Wolfgang Beltracchi an seinem Arbeitsplatz in einer Ecke des Ateliers in Meggen, wo er gerade an einem «Monet» arbeitet. Rechts eine Studie zu den italienischen Expressionisten. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Wolfgang Beltracchi an seinem Arbeitsplatz in einer Ecke des Ateliers in Meggen, wo er gerade an einem «Monet» arbeitet. Rechts eine Studie zu den italienischen Expressionisten. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Interview

«Schönheit ist in der heutigen Kunst das wahre Skandalon»

Wolfgang Beltracchi hat als Kunstfälscher Karriere gemacht und wurde verurteilt. Nun führt er ein zweites Leben als Künstler mit eigener Handschrift. Vom Geniekult hält er wenig – ebenso wie von der internationalen Kunstszene, die vor allem das Hässliche zelebriere. Im grossen Interview entzaubert er die Mythen des Kunstbetriebs.

René Scheu
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Herr Beltracchi, wenn Sie auftreten oder ausstellen, kommen die Leute in Scharen. Dann fallen zuverlässig die Prädikate «Meisterfälscher» oder «Jahrhundertfälscher». Welchen Klang haben diese Worte für Sie?

Ach. Hm. «Meister» ist schon mal nicht schlecht. (Überlegt.) Schauen Sie: Ich sehe mich als Malermeister, so verstehe ich mich wirklich, als ein Meister meines Fachs. Dass ich das Fach beherrsche, habe ich, wie ich meine, hinreichend bewiesen.

Allein, Kunst ist mehr als malen – oder hat in Ihren Augen das 20. Jahrhundert nicht stattgefunden?

Doch, doch, da hat schon was stattgefunden. Und die Kunstgeschichte ist auch eins meiner Steckenpferde. Nur, ich gehöre nicht zu denen, die glauben, Kunst müsse hässlich und abstossend sein, damit sie sich als Kunst ausweise. Das würde ja bedeuten, dass schöne Kunst keine Kunst wäre. Diese Vorstellung halte ich sogar für komplett absurd. Selbstverständlich darf, ja soll Kunst auch schön sein. Ich sage das jetzt mal klipp und klar: Ich finde schöne Kunst am schönsten.

Damit geben Sie sich als Kunst-Nostalgiker zu erkennen.

Meinetwegen. Solche Schablonen perlen an mir ab. Es gibt an den Hochschulen der Künste Meisterklassen. Die Schüler, die das Studium abschliessen, sind Meisterschüler. Das hört sich gut an. Aber die Substanz hinter der Etikette hat sich längst verflüchtigt. Denn niemand ist heute mehr ein Meister – schon gar nicht an Hochschulen. Was folgt daraus? Die Abgänger sind gar keine Meisterschüler, sie nennen sich nur so.

Wie meinen Sie das genau?

Die Professoren kennen die Kunst des 20. Jahrhunderts, sie verstehen alles Mögliche von allem Möglichen. Sie sind Experten der Dialektik, philosophisch hoch gebildet, eloquent. Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur beherrschen sie ihr Fach nicht mehr, das Malen.

Kunst ist für Sie also eine höhere Form des Handwerks?

Ohne Handwerk keine Kunst. Es hapert heute überall am Handwerklichen. Das sagen mir auch die Studenten, wenn sie mir traurig zurufen: «Herr Beltracchi, wir haben das Aktzeichnen nie gelernt, wir haben das anatomische Zeichnen nicht genug geübt.» Die Professoren tun so, als sei dieses Handwerk rückständig, Kunst von gestern. Sie tun so, als wollten sie das nicht. In Wahrheit jedoch können sie es einfach nicht.

Sie sind ein lebender Anachronismus!

Stimmt haargenau. So ist es, ich bekenne mich zur klassischen Kunst.

Ein Beltracchi im Stile des italienischen Expressionismus. Das Gemälde stellt den ersten Bankraub der Geschichte dar, der mit einem Automobil ausgeführt wurde. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Ein Beltracchi im Stile des italienischen Expressionismus. Das Gemälde stellt den ersten Bankraub der Geschichte dar, der mit einem Automobil ausgeführt wurde. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Sie meinen: zu einem genuinen Naturalismus?

Nennen Sie es, wie Sie es mögen. Es gibt jedenfalls eine Entsprechung von Bild und Gegenstand, und es ist das Können des Künstlers, das diese Entsprechung zu schaffen vermag. In zwanzig, dreissig Jahren ist das, was ich mache, nicht mehr ein Anachronismus, es wird bloss noch eine Reminiszenz sein. Aber das kümmert mich nicht im Geringsten.

