Das heisse Gas zwischen den Galaxien sendet ein Lebenszeichen

18 Tage lang haben Astronomen eine weit entfernte Quelle von Röntgenlicht observiert. Der Aufwand hat sich gelohnt. Jetzt glauben sie zu wissen, wo sich der vermisste Teil der gewöhnlichen Materie verbirgt.

Christian Speicher
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Diese Darstellung veranschaulicht das Messprinzip. Das Röntgenlicht des fernen Quasars passiert auf seinem Weg zur Erde zwei Filamente des kosmischen Netzes. Die vom Röntgenteleskop gemessenen Absorptionslinien erlauben einen Rückschluss auf die Dichte des Gases in den Filamenten. (Bild: ESA)

Diese Darstellung veranschaulicht das Messprinzip. Das Röntgenlicht des fernen Quasars passiert auf seinem Weg zur Erde zwei Filamente des kosmischen Netzes. Die vom Röntgenteleskop gemessenen Absorptionslinien erlauben einen Rückschluss auf die Dichte des Gases in den Filamenten. (Bild: ESA)

Es ist erschreckend, wie wenig wir über unser Universum wissen. Glaubt man dem Standardmodell der Kosmologie, besteht unser Kosmos fast gänzlich aus «dunklen» Materie- und Energieformen, die sich bis heute einem Nachweis entziehen. Die uns geläufige Form der Materie macht gerade einmal 5 Prozent aus – ein kleiner Farbtupfer in einem Meer aus Dunkelheit. Tatsächlich ist unsere Unwissenheit sogar noch grösser. Denn auch von der gewöhnlichen Materie wusste man bisher nur teilweise, wo sie sich verbirgt: 40 Prozent wurden vermisst. In der Fachzeitschrift «Nature» berichten Astronomen nun, sie hätten die vermisste Materie aufgespürt. Sie soll sich im heissen Medium zwischen den Galaxien verstecken.

Wo ist die Materie hin?

Durch Untersuchungen der kosmischen Hintergrundstrahlung wissen Astronomen ziemlich genau, wie viel gewöhnliche Materie das Universum 380 000 Jahre nach dem Urknall enthielt. Etwa 7 Prozent dieser Materie endeten in Sternen. Der Rest ist gasförmig und verteilt sich auf Galaxien, Galaxienhaufen sowie das intergalaktische Medium. Summiert man allerdings alle bekannten Formen der gewöhnlichen Materie auf, erlebt man eine Überraschung: Man kommt nur auf 60 Prozent der ursprünglich vorhandenen Menge. Der Rest scheint von der Bildfläche verschwunden zu sein.

Wo sich die gewöhnliche Materie im Weltall verbirgt

Wo sich die gewöhnliche Materie im Weltall verbirgt

Astronomen haben schon seit längerem eine Vermutung, wo sich das vermisste Gas – vornehmlich handelt es sich um Wasserstoff – verbergen könnte. Wie man heute weiss, wird das Universum von einem gewaltigen Netzwerk aus dunkler und gewöhnlicher Materie durchzogen. In den Kreuzungspunkten dieses Netzes hat sich die Materie vor vielen Milliarden Jahren zu Galaxien und Galaxienhaufen zusammengeballt. In den langen Filamenten zwischen den Galaxien ist die Materie hingegen so stark verdünnt, dass sie sich nicht ohne weiteres beobachten lässt. Das gilt vor allem für den heissen Teil des Gases, der bei Temperaturen von einer Million Grad stark ionisiert ist.

Mit dem Röntgenteleskop XMM-Newton der ESA ist es einer Gruppe um Fabrizio Nicastro vom Astronomischen Observatorium in Rom nun erstmals gelungen, einen Blick auf das heisse Gas im intergalaktischen Medium zu werfen. Zu diesem Zweck nahmen die Forscher über eine längere Zeitdauer hinweg einen weit entfernten Quasar ins Visier. Die Analyse des Röntgenspektrums ergab, dass das Licht des Quasars an zwei Stellen von ionisiertem Sauerstoff absorbiert worden war. Offenbar hatte es an diesen beiden Stellen Filamente des kosmischen Netzes gekreuzt.

Anhand der Daten konnten die Forscher die Dichte und die Temperatur des Gases in den beiden Filamenten berechnen. Ihr Fazit lautet: Das heisse Gas im intergalaktischen Medium macht zwischen 9 und 40 Prozent der gewöhnlichen Materie aus. Diese Abschätzung sei zwar mit einer relativ grossen Unsicherheit behaftet, räumt Nicastro ein. Im besten Fall schliesse sich aber die Lücke in der Bilanz der gewöhnlichen Materie.

Eine Bestätigung steht noch aus

Jean-Paul Kneib von der ETH Lausanne zweifelt nicht daran, dass den Forschern eine wichtige Entdeckung gelungen ist. Bei den Schlussfolgerungen wäre er allerdings vorsichtiger. So müsse man zum Beispiel ausschliessen, dass das Röntgenlicht nicht im intergalaktischen Medium, sondern vom Gas im Vorhof einer Galaxie absorbiert worden sei. Nicastro verneint diese Möglichkeit. Dafür sei das Gas zu heiss.

Für Kneib stellt sich zudem die Frage, wie repräsentativ die beiden Filamente sind. Er plädiert dafür, weitere Messungen abzuwarten, bevor man endgültige Schlussfolgerungen zieht. Das erfordert allerdings Geduld. Für die jetzige Messung stand das XMM-Newton-Teleskop 18 Tage im Einsatz. So viel Messzeit gewährt die ESA nicht alle Tage. Kneibs Hoffnungen ruhen deshalb auf dem Athena-Weltraumteleskop, das im Jahr 2028 startklar sein soll. Dieses Röntgenteleskop wird wesentlich empfindlicher als XMM-Newton sein. Damit ist es für die Untersuchung des heissen Gases im intergalaktischen Medium prädestiniert.

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