Hat der Bauer Joel Salatin die Zauberformel der Zukunft gefunden?

Mit Charme, ökologischem Denken und Unternehmertum hinterfragt der amerikanische Bauer Joel Salatin die heutige Landwirtschaft – und verdient dabei ordentlich. Sein Geheimnis: Vielfalt auf dem Hof.

Franziska Scheven
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Bauer Joel Salatin auf seiner Polyface Farm in Swoope im Gliedstaat Virginia. (Bild: Greg Kahn / Washington Post / Getty)

Bauer Joel Salatin auf seiner Polyface Farm in Swoope im Gliedstaat Virginia. (Bild: Greg Kahn / Washington Post / Getty)

Naturschützer, Fleischesser, Tierliebhaber und Kapitalist – eine Kombination, die man heute kaum in einem einzigen Menschen vereint findet. Doch Joel Salatin behauptet, all das zu sein: Er ist Landwirt und bewirtschaftet seine Farm Polyface im amerikanischen Gliedstaat Virginia komplett nachhaltig. Gleichzeitig erzielt er Spitzengewinne und konvertierte seine Böden von nährstoffarmen Weiden in fruchtbares Grasland.

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«Klimawandel ist ein Klischee», sagte der stämmige Amerikaner mit lichtem, grauem Haar vor kurzem am Rande eines Öko-Seminars auf dem «Biolandhof Braun» in der Nähe von Freising in Bayern. Die internationale Diskussion zum Klima sei für ihn zu abstrakt. «Ich pflege meine Böden, halte meine Bäche sauber und biete meinen Tieren ein gutes Leben, bevor sie geschlachtet werden», sagt Salatin im Gespräch mit der NZZ. Er trägt dunkle Jeans und ein blaues Hemd mit dem Polyface-Logo darauf: einem Baum, in dem sich die Silhouetten einer Kuh, eines Huhns und eines Fisches erkennen lassen.

Seit Jahren pilgern Landwirte, Köche und Öko-Fans aus der ganzen Welt zu Salatins 260 Hektaren grosser Farm im Shenandoah Valley. «Polyface» heisst übersetzt «mehrere Gesichter». Der Name ist Programm. Er soll die Vielfältigkeit der Farm unterstreichen. Im Gegensatz zur vorherrschenden Monokultur der heutigen Landwirtschaft hält Salatin mehrere Tierarten und baut Gemüse und Obst an. Sein Konzept beruht auf dauerhaft funktionierenden, nachhaltigen und naturnahen Kreisläufen. Und es ist profitabel: Pro Jahr erzielt Polyface laut eigenen Angaben einen Umsatz von umgerechnet bis zu 2,5 Millionen Franken.

«Salatins Prinzip ist Vielfalt. Und das ist die Voraussetzung für ökonomisch und auch ökologisch stabile Systeme», sagt der Öko-Landwirt und Vorsitzende des deutschen Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, Felix zu Löwenstein.

Polyfaces English from RegrariansMedia on Vimeo.

Die Salatin-Methode

Als Salatins Vater die Farm im Jahr 1961 kaufte, war der Boden erodiert und ausgelaugt. Trotzdem lehnte die Familie den Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden im Ackerbau zur Tierfuttergewinnung ab. Das Konzept: Vom Holz aus dem Wald bis zum Grashalm auf der Weide sollten alle Ressourcen auf natürliche Weise gefördert und ausgeschöpft werden. «Ich habe weltweit sehr viele Höfe besucht und noch nie einen gefunden, der sein Potenzial voll ausgenützt hätte», so Salatin.

Nach Salatins Methode verrichtet jedes Tier und jede Pflanze auf dem Hof eine natürlich bestimmte Aufgabe. Ein kleiner Ausschnitt aus dem komplizierten Kreislauf-System sieht so aus: Die Kühe grasen auf einem Weideabschnitt nur gerade 24 Stunden lang; dann werden sie umgestellt. So wird nur der obere Teil der Grashalme abgefressen, und es bleibt genug Grün übrig, dass das Gras dank Fotosynthese Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen kann. Dadurch entsteht fruchtbarer Humus – so werden Salatins Böden gestärkt. Die Hühner kommen nach den Kühen auf die Weide. Sie picken Würmer, Maden und Fliegenlarven aus den Exkrementen der Kühe, verteilen diese dabei und befruchten das Gras mit dem natürlichen Stickstoff ihrer eigenen Ausscheidungen. Gleichzeitig legen sie Eier, die Salatin verkauft. «Die Tiere machen das, was sie am liebsten tun, und ich profitiere davon», sagt der Landwirt. Auch die Schweine erfüllen eine Aufgabe: Sie kommen nach dem Winter in die Ställe der Kühe, wo sie den mit Sägespänen – aus Holz aus dem eigenen Wald –, Mais und Kuhfladen gefüllten Boden aufwühlen. So bringen sie Sauerstoff in den festgetretenen anaeroben Mist. Es entsteht wertvoller Dünger, der dem Grasboden zur Erhöhung der Fruchtbarkeit zugeführt wird.

