Dieser Mann weiss, wie man grilliert – ganz ohne Männergehabe

Hansruedi Wälchli ist mehrfacher Barbecue-Weltmeister. Er weiss, wie man ein Stück Fleisch richtig zubereitet. Und wie man es ehrt. Mit inszenierter Männlichkeit hat das bei ihm nichts zu tun.

Robin Schwarzenbach
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Ein bewusster Esser: Teamchef Wälchli an seinem Grill in Zürich. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Ein bewusster Esser: Teamchef Wälchli an seinem Grill in Zürich. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

An diesem Sommerabend gibt es Lachs und Shrimps garniert mit Gnocchi, Kichererbsen, Tomätchen, Rüebli, Sellerie, Knoblauch, Chili, Gewürzen und einem Schuss Sojasauce und Balsamico. «Man könnte das auch in Alufolie einwickeln und direkt ins Feuer legen», sagt Hansruedi Wälchli, der Grillmeister, in der Küche seines Reihenhauses in Zürich Wollishofen. Doch heute kommt die Vorspeise auf den Grill.

Dann, als Beilagen: blanchierte Peperoni mit einer Füllung aus Paniermehl, Olivenöl, Salz, Pfeffer und Parmesan sowie gebratene Kartoffeln in Scheiben geschnitten mit Rohschinken dazwischen. Und zur Hauptspeise: Babettli vom Rind an einer Marinade mit Rosmarin, Majoran und Thymian.

Vom Metzger seines Vertrauens

Babettli, das man auch Bürgermeisterstück nennt? Nie gehört? Das Fleisch zählt zu jenen Stücken, die neben den begehrten (und entsprechend teuren) Filets, Hohrücken oder Entrecôtes meist vergessen gehen und beim Detailhändler an der Theke kaum zu haben sind, weil sie entweder gar nicht angeboten oder nur verwurstet oder als Ragout verkauft werden. Wälchli hat das Babettli vom Fleischhändler seines Vertrauens. «Gewissenhafte Metzger sagen ihren Kunden, dass man auch aus preiswerten Stücken etwas Feines machen kann», betont er. «Das ist ihre Aufgabe.» Auch, um einen bewussten Umgang mit einer wertvollen Ressource zu pflegen. Und um das tote Tier zu ehren.

Wälchli spricht nicht unbedingt so, wie man es von einem Mann am Grill erwarten würde. Vor allem von einem wie ihm: Der gelernte Koch und Küchenchef ist mehrfacher Schweizer Meister und Weltmeister. An der letzten Barbecue-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr in Limerick in Irland belegte sein Team den zweiten Platz, international war die Crew nie schlechter klassiert als auf Platz fünf.

Teamchef Wälchli war von Anfang an dabei, als Mitte der neunziger Jahre die ersten Smoker auftauchten in der Schweiz: jene mit Holz oder Kohle beheizten Ofen auf Rädern, die aussehen wie eine Dampflokomotive. Das Essen kommt in ein grosses Stahlrohr, Hitze und Rauch stammen aus einer versetzten Feuerkammer daneben. So werden die Speisen indirekt, langsam und bei vergleichsweise niederen Temperaturen gegart, wie es in Amerika üblich ist.

Wälchlis erste Barbecue-Reise in die USA geriet fast zum Fiasko, denn er und seine Männer wussten noch nicht recht, wie man einen Smoker bedient. Die Feuerbox hielten sie die meiste Zeit geschlossen (das führt zu viel zu viel Rauch), beim Timing auf dem Rost fehlte ihnen die Erfahrung (Grillieren auf offenem Feuer geht viel schneller als ein Barbecue mit einem Smoker). Doch der Jury schmeckte es offenbar trotzdem. Wälchlis Team gewann den Wettbewerb auf Anhieb.

Feuer, Hitze – ein echter Mann am Grill?

Das war im Jahr 2000. Seither ist viel passiert. Feuer, Hitze, ein anständiges Stück Fleisch, ein echter Mann am Grill? Kulturwissenschafter und Gesellschaftsjournalisten begannen sich mit dem Thema zu beschäftigen. Grillieren wurde populär, als in den sechziger Jahren die letzten Holzöfen aus den Wohnungen verschwanden.

Also muss es eine Reaktion auf die zunehmende Technisierung der Küche gewesen sein: Das Archaische beim Braten, wenn Funken fliegen und das Fleisch schön zischt und tropft – ist das der letzte Rückzugsort des Mannes, der sich als «mutiger Urmensch inszeniert», wie es in einer Studie heisst? Um seine Unsicherheit zu kompensieren, da er heute, da sich Rollenbilder auflösen, weder Ernährer noch Familienoberhaupt sein will oder kann?

