Am häufigsten steigen Katzen über Hühnerleitern. Das hohe Verkehrsaufkommen wie hier an einem Haus in Bern ist eher ungewöhnlich. (Bild: Brigitte Schuster)

Am häufigsten steigen Katzen über Hühnerleitern. Das hohe Verkehrsaufkommen wie hier an einem Haus in Bern ist eher ungewöhnlich. (Bild: Brigitte Schuster)

Auf dem Catwalk: Die Schweiz ist ein Land von Katzenleitern

Katzen gehen ihre eigenen Wege, gehören aber gleichzeitig zur Familie. Deshalb montieren ihre Besitzer Katzenleitern an Häusern. In der Schweiz prägt die kreative Architektur das Bild von Städten.

Birgit Schmid
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Welches Tier erhält schon einen separaten Eingang? Viele Katzen können darauf zählen. Wohnen Katzenbesitzer in einem höher gelegenen Stockwerk, lassen sie an der Hausfassade eine Katzenleiter anbringen. Die Katze kann so jederzeit ins Freie gehen und wieder in die Wohnung zurückkehren. Am oberen Ende der Leiter befindet sich meist eine Klappe in einem Fenster oder der Balkontür, die nur für das VIP, das «very important pet», reserviert ist.

Katzen sind vor Hunden in vielen Ländern das beliebteste Haustier, um die 1,5 Millionen leben in der Schweiz. Und weil sie für viele Menschen zur Familie gehören wie ein gleichwertiges Mitglied, nimmt man auch auf die Bedürfnisse der Tiere Rücksicht. Das bedeutet, dass man ihnen, wenn immer möglich, freien Ausgang gewährt. Seit ihrer Domestizierung vor 4000 Jahren sind Katzen zwar die Seele des Zuhauses, wie Jean Cocteau gesagt hat. Wie geborgen einen die Katze fühlen lässt, wenn sie in diesen kalten Tagen stundenlang auf einem Kissen eingerollt schläft! Aber eine Katze verkörpert auch weiterhin das Wilde, Ungezähmte, die Natur: Sie gehört genauso der Welt dort draussen an.

Das wird ihren Besitzern spätestens dann bewusst, wenn die Katze eine Maus oder einen Vogel in die Wohnung trägt. Der Zubringerweg führt dabei vielerorts über die Katzenleiter.

Eine Katzentreppe führt in den ersten Stock, die andere macht drei Stockwerke zugänglich. (Bild: Brigitte Schuster)

Eine Katzentreppe führt in den ersten Stock, die andere macht drei Stockwerke zugänglich. (Bild: Brigitte Schuster)

Katzenleitern gehören in der Schweiz zum Bild von Strassen und Quartieren, sie prägen deren Charakter und erzählen von der engen Beziehung zwischen Mensch und Tier. Die schmalen Stiegen und Leitern sind dabei oft ein kreativer Bestandteil von Häuserfassaden und machen auf einen Blick deutlich, wer hier auch noch wohnt. Auf dem Briefkasten steht es ja nicht. Damit einem diese kulturelle und architektonische Besonderheit aber überhaupt auffällt, muss man als Fremder in die Schweiz kommen.

Auslauf dank Tempo 30

Als die Grafikdesignerin und Fotografin Brigitte Schuster, eine gebürtige Bayerin, vor wenigen Jahren nach Bern zog, traf sie in der Bundesstadt überall auf Katzenleitern. Obwohl es auch in Deutschland und Österreich Katzenleitern gibt, hatte sie noch nie so viele auf einmal in dieser baulichen Vielfalt gesehen. Sie begann die Konstruktionen zu fotografieren, wenn sie durch die Quartiere spazierte – die Matte, das Murifeld, den Breitenrain. Aus den Fotografien ist das Buch «Architektur für die Katz. Schweizer Katzenleitern» entstanden, das über hundert Abbildungen von Kletterhilfen für Katzen enthält und von einem Text der 43-jährigen Fotografin und einem Vorwort des Katzenforschers Dennis C. Turner ergänzt wird.

