Der Drehbuchautor und Regisseur Billy Wilder im Herbst 1969. (Bild: Evening Standard / Hulton Archive / Getty)

Der Drehbuchautor und Regisseur Billy Wilder im Herbst 1969. (Bild: Evening Standard / Hulton Archive / Getty)

«Marilyn Monroe war ein endloses Rätsel ohne jede Lösung», erzählte der grosse Billy Wilder im Gespräch mit Cameron Crowe

Wenn ein Filmemacher einem anderen Rede und Antwort steht, kommt mitunter ein unbändiger Schatz heraus: In dem wieder aufgelegten Gesprächsband «Hat es Spass gemacht, Mr. Wilder?» erfährt man vieles aus Billy Wilders Werdegang aus erster Hand.

Tobias Sedlmaier
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Der Künstler rennt stets der eigenen Kunst hinterher. Er kommentiert sie, ordnet ein, muss verteidigen. Dabei steht sein Werk autonom. Es kann (oder sollte zumindest) auch ohne seine Erklärungen oder Rechtfertigungen Bestand vor der Welt haben. Dennoch liegt ein Reiz im Gespräch mit den geistigen Schöpfern dieser Welt, will man etwas über historische Hintergründe, veränderte Prozesse und gewachsene Strukturen erfahren. Im besten Fall kann dem Dialog zwischen Frager und Befragtem eine neue Kunstform entwachsen.

Die Technik, einen absoluten Meisterregisseur zu interviewen, hat François Truffaut in seinem Buch «Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?» perfektioniert. Auf Augenhöhe unterhalten sich hier zwei der grössten Meister ihrer Zeit und Zunft über ihre Arbeit. Das Gespräch bietet dem Leser gleich ein komplettes Einführungsseminar über Produktion sowie Analyse des Mediums Film und lässt persönliche Geschichten jenseits der Leinwand lebendig werden.

Die Rolle lehnte er ab, das Interview klappte

Ein ähnliches Unterfangen wagte der junge Regisseur Cameron Crowe 1998 mit dem alten Billy Wilder. Crowe kam vom Journalismus, hatte mit Bands getourt, lange beim «Rolling Stone» als Redaktor für Rockmusik gearbeitet und danach zwei Spielfilme gedreht, «Say Anything . . .» (1989) und «Singles» (1992). Bei seinem dritten Streich «Jerry Maguire», der ihm 1996 den Durchbruch in Hollywood bescherte, versuchte er zunächst, Wilder für eine Rolle als Mentor des Titelhelden, eines Sportmanagers, zu gewinnen.

Doch selbst ein persönlicher Überzeugungsversuch mit Tom Cruise, dem Star des Films, schlug fehl. Wilder verweigerte sich dem Schauspiel für den Kollegen, Jared Jussim übernahm. Erfolgreicher endete dafür die Anfrage, den für Crowe prägenden Regisseur für eine Serie von Gesprächen zu gewinnen, aus der schliesslich ein ganzer Interview-Band hervorging. Nun, wiederaufgelegt vom Zürcher Kampa-Verlag in seiner Reihe «Kampa-Salon», stellt der mit Filmografie und Register ausgestattete Band eine Art ungeschnittenes Work in Progress dar.

Szene aus dem deutschen Stummfilm «Menschen am Sonntag», bei dem Wilder das Drehbuch schrieb und Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer Regie führten. (Bild: PD)

Szene aus dem deutschen Stummfilm «Menschen am Sonntag», bei dem Wilder das Drehbuch schrieb und Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer Regie führten. (Bild: PD)

«Hat es Spass gemacht, Mr. Wilder?» ist ein neunteiliges Gesprächsprotokoll, ungeschnitten wie das Rohmaterial eines Films, mit allen Nachfragen und Redundanzen – und dennoch verdammt unterhaltsam. Etwaige Unterbrechungen, etwa wenn Wilder ungeduldig Anfragen am Telefon abwimmelt, sind ebenso aufgenommen wie gemeinsam mit Wilders Ehefrau unternommene Restaurantbesuche oder die Beschwerden des stets überpünktlichen Meisters, wenn der junge Crowe mal wieder fünf Minuten zu spät zur Tür hereinhastet.

Eigentlich wollte Billy Wilder nur ein paar Stunden lang Auskunft geben; letztlich werden jedoch mit grosser Detailfreude Leben und Werk eines der einflussreichsten Regisseure und Schriftsteller, die jemals Fuss nach Hollywood gesetzt haben, ausgebreitet. Alles in allem erinnert sich der damals 92-Jährige, der 2002 starb, erstaunlich detailliert an alte Wegmarken und -gefährten, von den frühen Jahren in Wien und Berlin bis hin zu den späten Produktionen wie «Avanti, Avanti» oder «Fedora».

Billy-Wilder-Werkschau im Filmpodium Zürich

Von 1. Juli bis 26. September läuft im Filmpodium Zürich eine Werkschau zu Billy Wilder. Mit 32 Filmen unter Wilders Beteiligung, sowohl als Regisseur als auch als Drehbuchautor, wird eine sehr weite Auswahl aus dem Schaffen abgedeckt, darunter die grossen Klassiker wie der in Deutschland entstandene Berlin-Film «Menschen am Sonntag», die Hollywood-Produktionen «The Apartment» , «Double Indemnity», «Sunset Boulevard», «The Seven Year Itch» oder «One, Two, Three». Aber auch weniger populäre Perlen wie «The Front Page» oder «The Private Life of Sherlock Holmes» sind der Entdeckung unbedingt wert.

