Einem Bergwerk in Schweden sind mehr chemische Elemente zu verdanken als jedem anderen Ort auf der Welt

Wenn es ein Paradies für Chemiker gäbe, so läge es in Ytterby. Auf der schwedischen Schäre wurde 1797 ein Mineral entdeckt, in dem Forscher während der nachfolgenden 150 Jahre nicht weniger als acht chemische Elemente entdecken sollten.

Ingrid Meissl Årebo, Ytterby
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In der Mine von Ytterby nordöstlich von Stockholm wurde über Jahrhunderte Quarz und Feldspat abgebaut. (Bild: Ytterby.org)

In der Mine von Ytterby nordöstlich von Stockholm wurde über Jahrhunderte Quarz und Feldspat abgebaut. (Bild: Ytterby.org)

Die ehemalige Grube von Ytterby ist idyllisch gelegen. Vom überwachsenen einstigen Schachteingang auf dem Isterberg – seinem Namen zum Trotz bloss ein Hügelchen – bietet sich ein malerisches Panorama auf einen Kleinboothafen, auf den schmalen Küstenstreifen und das vis-a-vis gelegene bewaldete Inselchen, wie es sie in den Stockholmer Schären zu Tausenden gibt. Das auf der Insel Resarö gelegene Ytterby, das reichen Hauptstädtern früher als Sommer-Zuflucht diente, ist längst ein ganzjährig bewohnter, exklusiver Vorort Stockholms geworden, den man mit Bus und U-Bahn in einer knappen Stunde erreicht.

Eine Entdeckung nimmt ihren Lauf

Im Jahr 1787 stand Carl Axel Arrhenius genau auf diesem Hügel. Der Artillerieoffizier wollte den Bau einer Festung an der strategisch wichtigen Wasserstrasse durch die Schären prüfen, die Stockholm vor einem möglichen Angriff der russischen Flotte hätte schützen können. Arrhenius war aber nicht nur an der Lage Ytterbys gelegen. Als Amateur-Chemiker und -Mineraloge interessierte er sich auch für das Gestein auf dem Isterberg, wo vermutlich schon seit dem 17. Jahrhundert Quarz und später Feldspat für die Porzellan- und Glasindustrie gefördert wurden.

Aussergewöhnlich schwere, schwarze Steine weckten Arrhenius’ Neugierde. Handelte es sich vielleicht um Wolfram – ein Element, das erst wenige Jahre zuvor entdeckt worden war? Arrhenius nahm einige Klumpen mit und schickte diese an verschiedene Wissenschafter. An der Universität Uppsala kam der finnische Chemiker Johan Gadolin 1794 nach eingehenden Analysen zum Schluss, dass das Mineral «31 Teile Kieselerde, 19 Teile Tonerde, 12 Teile Eisenoxid sowie 38 Teile eines unbekannten Oxides» enthalte. Kollegen in Deutschland und Frankreich bestätigten dies, weshalb das schwarze Mineral später den Namen Gadolinit erhielt.

Das unbekannte Oxid hingegen, das nach seinem Fundort auf Yttererde getauft wurde, sollte in den kommenden 150 Jahren Generationen von Chemikern beschäftigen. Es bescherte dem schwedischen Dörfchen gleich vier Einträge im chemischen Periodensystem – mehr als Stockholm, Kopenhagen und Paris zusammen.

Wie eine russische Matroschka

Dank immer ausgeklügelteren Separations- und Analysemethoden wurde in der Yttererde eine Vielzahl von Metallen entdeckt. Weil die Metalle in oxidierter Form vorlagen und Oxide früher «Erden» genannt wurden, bürgerte sich für sie die Bezeichnung Metalle der seltenen Erden ein (siehe Kasten). Das von Gadolin vermutete neue Element Yttrium war nur eines dieser Seltenerdmetalle, wie Carl Gustav Mosander 1843 herausfand: Neben Yttrium konnte der Schwede in der Yttererde die Oxide von zwei weiteren Metallen isolieren. In Anlehnung an den Fundplatz nannte er diese Erbium und Terbium.

Bei genaueren Analysen zeigte sich allerdings später, dass die beiden Metalloxide nicht in Reinform vorlagen. So entdeckte der Schweizer Chemiker Jean Charles Galissard de Marignac im Jahr 1878, dass dem Erbium ein weiteres Metall beigemischt ist, das er Ytterbium nannte. Nach Yttrium, Erbium und Terbium war es das vierte Seltenerdmetall, dessen Name an den Fundort Ytterby erinnerte. Weitere drei Jahrzehnte später fanden mehrere Wissenschafter unabhängig voneinander heraus, dass sich auch im Ytterbium ein weiteres Element versteckte. Es erhielt den Namen Lutetium. Und auch von Erbium liessen sich noch weitere Metalle der seltenen Erden abspalten, darunter Thulium (benannt nach dem römischen Namen für den äussersten Norden) und Holmium (benannt nach Stockholm).

Arrhenius’ Gesteinsprobe hatte somit gleich einer russischen Matroschka ein Seltenerdmetall nach dem anderen freigegeben. Je nach Zählweise sind es acht oder sogar zehn Metalle. Damit sind der Grube mehr chemische Elemente zu verdanken als irgendeinem anderen Platz auf der Welt.