Naturalistische Kunst hat einen unbestreitbaren Vorteil: Sie lässt sich zeigen. Und damit lässt sie sich auch verkaufen. Installationskunst stellt kaum jemand freiwillig aus – das ist sozusagen reine Museumskunst, fürs Museum gemacht.

Die Speicher der Museen sind vollgepfercht mit solchem Zeug, die wissen nicht mehr, wohin damit. Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen, Installations- und Videokunst faszinieren mich durchaus. Ich meine, das sind ja oftmals völlig verrückte Sachen. Traurig finde ich nur, dass das Handwerkliche darob vergessen geht und ausstirbt.

Wenn ich mit meinen Kindern ins Kunsthaus gehe und die permanente Sammlung durchschreite, dann sind die Kleinen von allen möglichen Gemälden fasziniert. Die Epoche spielt keine Rolle, sie tauchen ein in ferne Welten. Alberto Giacometti geht auch noch, vor allem sein Hund gehört zum Pflichtprogramm. Neuerer Kunst hingegen begegnen sie mit Unverständnis. Sie werden unruhig und sagen: «Papa, hat hier jemand etwas liegengelassen?»

Die Kunst wird in dem Moment eine Spezialität für Kunstexperten, in dem sie a) nicht mehr schön ist oder b) erklärungsbedürftig.

Die Kunstlaien spielen das Spiel mit?

So sieht’s aus. Menschen wie Sie und ich verstehen Kunst schon lange nicht mehr. Keiner versteht’s. Die Museums- und Kunstmacher wollen auch gar nicht, dass der kommune Bürger das versteht. Denn da geht’s – nun kommt’s – um ein Herrschaftswissen, das nur wenigen vorbehalten ist.

Und die Kinder wären also die Einzigen, die sagen: «Schau mal Papa, der Kaiser ist nackt!»?

Natürlich. Denn wer outet sich schon gerne als Kulturbanause? Ich war schon ein paar Mal im Kunstmuseum in Barcelona, und noch jedes Mal habe ich eine Depression bekommen. Das Gebäude ist zwar wirklich toll, aber da geht keiner mehr rein. Du fühlst dich einsam in der Sammlung, und wenn du dann die ganzen Werke anschaust, stösst du auf eine Art künstlerische Daueranklage. Irgendwann geht’s dir einfach mies, da kannst du nichts machen. Und wer will sich schon dauernd mies fühlen?

Im Gegenzug rennen die Leute zu Hunderttausenden in die Ausstellungen mit Werken der alten Meister oder der klassischen Moderne.

Das tun sie aus einem einfachen Grund: weil sie eben schön finden, was sie da sehen. Schönheit ist in der heutigen Kunst das wahre Skandalon.

Schönheit aber liegt im Auge des Betrachters – und die Standards ändern sich mit der Zeit. Giacometti galt vor fünfzig Jahren auch nicht als ästhetisch ansprechend.

Das mag schon sein. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass der postmoderne Brutismus irgendwann mal als schön oder sehenswert gelten wird? Das bleibt Stoff für Kunsthistoriker. Und warum verkaufe ich meine Bilder so gut? Weil die Leute sagen: Das gefällt mir aber, das muss ich haben. Ich komme mit der Produktion gar nicht nach.

Es gibt eine Rezeptionsästhetik des Germanisten Emil Staiger mit einer einfachen Grundthese: Erst wenn der Funke vom Werk auf den Leser oder Betrachter überspringt, kommt eine plausible Interpretation in Gang. Ohne diese Ergriffenheit ist alles nichts.

Der Mensch muss berührt werden von einem Bild. Wird er es nicht und kauft es trotzdem, ist er entweder ein Bluffer oder ein Spekulant. Beides ist okay, aber beides führt die Kunst ad absurdum.

Viele Sammler behaupten, dass sie ein Werk nur kaufen, wenn sie einen Bezug zu ihm haben, der Funke also übergesprungen ist. Ihnen müsste also egal sein, ob sie einen Max Ernst oder einen Wolfgang Beltracchi in ihrem Wohnzimmer hängen haben – denn die Tatsache, dass das Werk da hängt, beweist ja: Sie wurden von ihm berührt.