Im Jahr 1933, unmittelbar nach dem Reichstagsbrand via Paris in die Vereinigten Staaten geflohen, hatte sich Wilder wie wohl kein Zweiter der aus Deutschland Emigrierten die englische Sprache angeeignet. Dabei wechselte er, damals sehr unüblich, bald vom Drehbuchautor zum Regisseur, blieb jedoch beiden Gebieten treu – und war dennoch nie mit der jeweiligen Rolle zufrieden: «Wenn ich schrieb, hätte ich gern inszeniert. Wenn ich inszenierte, hätte ich gern geschrieben.» Dabei schaffte er es, wortgewandte Dialoge auf dem Regiestuhl in pures Komödiengold zu verwandeln.

Das Lachen nehmen wir immer mit

Doch wäre es zu einfach, würde man Wilder lediglich auf die offensichtlich witzigen Aspekte in seinen Klassikern reduzieren, etwa in «The Apartment», dem Film, den er selbst mit lässigem Understatement als den mit den «wenigsten erkennbaren Fehlern» ansah. Denn stets schwingt bei Wilder die Einsamkeit des Entwurzelten mit, ein heimliches Bedauern und zugleich eine stille Freude daran, dass der Mensch ein so ungenügendes und untreues Wesen ist. Doch letzten Endes ist es meistens das Lachen, das wir mitnehmen aus seinen Komödien, die nie ehrfurchtgebietender und schwerer wirken sollten, als sie tatsächlich sind. Und man darf nicht vergessen, dass der gebürtige Österreicher auch in anderen Genres, wie dem Film Noir, bleibende Spuren hinterlassen hat.

C. C. Baxter (Jack Lemmon) ist fasziniert von der Fahrstuhlführerin Fran (Shirley MacLaine) in «The Apartment». (Bild: PD)

C. C. Baxter (Jack Lemmon) ist fasziniert von der Fahrstuhlführerin Fran (Shirley MacLaine) in «The Apartment». (Bild: PD)

Der extrem ehrgeizige Wilder hatte das Talent, die Erwartungen des Publikums mit dem eigenen künstlerischen Anspruch zu versöhnen, ohne dabei gekünstelt zu wirken: «Ich positioniere die Kamera nicht an einer Stelle, die offensichtlich falsch ist. Ich filme ein Zimmer nicht durch die Flammen im Kamin, denn das wäre die Perspektive des Weihnachtsmanns.» Sieht man seine alten Filme wieder, bemerkt man eine perfekt harmonische, inzwischen fast ausgestorben scheinende Balance zwischen intellektueller Kultiviertheit und schreiend lustigem Humor: «Ich wollte nur den Geschmack des Durchschnittsbürgers ein wenig verbessern, nur ein bisschen.»

Die Intuition für das, was sich wahr anfühlte, die präzise Beobachtungsgabe für die oft so widersprüchliche Conditio humana teilte Wilder sich mit seinem Vorbild, dem 1922 in die USA emigrierten Ernst Lubitsch. Dessen spezieller «Touch» war es, auf jeden erwartbaren Witz noch eine unvorhersehbare Pointe oben draufzusetzen. Das exakte Timing der Gags, zu dem die gezielten Höhepunkte ebenso gehören wie richtig gesetzte Pausen, zieht sich ebenso durch Wilders Werke. Für Lubitsch schrieb er die Drehbücher zu «Ninotschka» und «Bluebeard’s Eighth Wife». Zur Legende geworden ist ein Accessoire in Wilders Büro: An der Wand hing ein Schild, darauf stand: «Wie hätte Lubitsch es gemacht?»

Zärtliche bis versöhnliche Reminiszenzen

Besonders unterhaltsam sind freilich die Passagen, in denen Wilder über die Begegnungen und den gelegentlich schwierigen Umgang mit den Stars und Diven seiner Zeit plaudert. Humphrey Bogart, Jack Lemmon, Marlene Dietrich, Audrey Hepburn, Shirley MacLaine: Mit ihnen hat der selbst nicht gerade sehr umgängliche Wilder gearbeitet, alle werden teils boshaft, teils zärtlich, versöhnend reminisziert. («Bogart hat immer den Helden gespielt, und am Ende war er wirklich einer.»)

Eines der bekanntesten Bilder von Marilyn Monroe stammt aus dem Wilder-Film «The Seven Year Itch» von 1955. (Bild: PD)

Eines der bekanntesten Bilder von Marilyn Monroe stammt aus dem Wilder-Film «The Seven Year Itch» von 1955. (Bild: PD)

Der grösste und am stärksten mit Wilder assoziierte Star war sicherlich Marilyn Monroe, deren hochflatterndes Kleid 1955 in «The Seven Year Itch» zur ikonischen Szene der Filmgeschichte wurde. «Es kam zu Kämpfen unter den Technikern, als es darum ging, wer im Schacht unter dem Gitter den Ventilator betätigen sollte», wie sich der Regisseur erinnert. Nicht immer hatte er es leicht mit der Frau von «eleganter Vulgarität», die nie pünktlich am Set auftauchte, einen einzelnen Satz wie «It’s me, Sugar» 50 Mal falsch aufsagte – und dann eine komplizierte Drei-Minuten-Szene auf Anhieb perfekt hinbekam. Doch Wilder verzieh ihr immer: «Sie war ein endloses Rätsel ohne jede Lösung.»

Cameron Crowe: Hat es Spass gemacht, Mr. Wilder? Gespräche mit Billy Wilder. Aus dem Englischen von Rolf Thissen. Kampa, Zürich 2019. 496 Seiten, Fr. 36.90.

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