In diesem Haus liebt man Katzen: Diese gehen vom Erdgeschoss bis zum zweiten Stock ein und aus. Die Holzwendeltreppe bedient gleich zwei Stockwerke. (Bild: Brigitte Schuster)

In diesem Haus liebt man Katzen: Diese gehen vom Erdgeschoss bis zum zweiten Stock ein und aus. Die Holzwendeltreppe bedient gleich zwei Stockwerke. (Bild: Brigitte Schuster)

Bereits diesen März wurden ausländische Online-Medien auf Schusters Arbeit aufmerksam und zeigten ihre Bilder, so etwa der «Guardian». Darauf wurden die Schweizer Catwalks tausendfach geteilt. Kein Wunder: In Städten wie London, Paris oder New York sieht man höchstens einmal eine Katze hinter zurückgezogenem Vorhang auf dem Fenstersims sitzen, von wo sie den Passanten zuschaut. In unseren verkehrsberuhigten Städten kann man Katzen hingegen nach draussen lassen, ohne zu befürchten, dass sie gleich überfahren werden.

Das ist auch den Vermietern zu verdanken, die mit den eigenwilligen Accessoires an ihren Gebäuden einverstanden sind, da sie wissen, dass eine unabhängige Katze auch ihrem Besitzer Freiheiten lässt. Von Aussenstehenden oft zum Büchsenöffner auf zwei Beinen abgewertet, müssen Katzenbesitzer ja nicht auch noch Türsteher sein.

Sicherheitsnetz für den weichen Fall

Am häufigsten steigen Katzen über sogenannte Hühnerleitern, die im geneigten Winkel verlaufen, hoch und hinunter. Die Hühnerleiter ist von allen Modellen am beliebtesten, da einfach herzustellen: Sie besteht aus einem Brett und Querhölzern, damit die Pfoten Halt finden. Es gibt weiter die Zickzacktreppe oder die Wendeltreppe, die man gerne von einem Schreiner anfertigen lässt. Manchmal sind die Stufen direkt an der Fassade befestigt, manchmal dient ein Baum als Stütze oder der Briefkasten, das Vordach der Eingangstür, das Regenrohr.

Hier muss die Katze zwei Katzenleitern benutzen, bis sie daheim ist. (Bild: Brigitte Schuster)

Hier muss die Katze zwei Katzenleitern benutzen, bis sie daheim ist. (Bild: Brigitte Schuster)

Katzenleitern können schwindelerregend weit hinaufführen, sie sind sechs, acht, sogar zehn Meter lang, weshalb ängstliche Besitzer sie mit einem Geländer versehen oder darunter ein Netz spannen. Tierheime, die schon keine Katzen abgeben, wenn Terrassen ungesichert sind, dürfte das freuen. Doch wenn man bedenkt, wie Katzen über Dachfirste balancieren oder Bäume erklettern, scheinen solche Massnahmen eher an menschlichen Bedürfnissen orientiert. Wie so vieles.

Denn eine Katze kann instinktiv einschätzen, wie sicher eine Unterlage ist. Auch auf einem Baum würde sie sich nicht auf Äste wagen, die unter ihrem Gewicht einknicken. Sie ist von Vorsicht geleitet, deshalb getrauen sich manche Katzen ihr Leben lang nie auf eine Katzenleiter: Selbst wenn andere Katzen im Haushalt täglich in den Ausgang gehen und vorzeigen, dass der Abstieg machbar ist.

Übrigens kann man eher selten beobachten, wie eine Katze die Leiter benutzt, da die Tiere nicht darauf verweilen. Deshalb fehlen Katzen auch auf den meisten von Brigitte Schusters Bildern. Für eine Katze ist der Weg über die Katzenleiter definitiv nicht das Ziel. Vielmehr verbindet die Leiter das Leben des Raubtiers, das mit eigener Agenda unbekannte Wege geht, mit dem Dasein des warmen, schnurrenden Wesens, das die Nähe von Menschen sucht.

Brigitte Schuster: «Architektur für die Katz. Schweizer Katzenleitern». Deutsch/Englisch. Christoph-Merian-Verlag, Basel 2019. 320 S., 126 farbige Abb., Fr. 44.–.

Fast wie Kunst am Bau: eine Hühnerleiter, die im Zickzack nach oben führt, (Bild: Brigitte Schuster)

Fast wie Kunst am Bau: eine Hühnerleiter, die im Zickzack nach oben führt, (Bild: Brigitte Schuster)