So müsste es sein. Aber so ist es nicht immer. Rhetorik und Realität klaffen auseinander. Hier zeigt sich, wie verlogen der ganze Betrieb sein kann.

Und was ist mit der mutmasslichen Aura eines Kunstwerks?

Blödsinn. Es gibt keine Aura. Benjamin lag falsch.

Benjamin definierte die Aura als «einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag». Können Sie damit gar nichts anfangen?

Nein. Ich habe ja durch mein Tun bewiesen, dass die Aura nicht einmalig ist – man kann sie nach Belieben herstellen. So gesehen, gibt es weder einmalige Künstler noch einmalige Kunstwerke. Heute fühlt sich jeder als ein kleines Genie. Die Wahrheit ist: Es gibt keine Genies – mit Ausnahme von ganz wenigen. Das mag einige schmerzen, aber so ist es nun mal.

Sie halten sich selbst nicht für ein Genie?

Dieses Prädikat lehne ich völlig ab. Mir geht es um Können und Begabung, in einem Wort: um Vermögen.

Der Kunstfälscher Han van Meegeren wurde 1945 verdächtigt, holländisches Kulturgut verkauft zu haben. Nach drei Tagen Untersuchungshaft gestand er, die Bilder selbst gemalt zu haben. Man glaubte ihm nicht – und van Meegeren fälschte unter Anwesenheit von Zeugen seinen letzten Vermeer, «Jesus unter den Schriftgelehrten». (Bild: Koos Raucamp / Nationaal Archief NL)

Der Kunstfälscher Han van Meegeren wurde 1945 verdächtigt, holländisches Kulturgut verkauft zu haben. Nach drei Tagen Untersuchungshaft gestand er, die Bilder selbst gemalt zu haben. Man glaubte ihm nicht – und van Meegeren fälschte unter Anwesenheit von Zeugen seinen letzten Vermeer, «Jesus unter den Schriftgelehrten». (Bild: Koos Raucamp / Nationaal Archief NL)

Sehen Sie sich in einer Reihe mit Fälschern wie Han van Meegeren, Elmyr de Hory, der von Orson Welles in «F for Fake» ein Filmdenkmal erhielt, oder auch Eric Hebborn, dem Meisterfälscher von Altmeister-Zeichnungen?

Ganz ehrlich und unbescheiden: Da bin ich schon ein paar Nummern grösser. Meine Könnerschaft reicht weit über deren Leistung, die ich durchaus anerkenne, hinaus.

Sie haben genaugenommen kein einziges bestehendes Werk eines Künstlers gefälscht. Sie haben vielmehr Bilder geschaffen, von denen Sie glaubten, dass sie im Œuvre eines Max Ernst oder Heinrich Campendonk fehlten, oder positiv gewendet: existieren müssten. Und dann haben Sie nachgeholfen, allerdings haben Sie – und das war das Corpus Delicti – mit fremdem, also falschem Namen signiert. Sie sind also kein Kunstfälscher, sondern ein Urkundenfälscher.

Das ist korrekt. Ich wurde in der Tat für Urkundenfälschung und Betrug verurteilt, weil ich durch falsche Signaturen die Leute getäuscht und weil ich die Bilder unter falschem Namen verkauft habe. Die Sache allerdings ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Denn viele renommierte Kunstexperten haben die inkriminierten Werke ja für echt erklärt. Und da die mutmasslichen Autoren keine Auskunft mehr geben konnten, weil sie längst verstorben waren, gelten diese Experten eben als letzte Wahrheitsinstanz.

Der ungarische Maler und Kunstfälscher Elmyr de Hory (1906–1976) rühmte sich damit, tausende Gemälden gefälscht und verkauft zu haben. (Bild: William Lovelace / Getty)

Der ungarische Maler und Kunstfälscher Elmyr de Hory (1906–1976) rühmte sich damit, tausende Gemälden gefälscht und verkauft zu haben. (Bild: William Lovelace / Getty)

Sie wurden 2011 vom Landesgericht Köln verurteilt. Überführt wurden Sie durch einen Campendonk, der ein Titanweiss enthielt, das es zur Entstehungszeit des Werkes unmöglich gegeben haben konnte. Nicht die Experten erkannten das Bild als Fälschung, sondern die Chemiker.

So einfach war es nicht! Im Zivilprozess haben alle Gutachten behauptet, das Bild sei echt, trotz Titanweiss. Dann wurde es dem Gericht zu bunt, und sie verlangten ein Obergutachten von einer deutschen Museumsdirektorin, die sich mit Expressionismus gut auskannte. Sie kam ebenfalls zum Schluss, dass es sich dabei um einen echten Campendonk handelte. Erst im darauffolgenden Strafprozess wurde ich verurteilt, weil ich gestand.

