Kommentar

Steinmeier ist ein Präsident der Phrasen

Das deutsche Staatsoberhaupt hat wenig Macht, es soll sich nicht in die Tagespolitik einmischen und trotzdem als Führungspersönlichkeit auf die Gesellschaft einwirken. Das einzige Mittel dafür ist die deutsche Sprache. Kaum einer hat sie je so schlecht behandelt wie der Amtsinhaber.

Marc Felix Serrao, Berlin
Drucken
Bloss keine Überraschungen: Frank-Walter Steinmeier. (Foto: Adam Berry / Getty)

Bloss keine Überraschungen: Frank-Walter Steinmeier. (Foto: Adam Berry / Getty)

Der deutsche Bundespräsident hat dem «Spiegel» vor ein paar Tagen ein Interview gegeben. Wer das nicht mitbekommen oder es schon wieder vergessen hat, muss sich nicht grämen. Er oder sie ist nicht allein.

Frank-Walter Steinmeier, 63 Jahre alt und seit 2017 Inhaber des höchsten Amts der Bundesrepublik, hat in seinem Leben noch kaum einen Satz formuliert, an den man sich erinnern könnte. Menschen, die ihn kennen, bezeichnen ihn als klug, sogar humorvoll. Aber sobald er öffentlich spricht, wirkt es, als würde er seiner Muttersprache den Krieg erklären. Neben einem stark ausgeprägten Hang zu Floskeln und Phrasen ist das, was Steinmeier inhaltlich sagt, auf eine Weise überraschungsfrei, dass es fast komisch wirkt. Wollte man eine Komödie über einen biederen Beamten drehen, der irrtümlich ins höchste Staatsamt purzelt und versucht, es irgendwie auszufüllen: Er wäre die Idealbesetzung.

Ein typischer Steinmeier-Satz klingt so: «Wenn Engagement für die Demokratie und Respekt vor den Institutionen der Demokratie nicht mehr selbstverständlich sind, sollten wir darüber nicht zur Tagesordnung übergehen.» Oder so: «Wenn wir die Demokratie gegen ihre Skeptiker verteidigen wollen, werden wir wohl einen etwas längeren Atem brauchen.» Wieviel Kaffee die «Spiegel»-Redakteure wohl gebraucht haben, um beim Abtippen solcher Sätze nicht wegzudämmern?

Reden halten und Karten schreiben

Sicher, das Amt ist kein einfaches. Wirklich wichtig wird es nur, wenn die Machtverhältnisse wackeln, etwa im Falle einer verlorenen Vertrauensfrage. Der Alltag besteht aus dem Empfang von Botschaftern, der Pflege von Schirmherrschaften und Glückwünschen zum 100. Geburtstag. Trotzdem soll vom Amt eine «geistig-moralische Wirkung» ausgehen, wie es das Verfassungsgericht formuliert hat.

Wie viele der bisher zwölf Präsidenten diesem Anspruch gerecht geworden sind, darüber liesse sich lange streiten. Fest steht, dass keiner an die Eleganz und die weltanschauliche Klarheit des ersten Staatsoberhaupts Theodor Heuss herangekommen ist. Als «Scholar and Gentleman» würdigte ihn die britische «Times» einmal. Kaum vorstellbar, dass Steinmeier zu solchen Ehren kommt.

2016 bezeichnete er Donald Trump als «Hassprediger». Steinmeier war da noch nicht Bundespräsident, aber er war ein erfahrener Politiker, und seine Attacke war kein Ausrutscher. Sie steht symptomatisch für eine weitere Eigenschaft, welche die rhetorische Schwäche ergänzt: Steinmeier war und ist ein Fähnchen (heute eine Nationalfahne) im Wind der Mehrheitsmeinung. Er hat schon immer ausnahmslos Dinge gesagt, die man zuvor in zig Kommentaren deutscher Leitmedien lesen, hören oder sehen konnte. Er wiederholt sie nur mit weniger Sprachgefühl.

Der Diskurs-Bademeister

Im «Spiegel»-Interview etwa sprach er der AfD indirekt ab, eine bürgerliche Partei zu sein. Die Aussage stimmt zwar, aber Steinmeiers Vorschläge für den Umgang mit der Partei waren eine einzige Ansammlung von Kalendersprüchen. «Die Menschen» erwarteten, dass «die Politik» ihre Probleme adressiere, erklärte er. Demokratischer Streit brauche Regeln. Gesellschaftlicher Zusammenhalt sei ohne Kompromisse nicht zu haben. Und so weiter.

«Der Bundespräsident darf, ja er muss vor der rohen Bürgerlichkeit warnen», erklärte Heribert Prantl diese Woche mit feierlich gerolltem «R». Ja, muss er? Was wäre, wenn er darauf verzichten würde? Würde die Republik ohne Steinmeiers Phrasen in die Radikalisierung torkeln? Braucht sie den Diskurs-Bademeister, der die geistig-moralischen Bahnen absteckt?

Das Organ des Bundespräsidenten ist an sich eine sinnvolle Einrichtung. Ein neutraler Wächter des geordneten Machtwechsels wird angesichts der parteipolitischen Verhältnisse in Deutschland künftig eher wichtiger werden. In dieser Funktion könnte auch Steinmeier seinem Land noch Dienste erweisen. Viel sagen muss er dafür aber nicht.