Die postnationale Deutsche: Warum Ursula von der Leyen die richtige Kommissionspräsidentin sein könnte

Soll Ursula von der Leyen den wichtigsten Posten in der EU übernehmen? Als Verteidigungsministerin hat die CDU-Politikerin Fehler gemacht. Aber es gibt ein Projekt, das für sie spricht.

Marc Felix Serrao, Berlin
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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei einem Truppenbesuch in Jordanien im Januar 2018. (Foto: Michael Kappeler / Reuters)

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei einem Truppenbesuch in Jordanien im Januar 2018. (Foto: Michael Kappeler / Reuters)

Das Lob für und die Kritik an Ursula Gertrud von der Leyen, geborene Albrecht, kann man in drei Kategorien einteilen: egal, nice to have und relevant. Da sind zunächst die Äusserlichkeiten, das Geschlecht oder der Geburtsort Brüssel. Für die Antwort auf die Frage, ob von der Leyen die Richtige für den Vorsitz der EU-Kommission sei, sind sie egal.

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Nice to have sind die weltläufigen Umgangsformen und die Sprachkenntnisse. Wenn lobend erwähnt wird, wie mühelos die Deutsche bei ihrer Strassburger «Charmeoffensive» ins Französische habe wechseln können, dann mag das in frankofonen Kommentarspalten Sympathiepunkte bringen. Aber, erstens, muss Emmanuel Macron nicht mehr überzeugt werden, und, zweitens, hat schon Helmut Kohl vorgemacht, dass man Europas Einigung auch vorantreiben kann, wenn jeder Versuch, sich in einer anderen Sprache auszudrücken, so klingt, als würde man gerade ein Stück Pfälzer Saumagen zerkauen.

Entscheidend ist das politische Handeln, und hier lohnt es, zwischen der nationalen und der europäischen Ebene zu differenzieren.

Zu entrückt, zu elitär

In Deutschland sieht von der Leyens Bilanz, freundlich formuliert, durchwachsen aus. Das gilt aber ebenso für ihre Partei, der die 60-jährige Medizinerin und siebenfache Mutter fast ihr halbes Leben lang angehört hat, und es gilt fürs Kabinett, in dem sie seit nunmehr 14 Jahren in wechselnden Rollen wirkt. In der CDU wird die kleine, drahtige Frau von vielen für ihren Fleiss und ihre Härte geschätzt, allen voran von Angela Merkel. Aber Parteichefin hätte jemand wie von der Leyen nie werden können, dafür wirkt sie zu entrückt, zu elitär. Auch der einstige Traum vom Kanzleramt ist lange ausgeträumt.

Im Verteidigungsressort, dem jüngsten ihrer Kabinettsposten, sind von der Leyen in den vergangenen fünfeinhalb Jahren gleich mehrere Dinge entglitten. Ihr grösster Fauxpas war es, den Soldaten im Zuge einer Debatte über rechtsradikale Vorfälle ein pauschales «Haltungsproblem» zu unterstellen. Sie hat die Äusserung später abgeschwächt, aber der Groll blieb. Als stillos empfanden viele auch von der Leyens Umgang mit Offizieren, die in Ungnade gefallen waren. Generalmajor a. D. Walter Spindler etwa verlor im Zuge der Haltungsaffäre seinen Posten als oberster Ausbilder des Heeres. Er erfuhr davon via Twitter und aus einem Online-Medium, nach 44 Dienstjahren. «Würdelos» sei das gewesen, sagte der Offizier später.

Die Armee der Unternehmensberater

Von der Leyens zweites Malheur waren die vielen teuren und intransparenten Beraterverträge im Ministerium. Sie sind es immer noch, denn sie haben ihr einen laufenden Untersuchungsausschuss eingebrockt. Stimmen, die es gut meinen, sagen, die frühere Staatssekretärin und McKinsey-Partnerin Katrin Suder trage die Hauptverantwortung für die «Berater-Armee». Allerdings hat von der Leyen die Frau geholt und vier Jahre lang gewähren lassen. Auch sonst seien in der Leitungsebene zu viele Zivilisten und zu wenige Stabsoffiziere zugange, sagt einer, der das Haus kennt. Die Leute seien smart, aber ohne Gespür fürs Militärische.

Die Frage ist, wie relevant diese Probleme für von der Leyens mögliches künftiges Amt sind. Im Generalsekretariat der Europäischen Kommission hätte sie es mit ihresgleichen zu tun: mit smarten Zivilisten.

Dazu käme eine nachweisliche Schwäche für europäische Politik, die von der Leyen nicht erst jetzt und für die Kameras entdeckt, sondern schon vor Jahren demonstriert hat. «Heute ist ein grosser Tag für Europa», sagte die Ministerin am 13. November 2017, als die Aussen- und Verteidigungsminister von damals 23 der 28 Mitgliedstaaten die «Permanent Structured Cooperation», kurz Pesco, besiegelten.

Pesco ist als Vorstufe einer späteren Verteidigungsunion gedacht und steckt noch ganz am Anfang. Ein paar Dutzend einzelne Projekte sind angelaufen, mal geht es um Schützenpanzer, mal um Cyber-Abwehr. Es gibt sehr viele Differenzen, und in der Regel beteiligt sich bisher meist nur eine Handvoll Länder. Bis die Mitgliedstaaten ihre Militärausgaben nicht nur erhöht, sondern aufeinander abgestimmt haben, ist es ein weiter Weg. Und ob am Ende, vielleicht in 50 Jahren, eine europäische Armee steht, zweifeln selbst Experten an, die dem Ganzen wohlgesinnt sind.

Ein Bruch mit der Tradition

Carlo Masala, zum Beispiel. Der Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München findet es richtig, dass die EU-Mitgliedstaaten gemeinsame Verteidigungskapazitäten auf- und ausbauen. Er glaubt aber nicht an «strategische Autonomie». Ohne militärische Unterstützung der Amerikaner werde Europa auch in Zukunft nicht zurechtkommen. Dazu kämen strategische Differenzen. Alle Länder, die eine Mittelmeerküste hätten, richteten ihren Fokus auf Nordafrika, die Sahelzone und den Nahen Osten. Die osteuropäischen Länder schauten derweil bange in Richtung Russland. Und die Deutschen? Hier kommt von der Leyen wieder ins Spiel.

Für Masala gibt es kaum eine europäische Verteidigungspolitikerin, die sich in den vergangenen Jahren so für die europäische Zusammenarbeit in Militärfragen eingesetzt habe. Das sei alles andere als selbstverständlich. In Deutschland sässen die EU-Freunde eigentlich im Aussenministerium, während das Verteidigungsressort die Perspektive der Nato vertrete. Von der Leyen habe mit dieser Tradition gebrochen. So sei das Pesco-Projekt «European Medical Command», das die medizinische Versorgung von Europas Soldaten koordinieren soll, auf ihre Initiative hin zustande gekommen.

«Ursula von der Leyen ist eine der wenigen, die von Anfang an stark europäisch gedacht haben», sagt Masala. Während Frankreichs Staatspräsident, den in Deutschland bis heute viele für den grössten lebenden Europäer halten, in Wahrheit vor allem französische Interessen im Blick habe, sei die Deutsche eine Politikerin, die das mit Blick auf die Bundesrepublik nachweislich nicht tue.

Dieser Befund spricht nicht unbedingt für eine deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen. Aber er könnte für das andere, grössere Amt sprechen.