Worin bestand für Sie damals der Reiz des Fälschens?

Das Handwerkliche – die Handschrift – war perfekt. Es gab aber auch zahlreiche chemische Expertisen, die für die Echtheit der Werke bürgten. Alle waren euphorisch, die Museumsdirektoren, die Kunsthistoriker, die Auktionatoren, die Sammler – alle sagten: Dieses Werk hat die Geschichte geprägt. Und du weisst im Stillen, dass du allein das Werk geschaffen hast. Du hast also Geschichte geschrieben. Dieses Wissen, diese Gewissheit, diese Anerkennung gab mir einen unheimlichen Kick.

Verstanden. Worin aber besteht das Geniessen genau? Ist es die Gewissheit, handwerklich besser zu sein als das angebliche Künstlergenie? Ist es ein Überlegenheitsgefühl, weil Sie alle involvierten Parteien an der Nase herumführen können?

Natürlich finde ich alle die Typen lächerlich, die behaupten, sie hätten ein besonderes Auge und könnten die Handschrift eines Künstlers erkennen. Ich finde auch die Rede vom Künstlergenie lächerlich. Dieses ganze angemasste Herrschaftswissen ist ja ein grosser Witz. Das gebe ich gerne zu, aber darum ging es mir nicht. Es war ein stilles Geniessen. Ich habe durch mein Schaffen die Kunstgeschichte verändert, und ich tat das nur für mich.

Sie haben aber selbst eine Herrschaftsposition eingenommen: Sie haben alle beobachtet, während Sie selbst unbeobachtet agieren konnten.

Das stimmt. Aber man muss immer den Ausgangspunkt sehen. Ich habe nun mal den genetischen Defekt, dass ich Handschriften von Künstlern erkennen und mir zu eigen machen kann. Ich stelle mich vor ein Bild, ich fühle mich in das Bild hinein, ich dringe in das Unterbewusste des Künstlers ein, ohne mir etwas dabei zu denken, ganz intuitiv, und dann weiss ich: So kann ich auch malen. Ich tat also einfach, was ich – und nur ich – tun konnte.

Wann haben Sie dieses Talent an sich selbst entdeckt?

Ich hatte es schon als Kind, bemerkt habe ich es allerdings erst später. Ich erinnere mich noch genau: Die ersten Bilder habe ich im Museum in Amsterdam gesehen. Ich bin halber Holländer, mein Grossvater besass Windmühlen. In den Ferien besuchten wir die Verwandten im Norden, und die schleppten mich immer ins Museum. Das war schön. Ich stand als Zehnjähriger vor den Eisvergnügen-Bildern Hendrick Avercamps, und meine Tante kommentierte: Dieser Künstler war taubstumm. Ich dachte: Mensch, der arme Typ hat die Geräusche nicht gehört, die das Gleiten der Schlittschuhe hervorbringt, dieses Sch-sch. Und doch evozieren diese Bilder genau eine solche Klangkulisse. Grossartig! Ich fühlte mich irgendwie seelenverwandt, ich hörte das Bild, diese klirrende Kälte, ich habe es buchstäblich empfunden. Später waren solche Bilder auch meine ersten Fälschungen.

Würden Sie von sich behaupten, Sie seien ein besonders einfühlsamer Mensch?

Ich bin im Teutoburger Wald aufgewachsen. In den ersten Lebensjahren habe ich bloss Wald gesehen, daneben auf der Wiese ein paar Kühe, ich habe mit meiner Schwester Holz und Fallobst gesammelt. Dem ersten Auto bin ich begegnet, als ich sechs Jahre alt war. Ich fühlte mich wohl in dieser Abgeschiedenheit. Zu anderen Kindern hatte ich kaum Kontakt, ich war auch sehr kränklich, und die haben mich gemieden . . .

. . . waren Sie eine Art moderner Kaspar Hauser?

Zuerst schon. Irgendwie. Dann aber zogen wir in eine ausgebombte Siedlung in einer kleinen Stadt. Da musste zuerst wieder alles aufgebaut werden, es war trist. Doch plötzlich wurde ich mit all den Einflüssen der modernen Zivilisation konfrontiert, mit Autos und Flugzeugen, mit dem Radio und den Bildern des Fernsehens. Und dieser Ortswechsel löste einen Wahrnehmungsschock in mir aus.

