Der Schweiz droht erneut eine Stinkwanzen-Plage

Die aus Asien importierte Marmorierte Baumwanze – auch als Stinkwanze oder Stinkkäfer bekannt – hat sich im vergangenen Jahr explosionsartig in der Schweiz ausgebreitet. Sollte der Sommer warm und trocken werden, dürfte sich das Problem noch weiter verschärfen.

Gian Andrea Marti
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Wegen der steigenden Temperaturen kriechen derzeit viele Marmorierte Baumwanzen aus ihren Schlupflöchern hervor. (Bild: Tim Haye / Cabi Europe Switzerland)

Wegen der steigenden Temperaturen kriechen derzeit viele Marmorierte Baumwanzen aus ihren Schlupflöchern hervor. (Bild: Tim Haye / Cabi Europe Switzerland)

Mit der Marmorierten Baumwanze dürfte im vergangenen Sommer fast jeder seine Erfahrungen gemacht haben. Ob auf dem Balkon, auf der Terrasse oder in der eigenen Wohnung – die 12 bis 17 Millimeter grossen Wanzen waren einfach überall. Seit die ursprünglich aus Asien stammende Baumwanze 2004 zum ersten Mal in der Schweiz festgestellt wurde, breitet sich die gebietsfremde Art explosionsartig aus. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichte die Plage im Jahr 2018. Der lange und trockene Sommer bot den Wanzen ideale Bedingungen für die Eiablage.

Nun, nachdem es im Winter vorübergehend etwas ruhiger um die Insekten geworden ist, kommen sie mit den steigenden Temperaturen wieder aus ihren Schlupflöchern hervor. Vor allem in der Landwirtschaft, wo die invasive Art teilweise grosse Schäden verursacht, gibt es Anlass zur Sorge. Sollte der Sommer in diesem Jahr sonnig und warm werden, könnte die Wanzenplage sogar noch schlimmer ausfallen als 2018.

Frühling war bisher zu kalt

Auch bei Haus- und Wohnungsbesitzern sind die Tiere unbeliebt. Die Insekten suchen zur Winterzeit und bei kühler Witterung Unterschlupf in Wohngebäuden. Fühlen sie sich bedroht oder werden sie zerdrückt, sondern die Wanzen ein übelriechendes Sekret ab, weshalb sie im Volksmund auch Stinkwanzen oder Stinkkäfer genannt werden. Der Gestank ist vor allem aus porösen Wänden und Böden nur sehr schwer wieder wegzubekommen.

Tim Haye, Insektenkundler am international tätigen Forschungsinstitut Cabi Europe Switzerland in Delsberg, hat die Marmorierte Baumwanze intensiv erforscht. Dank seiner Arbeit ist es heute gut nachvollziehbar, wie die Wanze von Zürich aus ihre Verbreitung in Europa angetreten hat (siehe Infobox). Laut seiner Einschätzung könnten Hausbesitzer und Landwirte in diesem Jahr tatsächlich mit einer noch grösseren Plage der Insekten zu kämpfen haben als 2018. «In den vergangenen zwei Jahren haben sich grosse Populationen aufgebaut, so dass sich die Wanze immer stärker ausbreitet und vermehrt», sagt Haye. Vor allem in den Städten Zürich, Basel und Bern sowie im Kanton Tessin seien die Tiere im vergangenen Sommer sehr lästig gewesen.

Mit den steigenden Temperaturen wird nun bald die nächste Eiablage beginnen. Damit wäre es aber noch nicht vorbei. Bleibt der Sommer warm und trocken, könnte sich im selben Jahr noch eine zweite Generation entwickeln, befürchtet Haye. «Diese würde dann sehr gross ausfallen.»

Ernteausfälle von über 50 Prozent

Eine solche Massenvermehrung wäre vor allem für die Landwirtschaft problematisch. Bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, ist der Schädling bekannt. Laut Barbara Egger von der Forschungsgruppe Extension Obstbau lassen sich die Schäden im Obst- und Gemüsebau nicht beziffern, sie konzentrieren sich bis anhin aber auf Betriebe im Raum Zürich und im Tessin. Ein im Jahr 2018 landesweit durchgeführtes Monitoring mit Fokus auf den Obstbau lässt jedoch vermuten, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern könnte. «Das Monitoring zeigt, dass die Marmorierte Baumwanze mittlerweile in der gesamten Schweiz verbreitet ist», sagt Egger.

Betroffen sind vor allem Birnenkulturen, im Kanton Tessin Pfirsichkulturen. Auch an Kirschen und Äpfeln wurden schon vereinzelt Schäden festgestellt. Im Gemüsebau werden hauptsächlich Gurken und Peperoni von der Wanzenart befallen. Die Schäden in den bisher betroffenen Anlagen würden von einem geringen Prozentsatz befallener Früchte bis zum Abbruch der Gemüsekultur oder zu einem sehr hohen Ernteausfall reichen.

Laut Christof Gubler von der Fachstelle Gemüse beim Strickhof, dem Kompetenzzentrum für Bildung und Dienstleistungen im Land- und Ernährungswirtschaftsbereich des Kantons Zürich, hatten erste Betriebe 2017 Schäden im sechsstelligen Bereich. Dort führte die Wanze zu einem Ausfall von über 50 Prozent bei Peperoni und Gurken. «Die Kulturen mussten in der Folge drei bis vier Wochen früher als geplant beendet werden.» Gubler betont jedoch, dass auch andere Wanzenarten zum Teil ähnlich grosse Schäden anrichten können. So sei vor allem in der Westschweiz die ebenfalls aus Asien eingeschleppte Grüne Reiswanze ein grosses Problem für die Landwirte.