Bis vor zehn Jahren wog der Solothurner über 180 Kilogramm. «Ich habe mich vollgefressen damals», erzählt er. «An einem 1,5-Kilo-T-Bone-Steak hatte ich grosse Freude.»

Hansruedi Wälchli war zumindest viel Mann. Bis vor zehn Jahren wog der Solothurner über 180 Kilogramm. «Ich habe mich vollgefressen damals», erzählt er. «An einem 1,5-Kilo-T-Bone-Steak hatte ich grosse Freude.» Dann wurde er zuckerkrank, von heute auf morgen, ein Einschnitt in seinem Leben. Er liess sich den Magen verkleinern und nahm 84 Kilogramm ab. Man sieht es heute noch in seinem Gesicht. «Ich fühle mich zwanzig Jahre jünger», sagt der 60-Jährige. Doch sein Lustempfinden sei gleich geblieben.

Ob er etwas zu kompensieren habe? Ob er seine Männlichkeit inszeniere am Grill? Wälchli sagt: «Ich habe das Glück, dass ich überhaupt nichts halte von diesen Diskussionen.» Warum auch? Wälchli arbeitet als Gastro-Leiter in einem Altersheim in Zürich. Zubereitung von Essen ist sein täglich Brot, im Gegensatz zu anderen Berufsleuten, die vielleicht meinen, dass sie ihr Mannsein mit Grillzange und glühenden Kohlen besonders hervorheben müssten.

Er kann auch nicht verstehen, warum es gerade Männer sein sollen, die «seit Urzeiten» mit Flammen und Fleisch hantieren. «Zu Zeiten der Jäger und Sammler haben sicher auch Frauen Feuer gemacht und Fleisch gebraten.»

Bei ihm persönlich reicht die Leidenschaft fürs Grillieren weit zurück. Als Bub haben er und seine Familie an langen Sommertagen an der Aare immer ein Feuer gemacht. Wälchli war auch oft fischen am Bielersee. Der Fang wurde geputzt, ausgenommen und im Kessel frittiert in selbstgebauten Lehmöfen. Doch vielleicht noch wichtiger als gutes Essen war und ist ihm, eine schöne Zeit mit anderen zu verbringen.

Das Wichtigste: die Endkerntemperatur

Im Garten von Hansruedi Wälchli und seiner Frau hat der Grill die Idealtemperatur an diesem Sommerabend schon fast erreicht. Das Thermometer am drehbaren Deckel zeigt auf 250 Grad. Wälchli grilliert mit Gas, das geht schneller und ist sauberer als mit Kohle. Das Babettli, ein Mocken von 800 Gramm, kommt nicht auf den Hauptrost, sondern auf Grillstangen etwas weiter oben – es wird also indirekt gebraten.

«Eine gefüllte Aubergine braucht mehr Liebe als ein Kotelett, das man würzen und auf den Grill werfen kann.»

Hansruedi Wälchli, Grillmeister und mehrfacher Weltmeister.

Nur: Wie weiss man, wann es gar ist? Der Grillmeister sticht mit einem Thermometer mitten ins Fleisch hinein, die Nadel ist über eine Antenne mit einer App verbunden. «Die Endkerntemperatur ist das Wichtigste», sagt Wälchli. «Jedes Stück Fleisch hat seine eigene, unabhängig davon, wie dick es ist.» Beim Babettli liegt der Zielwert bei 55 Grad, das weiss Wälchli aus Erfahrung. Das Smartphone piept, das Rindsstück ist durch.

Jetzt noch etwas Zeit geben vor dem Schneiden, damit sich das Fleisch entspannen kann. Und dann servieren. Es schmeckt gut, fast wie ein Entrecôte, wenn auch nicht ganz so zart. Doch für Wälchli muss es nicht immer Fleisch sein. Fisch oder Paella wären Alternativen, gerade an einem heissen Tag wie heute. Oder etwas Vegetarisches. «Eine gefüllte Aubergine braucht mehr Liebe als ein Kotelett, das man würzen und auf den Grill werfen kann.»

Auch diese Aussage kommt unerwartet. Ebenso, dass wir Wasser mit Minze, Melisse und Aprikosenschnitzen trinken statt Bier. Und dass eine Portion eines feinen Menus reicht. Hansruedi Wälchli ist Grillmeister. Er ist es auf seine Art.

Mehr von Robin Schwarzenbach (RSc)

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