Sie idealisieren nicht?

Nein, genau so war’s. Ich erlebte die totale Reizüberflutung, und es gab keine Nacht, in der ich nicht schlafwandelte. Meine Eltern schlossen alles ab, ich konnte nachts nur in den Flur und in die Toilette. Viele Jahre lang schlief ich kaum je richtig, ich musste mehrere Male in Kur. Erst mit 13 oder 14 habe ich gelernt, mit den Eindrücken umzugehen, indem ich nicht mehr wirklich hinschaute.

Wenn Sie einen Menschen porträtieren, wie gehen Sie dann vor?

Ich führe zuerst Gespräche. Spüre ich keine Grundsympathie, male ich die Person nicht. Sitzt sie erst einmal vor mir, ganz nahe, ganz intim, agiere ich behutsam. Ich nehme mir Zeit, und ich male, was ich sehe.

Was sehen Sie?

Ich sehe einen Menschen, im echten Sinne des Wortes. Ich erinnere mich an das, was die Lehrer an der Werkkunstschule in Aachen zu sagen pflegten: Ihr müsst sehen lernen. Aber niemand konnte sehen, auch die Professoren nicht. Die einen sahen Oberflächen, die anderen irgendwelche kunstgeschichtlichen Kategorien. Aber sie sahen nicht die Menschen. Im letzten halben Jahr habe ich zwei Leute porträtiert, der eine war ein älterer Herr, ganz toll. Als ich ihm das Porträt zeigte, meinte er spontan: «Das bin ich, das bin tatsächlich ich. Was Sie da machen, ist Zauberei.» So was rührt mich natürlich sehr.

Wie viele Werke mit falscher Signatur haben Sie in Ihrer früheren Karriere als Kunstfälscher in Umlauf gebracht?

Um die 300.

Sie erinnern sich an die Werke?

Ich denke schon. Allerdings habe ich auch schon Kataloge durchgeblättert, um dann plötzlich erschrocken festzustellen: Mein Gott, dieses Werk hatte ich vergessen. Zum Beispiel Helmuth Macke. Es war da vor vielen Jahren eine Retrospektive zu Macke im Museum in Krefeld. Viele Bilder kamen mir bekannt vor, weil ich so eine kleine Werkgruppe gemacht hatte. Und jetzt passen Sie auf: Ein Bild erkannte ich zunächst nicht wieder, sagte aber zu meiner Frau, dass es von einem Rechtshänder gemalt worden sein müsse, obwohl Macke doch ein Linkshänder war. Wir rätselten kurz, schauten uns an – und prusteten los. Das war eins meiner ersten Bilder, da habe ich es noch nicht so genau genommen mit Rechts und Links.

Sie sind sich selbst auf die Spur gekommen. Gibt es eine Liste der Bilder, die Sie mit falscher Signatur versehen haben?

Nein. Ich bin ja nicht verrückt.

In der Mitte eines von Wolfgang Beltracchis frühesten «eigenen» Werke, das er zurückgekauft hat und sich nun wieder in seinem Besitz befindet. (Bild: Goran Basic / NZZ)

In der Mitte eines von Wolfgang Beltracchis frühesten «eigenen» Werke, das er zurückgekauft hat und sich nun wieder in seinem Besitz befindet. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Rund 60 der 300 Werke sind mittlerweile identifiziert. Liesse sich die Herkunft der anderen 240 mit dem heutigen Wissensstand denn problemlos nachweisen?

Nein. Die gefälschten Werke wurden nur gefunden, weil sie einen gefakten Aufkleber des Galeristen Flechtheim trugen. Den hatte ich 1992 kreiert. Er ist als Fälschung entlarvt, aber auch er ist in die Kunstgeschichte eingegangen.

Und wenn nun Sammler ein Bild mit falscher Signatur von Ihnen haben und darauf einen Flechtheim-Kleber finden, dann . . .

. . . dann kommen sie damit nicht zu mir, sondern kratzen ihn ab.

Bringen dann womöglich Sammler gefälschte Werke in Umlauf im Wissen darum, dass es sich um Beltracchis handelt?

Möglich ist in dieser verrückten Welt alles. Wir haben nach dem Prozess anhand der Akten Dinge erfahren, die wir nicht wussten. Da gibt’s tolle Geschichten über den Kunstmarkt und seine Protagonisten.

Welche denn?