Die Entdeckung der Seltenerdelemente zog sich über einen langen Zeitraum hin. (Bild: E. Generalic, https://www.periodni.com/history_of_rare_earth_elements.html )

Die Entdeckung der Seltenerdelemente zog sich über einen langen Zeitraum hin. (Bild: E. Generalic, https://www.periodni.com/history_of_rare_earth_elements.html )

Ganz ähnlich verlief die Entdeckungsgeschichte der anderen Seltenerdmetalle (insgesamt gibt es 17 stabile Elemente). Der Ausgangspunkt war hier ein ebenfalls in Schweden gefundenes Mineral namens Bastnätit (später Cerit genannt), in dem Jöns Jacob Berzelius, der Vater der modernen Chemie, 1803 das Element Cer entdeckte. Wie sich allerdings schon bald zeigen sollte, waren dem Cer – wie dem Yttrium – andere Seltenerdmetalle beigemischt.

Profit liess sich aus den Funden in Ytterby keiner schlagen. Zum einen gab es kaum abbauwürdige Erzvorkommen, zum andern hatte man lange Zeit keine Verwendung für Seltenerdmetalle. Ganz anders heute: Ob LED-Bildschirme oder Smartphones, Laser, Batterien, Magnete oder Windkraftwerke – in der heutigen Hightech-Industrie sind die meisten der 17 Metalle der seltenen Erden nicht wegzudenken.

Das Bergwerk war dagegen eine Erfolgsgeschichte: Aus dem in Ytterby geförderten Feldspat liess sich dank dem tiefen Eisengehalt ein richtig weisses Porzellan herstellen, so dass der schwedische Hersteller Rörstrand sowohl preislich wie qualitativ mit den begehrten chinesischen Konkurrenten mithalten konnte und zu einer der renommiertesten skandinavischen Manufakturen aufstieg. Nachdem die Lagerstätte Mitte der 1920er Jahre weitgehend erschöpft war, wurde die Grube 1933 geschlossen.

Späte Ehrung für Ytterby

Weil Chemie-Geschichte nirgendwo so greifbar ist wie in Ytterby, wurde die kleine Schäre 1989 von der amerikanischen Interessengemeinschaft für Metallurgie zur «Historical Landmark» gekürt. Fast dreissig Jahre später doppelte die European Chemical Society nach und verlieh Ytterby den neu geschaffenen EuChemS Landmark Award. Die entsprechende Plakette ist Ende April in feierlichem Rahmen enthüllt worden.

Prominentester Besucher des ehemaligen Tagbruchs war der frisch gekürte Chemienobelpreisträger Ei-ichi Negishi, der im Dezember 2010 auf einem Ausflug ins winterkalte Ytterby bestand. Der Japaner rutschte in ungeeigneten Schuhen auf dem eisigen, schlecht zugänglichen Gelände herum, wie Medien damals berichteten. Damit sich solches nicht wiederhole, initiierte der lokale Rotary Club den Bau einer 40 Meter langen Holztreppe zum ehemaligen Grubeneingang sowie das Aufstellen von Informationsschildern, damit sich Besucher auf eigene Faust umsehen können. 2015 dann gründete eine Handvoll Enthusiasten den Verein Ytterby Gruva mit dem Ziel, die Wiege der Seltenerdmetalle einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und zugleich die schwedischen Forscher ins Scheinwerferlicht zu rücken.

Zu den Visionen des Vereins gehören ein interaktives Museum und ein Lift, der Neugierige ein Stück weit in den 171 Meter tiefen Schacht bringen soll. Bis sich Schulklassen und Chemie-Interessierte über die Geschichte der Grube, über die Forschungserfolge schwedischer Wissenschafter wie auch über die Anwendungsgebiete der Seltenerdmetalle kundig machen können, wird es noch einige Jahre dauern. Eine erste Voraussetzung ist, dass der Verein und die neu gegründete Stiftung das Gelände übernehmen können. Laut dem Vorstandsmitglied Eric Thorslund steht man in den Schlussverhandlungen mit dem Amt für militärische Liegenschaften. Dieses hatte die Grube in den fünfziger Jahren als Treibstofflager für die Flugwaffe genutzt. Dazu wurde der Schacht mit einer 15 Meter dicken Betonplatte versiegelt und vom Meer her ein Tunnel in den Berg gesprengt. Seit der Leerung des Depots 1995 ist das Gelände ausgiebig saniert worden.

Seltene Erden sind nicht selten

I. M. · Die Bezeichnung «Metalle der seltenen Erden» oder Seltenerdelemente ist irreführend. Sie suggeriert nämlich, dass diese chemischen Elemente selten sind. Scandium (Platz 21 im Periodensystem), Yttrium (39) sowie die 15 sogenannten Lanthanoide (Platz 57 bis 71) sind jedoch nicht selten. Wie man heute weiss, kommen diese Metalle in 160 Mineralien vor. Das wusste man aber noch nicht, als man diese Elemente zum ersten Mal in Form von Oxiden (Erden genannt) isolierte. Daher rührt der Name seltene Erden. Rar ist einzig das Element Promethium mit der Ordnungszahl 61, denn alle Isotope dieses Elements sind radioaktiv und zerfallen. Erst 1945 gelang es amerikanischen Forschern, Promethium als Spaltprodukt des Urans zu identifizieren. Die übrigen Seltenerdmetalle sind in der Erdkruste weit verbreitet; selbst Thulium, das seltenste stabile Element der Gruppe, kommt häufiger vor als Gold oder Platin. Die Elemente Cer und Yttrium sind sogar häufiger als Blei oder Kupfer. Da die Seltenerdelemente jedoch in kleinsten Mengen und in verstreut lagernden Mineralien vorkommen, ist deren Gewinnung aufwendig und teuer.

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