Nachdem die Rinder gegrast haben, kommen bei Salatin die Hühner auf die Weide. (Bild: Jessica Reeder)

Nachdem die Rinder gegrast haben, kommen bei Salatin die Hühner auf die Weide. (Bild: Jessica Reeder)

«Ich nenne meine Schweine die ‹pigorators›» – angelehnt an Arnold Schwarzeneggers Rolle in «The Terminator», so Salatin. «Ich brauche keine grossen Maschinen und kein Silo.» Ein wichtiger Bestandteil seines Modells sei es auch, keine Investitionen in teure Produkte oder Maschinen zu tätigen. «Man muss heutzutage keinen Hof erben, um ein erfolgreicher Landwirt zu werden», so Salatin.

Hiesige Experten sind noch skeptisch, ob die Salatin-Methode wirklich universell einsetzbar ist. Das Prinzip der sukzessiven Weidehaltung ist teilweise schon bekannt, hat aber bisher noch nicht zu aussergewöhnlichen Erfolgen geführt. «Grundsätzlich finde ich alle Ideen, welche Bauern ausprobieren, sehr gut», sagt der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) Schweiz, Urs Niggli. «Und es ist toll, wenn andere Bauern dies nachahmen. Man sollte aber nicht einfach jede Idee als neue Generallösung propagieren.»

Der Bauern-Guru

Die 90 Landwirte und anderen Interessierten, die sich in Freising eingefunden haben, sind da optimistischer. Sie zahlten je 300 Euro, um Salatin in einem dafür umfunktionierten Heuschober mit Videoprojektor und Bühne zwei Tage lang zuzuhören, bevor dieser zu weiteren Vorträgen in Europa und Übersee weiterreiste. Der 62-Jährige, der einen Bachelor-Abschluss in Englisch hat und dessen Familie vor vier Generationen aus der Deutschschweiz in die USA ausgewandert ist, ist eloquent, macht Witze und schlüpft auch gerne einmal in unterschiedliche Rollen, um seine Ansichten zu veranschaulichen. Als Kind sei er Teil der Theatergruppe an seiner Schule gewesen und habe oft die Hauptrolle übernommen, erzählt er in der Pause. Seine Präsentationen bezeichnet er als «performances». Das Auftreten auf der Bühne fällt ihm leicht.

Der kalifornische Bestsellerautor Michael Pollan bezeichnet Salatins Methode der Landwirtschaft in seinem Buch «Das Omnivoren-Dilemma» als Universallösung für die Ernährung der Menschen. Auch in dem Dokumentarfilm «Food.Inc» wird Salatin als Retter gepriesen. Dabei tragen Salatins Produkte keinerlei Bio-Zertifikate. Er hält nichts von Etiketten, Regulationen und Bürokratie. «Ich tue in meinem Rahmen das Richtige für die Umwelt und das Vieh und verdiene gleichzeitig Geld. Das muss mir keiner attestieren.»

Ferien am liebsten zu Hause

Salatin wuchs als mittleres von drei Kindern auf dem Hof auf. Wenn er für Vorträge auf Reisen gehe, verzichte er fast ganz aufs Essen, sagt er, vor allem an Flughäfen. Er sei zu verwöhnt von dem guten Essen auf seiner eigenen Farm. Aber als «foodie» bezeichne er sich nicht. «Das Wort ist mir viel zu elitär. Ich produziere und mag einfach gesundes, gutes Essen und Fleisch von glücklichen Tieren.» Er reise nur für Vorträge. Ferien mache er am liebsten zu Hause auf seiner Farm.

Diese liegt in der hügeligen Gras- und Waldlandschaft im Westen von Virginia und ist gesäumt von den Blue Ridge Mountains und den Appalachen. Auf dem Hof steht ein für die Region typisches weisses Wohnhaus aus Holz mit grauem Metalldach. Dazu gehört ein Hofladen, von dem aus die Salatins ihr Fleisch per Direktverkauf an Restaurants, Familien, Geschäfte und Märkte in der nahen Umgebung liefern. Insgesamt arbeiten Salatin, seine Frau Theresa, der Sohn Daniel, die Schwiegertochter Sheryl und etwa fünfzehn weitere Mitarbeiter auf dem Hof. Sie bewirtschaften knapp 100 Hektaren Grasland und 150 Hektaren Wald – und pachten zusätzlich Graslandflächen.

Neben dem Verkauf bietet Polyface die Ausbildung von Praktikanten an und geführte Farmtouren. Salatin hebt die Bedeutung von Familie und gesellschaftlicher Verantwortung in der Nachbarschaft als wichtigen Teil seiner Methode hervor. In seinen Seminaren spricht er daher auch über Themen wie Hofnachfolge, Selbstoptimierung und Familienleben. Der Zusammenhalt sei ein wichtiger Bestandteil für beruflichen Erfolg, aber auch das private Glück, so Salatin.

Neben seiner Geschäftstüchtigkeit ist der Amerikaner vor allem von seinem tiefen Glauben getrieben. «Gott hat ein Investment in uns Menschen und in diese Erde gemacht», sagt Salatin. «Ich möchte nicht sterben und ihm dann sagen müssen, dass ich seine Bäche verdreckt, seine Böden zerstört und seine Luft verschmutzt habe.»