Händler und Zwischenhändler ändern die Titel von Werken nach Belieben, sie verändern auch schon mal die Provenienz, indem sie neue Spuren legen, wenn’s zum Beispiel um Beutekunst geht. In einer der grössten privaten Kunstsammlungen war ein Bild, das hiess im Original «Else Lasker-Schüler gewidmet», der früheren Frau von Herwarth Walden, die Jüdin war. Es handelte sich dabei offiziell um ein verschollenes Werk von Campendonk aus dem Jahre 1914, der Titel war tatsächlich so überliefert. Dann tauchte es plötzlich auf. Die Kunstwelt war begeistert. In Wahrheit war es eben kein Campendonk, sondern ein Beltracchi. Das Bild hatte aber plötzlich einen anderen Namen, und der Aufkleber von Flechtheim war weg. So lief das – und so läuft das auch weiterhin.

Da wird also nach allen Regeln der Kunst getrickst?

Ja, natürlich! Wir haben nie an Private verkauft, sondern nur an Händler und Auktionshäuser. Im Zuge der Insolvenz haben wir sie benachrichtigt, sie möchten doch ihre Käufer bitten, sich zu melden, falls sie den Verdacht hegen, einen Beltracchi in ihrer Sammlung zu haben. Dann würde ich getreulich Auskunft geben. Und was ist geschehen? Ein paar wenige haben sich gemeldet, die sich wünschten, einen Beltracchi zu haben. Sonst aber wurde niemand vorstellig. Niemand.

Was sagt uns das?

Die Werke haben Expertisen, sie hängen in Privatsammlungen und Museen.

Und wenn Sie einen Beltracchi in einem Museum hängen sehen, werden Sie dann nicht von sich aus tätig?

Nein. Ich möchte niemandem die gute Laune verderben und auch sonst niemanden schädigen.

Aber selbst wenn – die Museumsdirektoren würden Ihre Behauptung anzweifeln. Sie müssten erst mal beweisen, dass es sich um einen Beltracchi handelt, und das wäre wohl nicht ganz einfach.

Genau. Es existieren ja oftmals Expertisen und wissenschaftliche Gutachten, die die Echtheit der Werke beglaubigen. Wenn ich die in Zweifel ziehe, heisst es gleich: Da will sich einer aufblasen. Aber das will ich nicht.

Kommt es vor, dass Ihnen Werke grosser Künstler zugeschrieben werden, die Sie nicht gemalt haben?

Auch das gibt’s! Ein Kunstprofessor aus Heidelberg hat ein Buch verfasst, in dem er Werke als die meinen ausweist, die es gar nicht sind. Und er hat dazu geradezu hanebüchene Begründungen geliefert. Ich hatte ihn noch vor der Veröffentlichung darauf aufmerksam gemacht, dass ich die nie und nimmer gemalt habe. Die Bilder waren wirklich schlecht gemacht. Der Fälscher war ein nicht besonders talentierter Junkie aus Berlin. Was aber meinte der Herr Professor? Er meinte, ich solle doch den Beweis antreten, dass ich sie nicht gemalt habe.

Wolfgang Beltracchi und seine Frau Helen Beltracchi wohnen seit einem Jahr in Meggen nahe Luzern, wo er auch sein Atelier hat. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Wolfgang Beltracchi und seine Frau Helen Beltracchi wohnen seit einem Jahr in Meggen nahe Luzern, wo er auch sein Atelier hat. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Sie haben alle verwirrt, das Chaos ist angerichtet. Um es ins Positive zu wenden und postmodern zu sagen: Sie haben die Mechanismen und Protagonisten des Kunstmarkts dekonstruiert. Die Sammler sind oftmals Mitläufer, die Händler sind Dilettanten, die Experten sind Ignoranten, die Preissetzer sind Metaphysiker.

So ist es wohl. Und ich kann Ihnen versichern: Die ganze Kunstelite in Deutschland hasst mich.

Das wundert Sie aber nicht wirklich?

Ich habe deren Herrschaftswissen infrage gestellt. Es gibt dieses «Art Review»-Power-100-Ranking mit den wichtigsten Protagonisten der zeitgenössischen Kunstszene. Es sind immer dieselben Namen, die sich da tummeln. Und die obersten Ränge werden nicht von Künstlern besetzt, sondern von Kunstmachern. Die brauchen die Künstler, die en vogue sind, um den Markt am Laufen zu halten. Diese Kunstmacher entscheiden, was Kunst ist und was nicht, was wertvoll ist und was nicht, was an den Auktionen verkauft wird und was nicht. Sie bilden das Nadelöhr. Der Kunstbetrieb ist stark kartellartig organisiert.