Der Schaden wird durch die Saugtätigkeit der Larven und der erwachsenen Wanzen verursacht. Die Saugschäden führen in frühen Stadien der Fruchtentwicklung unter anderem zu Deformationen, Verfärbungen und eingesunkenen Stellen an Früchten und Gemüse sowie zu Wachstumsverzögerungen. Die befallenen Produkte können nicht mehr vermarktet werden.

Eine Wespe als Schädlingsbekämpfer?

Zur Bekämpfung der Wanzen sind bis jetzt wenig wirksame Möglichkeiten bekannt. Bedingt durch die frühe Aktivität der Tiere im Frühjahr, ihre breite Auswahl an Wirtspflanzen sowie ihre hohe Mobilität und Robustheit gegenüber chemischen Mitteln ist die Marmorierte Baumwanze ein schwer zu bekämpfender Schädling. Laut Gubler gibt es zwar Betriebe, die ihre Gewächshäuser einnetzen. «Dies führt aber zu einer geringeren Lüftung, was Pilzkrankheiten fördern kann.» Auch der Einsatz von Pheromonfallen oder das Abblasen der Tiere sei wenig wirkungsvoll oder würde auch die Nützlinge schädigen.

Hoffnung setzt die Forschergruppe um Tim Haye derzeit auf die ursprünglich in Ostasien beheimatete Samurai-Wespe, die 2017 erstmals im Kanton Tessin festgestellt wurde. Im ursprünglichen Verbreitungsgebiet der Wanze ist die Wespenart ihr natürlicher Gegenspieler. Da die Wespe ihre Eier in die Eier der Wanze legt und die Wespenlarven das Gelege der Wanzen dann von innen fressen, könnte die Ausbreitung der Wanzen so gestoppt werden. Laut Gubler kann die Wespe bis zu 80 Prozent der Wanzeneier befallen. Am Cabi finden derzeit Untersuchungen zur Wirkungsweise der Samurai-Wespe statt – und auch zur Frage, ob die gebietsfremde Art nicht auch eine Gefahr für einheimische Insektenarten darstellen könnte.

Bekämpfungsversuche mit einheimischen Schlupfwespen konnten hingegen bisher nicht die gewünschte Wirkung erzielen.

Was Haus- und Wohnungsbesitzer tun können

Auch in den eigenen vier Wänden sind die Möglichkeiten zur Bekämpfung der Wanze beschränkt. Isabelle Landau, Beraterin für Schädlingsprävention beim Gesundheits- und Umweltdepartement der Stadt Zürich, muss telefonisch regelmässig zur Baumwanze Auskunft geben. «Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt rufen uns an, weil sie die Wanzen in ihrer Wohnung haben und wissen möchten, wie die Tiere ins Haus kamen und wie sie diese wieder loswerden», erklärt Landau. Die Tiere, die während der kalten Jahreszeit in der Wohnung gefunden würden, seien schon im Herbst eingedrungen und reglos in einer geschützten Ecke im Gebäude oder im Storenkasten gewesen. So hätten sie die kalte Jahreszeit überdauert. Jetzt, da es wärmer werde, würden sie wieder aktiv und wollten nach draussen.

Gegen die Wanzen kann laut Landau das Anbringen von Fliegengittern an den Fenstern helfen. An Zimmerpflanzen abgelegte Eier sollten zudem eingesammelt und entsorgt werden. Der Einsatz chemischer Mittel wirkt hingegen kaum.

Wie die Wanze in die Schweiz kam

Die Marmorierte Baumwanze breitet sich in Europa vor allem durch den Transport von Waren durch den Menschen aus, beispielsweise Kisten, in denen die Wanzen überwintern. Seinen Eroberungsfeldzug auf dem europäischen Kontinent hat das ursprünglich aus Asien stammende Insekt höchstwahrscheinlich von Zürich aus angetreten. Dies geht aus den Forschungsarbeiten des Biologen Tim Haye hervor, der in Delsberg am Forschungszentrum Cabi Europe Switzerland die Wanze erforscht. Der älteste bekannte Nachweis der Marmorierten Baumwanze in der Schweiz stammt aus dem Jahr 2004. Eine Privatperson fotografierte damals in der Neptunstrasse in Zürich ein erwachsenes Exemplar der Art – ungefähr einen Kilometer vom Chinagarten entfernt, der als Ausgangspunkt für die Verbreitung der Wanze in Europa vermutet wird.

Im 1994 eröffneten Garten – einem Geschenk der chinesischen Partnerstadt Kunming an Zürich – mussten bereits vier Jahre später die Dachziegel ausgewechselt werden, weil ihnen das Winterwetter zugesetzt hatte. In den Kisten mit den neuen Ziegeln, die aus der kaiserlichen Ziegelei in Liuliqu nahe Peking geliefert wurden, kam wahrscheinlich auch die Marmorierte Baumwanze als blinder Passagier nach Zürich. Haye selber konnte bei einem Besuch der Ziegelei im Jahr 2013 die Wanze in und um die Ziegelei feststellen und einsammeln.

Seit der ersten Sichtung hat sich die Wanze in Zürich stark vermehrt und sich von dort aus in den letzten Jahren weiter ins Schweizer Mittelland und in angrenzende Regionen ausgebreitet.