisten der SchülerInnen ja gar keine Juden kennen – wobei: genau das ist ja das Problem. Sie kennen ja auch oft keine Homosexuellen und benutzen "schwul" als Schimpfwort.

Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fordert nun eine "Berichtspflicht" über antisemitische Vorfälle an Schulen, um den Überblick "zu schärfen" über das, was passiere. Es gehe nicht nur um Einzelfälle, sagt er immer wieder, und verweist auch auf den Antisemitismus-Beauftragten, den es bald im Bundesinnenministerium geben wird - ein Posten, den ein gelernter Diplomat besetzen wird. Und natürlich, das sagte schon Angela Merkel, "müsse mit aller Härte und Entschlossenheit vorgegangen" werden gegen antisemitische Vorfälle wie die in Berlin. Kauder sagt: "Wer Hass verbreitet, kann auch ausgewiesen werden." Ob das helfen wird? Shimon Stein hat da Zweifel: "Das ist kein Auftrag, der mit Rechtsstaatlichkeit und Antisemitismus-Beauftragten zu lösen ist." Und ob der Welt geholfen sei, fragt Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, wenn jener 19-jährige Flüchtling aus Syrien nun abgeschoben wird, der seit 2015 in Deutschland lebt und nun in Verdacht steht, im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg einen Israeli mit einem Gürtel geschlagen zu haben? Vermutlich nicht, wir würden den Mann dann nur nicht mehr wahrnehmen. Aber sagen, dass wir ein Zeichen gesetzt haben.

Antisemitische Attacke in Berlin

"Lehrer von der Politik seit Jahren im Stich gelassen!"

95 Prozent aller antisemitischen Straftaten würden ohnedies von rechts begangen, sagt Kipping, die auch auf Studien verweist, die zeigten, dass die Geflüchteten kein geschlossenes antisemitisches Weltbild mitbrächten. Hingegen gebe es bei 20 Prozent der Menschen in der deutschen Gesellschaft zumindest sekundären Antisemitismus, sagt Shimon Stein, also Judenhass, den es nicht trotz, sondern wegen Auschwitz gibt. "Im Strom dieses rechten Zeitgeistes" bewegten sich auch die neuerdings so umstrittenen Rapper Farid Bang und Kollegah, deren Album "JBG3" mit 30 Millionen Streams ein Megaseller des vergangenen Jahres war.

In den Integrationskursen werde zu viel über Mülltrennung und zu wenig über Gleichberechtigung und das Existenzrecht Israels geredet, sagt Ahmad Mansour, der einen Kampf "nicht gegen, sondern um die Muslime" führen will. Doch während Volker Kauder nun gerne wieder über die "Leitkultur" reden will, die bei der Erziehung von Kindern und Jugend vonnöten sei, macht Mansour der deutschen Bildungspolitik große Vorwürfe: "Die Lehrer werden von der Politik seit Jahren im Stich gelassen!" Doch an Kauder perlt das erstmal ab – Bildung sei Ländersache, entgegnet der CDU-Politiker. Shimon Stein fordert unterdessen einen "Antisemitismus-Gipfel", doch auch da ist der CDU-Politiker zurückhaltend: Er will lieber erstmal die deutsche Islamkonferenz einberufen. Kauder hat Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines solchen Gipfels und verweist ausgerechnet auf den Auto-Gipfel.

Aber: Die Bundeskanzlerin habe den Wunsch nach einem solchen Gipfel ja nun vernommen.

Echo 2018

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