Das ist nun sehr kritisch gesprochen, allerdings in den Wind. Denn offensichtlich schätzen die meisten Sammler und Kunstbetrachter diesen Betrieb.

Nicht ganz. Denn wer von den Galerien nicht mitspielt, ist weg vom Fenster. An die internationalen Kunstmessen, die wie Pilze aus dem Boden schiessen, kommt nur, wer sich an die Regeln der Kunstmacher hält. Und wer sich daran hält, verdient auch sein gutes Geld. Um wieder das Ranking zu bemühen: Alle bekannten Künstler betreiben heute Factories mit Hunderten von Angestellten, von Ai Weiwei bis zu Damien Hirst und Jeff Koons. Das müssen sie, weil sie mit ihrer Kunst die ganze Welt beliefern. Die Kunstszene ist heute international. Die wirklich interessante Kunst spielt sich jedoch woanders ab, in den Ateliers und an den Arbeitsstätten von 95 Prozent aller tätigen Künstler. Nur kennt die niemand. Die kommen auch nicht an die Messen. Deren Werke bekommen Sie für ein Butterbrot.

Boris Groys hat ausgehend von Marcel Duchamps Readymade Kunst einmal maximal einfach und überzeugend definiert: Kunst ist, was im Museum steht. Und was einmal da stand, bleibt Kunst. Die Wirklichkeit hingegen ist alles, was noch nicht zur Kunst erklärt wurde.

Hervorragend! Genau so ist es. Und die Museen sind ja heute auch wirklich eine Art Sakralbauten, in die die Leute wie einst die Frommen pilgern.

Nach Groys ist es für den Künstler völlig egal, wie er ins Museum kommt, durch persönliche Kontakte, durch Einbruch, durch Leistung, durch Täuschung. Entweder du schaffst es – oder du schaffst es nicht.

Der Gedanke stimmt im Prinzip. Doch läuft die Sache in der Wirklichkeit viel handfester ab. Der Grossgalerist sagt dem Museumsdirektor: Schau, ich habe hier einen Superkünstler, mach mal eine Ausstellung, ich sponsere das. Und natürlich ist ihm der Museumsdirektor zu Diensten. Denn beide profitieren. Im internationalen Kunstmarkt geht’s ja um sehr viel Geld.

Haben Sie etwas gegen Geld?

Überhaupt nicht. Geld ist schon okay. Aber man muss die Dimensionen sehen, um den ganzen Betrieb zu begreifen. Die Factories setzen Hunderte von Millionen um, das sind echte Konzerne.

Und sie malen weiterhin in Ihrem Atelier?

Klar. Die kreative Arbeit muss ja Spass machen. Ich mache nun meine eigene Kunst.

Haben Sie auch Ihre eigene Handschrift entwickelt?

Die Wiedererkennbarkeit lehne ich völlig ab. Denn Wiedererkennbarkeit bedeutet Wiederholung. Und warum, bitte schön, sollte ich mich ständig wiederholen? Ich bin ja ein kreativer Mensch, der mit Wissen, Können und dem eigenen Unterbewussten arbeitet. Ich probiere ständig Neues aus.

Warum signieren Sie dann eigentlich Ihre Werke? Ihr Traum müsste es doch sein, Werke in die Welt zu setzen, die keinen Autor, keinen Absender haben. Dann erst stehen sie wirklich für sich.

Das wäre in der Tat mein Traum. Aber die Käufer würden dann die Bilder mit meinen oder anderen Signaturen versehen – und wir hätten wiederum ein Chaos. Das möchte ich nun vermeiden. Darum signiere ich alle meine Werke ganz brav mit Wolfgang Beltracchi.

Sie haben zusammen mit einem Münchner Mäzen ein Projekt gestartet, in dem Sie 25 entscheidende Momente der Kunstgeschichte festhalten. Und dieses Projekt wird geradezu inszeniert.

Stimmt. Ich male 25 Kairoi aus 2000 Jahren Kunstgeschichte. Das sind gewissermassen historische Bilder, die es nie gegeben hat. Es fliesst da viel kunstgeschichtlicher Sachverstand rein, von Wissenschaftern, von Historikern, von mir. Das Projekt ist auf mich zugeschnitten, nur ich kann diese Kreativarbeit leisten. Und die Leute lieben so was. Anderseits ist das Projekt aber auch eine Belastung für mich, weil ich etwas tue, das ich in meiner Fälscherkarriere perfektioniert habe.

Man könnte sagen: Sie agieren als virtuoser Illustrator der Kunstgeschichte.

Eben. Die Arbeit ist schön, sie ist auch schwierig, und ich schaffe ja Neues. Aber man wirft mir dann vor, ich würde Handschriften repetieren – ausgerechnet mir, der ich nie etwas bloss repetiert habe.

Das Geld – das Schmerzensgeld – löst das Dilemma?

Geld ist immer gut, aber Geld löst kein Problem, sondern schüttet es höchstens zu. Der Reiz besteht für mich in etwas anderem. Ich arbeite alle diese Bilder nochmals auf und setze sie in einen modernen Kontext. Dieses epochenübergreifende Arbeiten fordert mich heraus – und das ist es, was mich für die Sache brennen lässt.

(Wolfgang Beltracchi spaziert durch sein Atelier.)

Schauen Sie – ich habe hier den Gustav Klimt gemalt, in einem besonderen Moment, den ich mir ausgedacht habe, in seiner Handschrift. Klimt sitzt vor dem Spiegel, im Hintergrund sein letztes Bild. Er kriegt einen Schlaganfall, der Mund ist geöffnet, er hat Todesangst, die ganze Szene ist symbolistisch dargestellt. Nun aber habe ich mich gefragt – wie hätte Klimt den Symbolismus des Todes auf die Leinwand gebannt? Und dann habe ich ein zweites Bild gemalt, gucken Sie mal.

Was also sieht er im Angesicht des nahenden Todes – sind das seine Kinder?

Genau. Klimt war ein ausgeprägter Chauvinist. Er hatte eine Menge uneheliche Kinder, von denen er zwei oder drei anerkannt hat. Das war nicht nett. Aber die Moral interessiert mich in diesem Zusammenhang eigentlich nicht, die Malerei ist weder moralisch noch unmoralisch. Es geht mir um das Motiv und den Symbolismus. So. Und weil Klimt aber auch längst zur Pop-Ikone avancierte, habe ich ihn auch noch im Pop-Art-Stil à la Warhol in Szene gesetzt, mit Gold, aber auch mit ein bisschen Diamantstaub.

Gustav Klimt am Ende seines Lebens, porträtiert von Wolfgang Beltracchi.(Bild: Goran Basic / NZZ)

Gustav Klimt am Ende seines Lebens, porträtiert von Wolfgang Beltracchi.
(Bild: Goran Basic / NZZ)

Sie porträtieren einen, der sich selbst nie porträtierte. Damit werden Sie die österreichischen Kunstfreunde gegen sich aufbringen.

Ja, klar, das ist wohl so. Was soll ich sagen? Es gibt ja ganz viele, die haben Jesus Christus gemalt. Und es gibt sogar einen, der hat Gott gemalt, in der Sixtinischen Kapelle. Dann muss ich schon fragen – wer ist denn bitte schön Gustav Klimt?

Im Hintergrund erkenne ich jemanden, der Ihnen täuschend ähnlich sieht.

Ertappt! Das bin tatsächlich ich.

Warum das?

Nun ja, das habe ich gemacht, um jemanden zu ärgern.

Sie tragen Privatfehden auf Gemälden aus?

Ach, so würde ich das nicht sehen. Ich finde bloss, das kreative Schaffen muss auch Spass machen.

Sie sind ein Spieler?

Durchaus. Halten Sie das gerne so fürs Protokoll fest: Künstler sind Spieler.

Das Leben als wandelbarer Maler

rs. Wolfgang Beltracchi kam 1951 in Höxter in Nordrhein-Westfalen zur Welt. In der Jugendzeit begann er zu malen, zunächst ungemalte Werke alter Meister, später auch Jugendstil und Expressionisten für Flohmärkte. Er war schon in den Sechzigerjahren oft in europäischen Metropolen unterwegs, in deren Zentren er gegen Geld Pflaster bemalte. 1978 stellte er die ersten eigenen neo-surrealistischen Bilder im Haus der Kunst in München aus. Trotz Erfolg reizte ihn der Status eines etablierten Malers nicht – und er schuf Gemälde in der Handschrift bekannter Künstler wie Heinrich Campendonk, Max Ernst und Max Pechstein, die er in den Kunstmarkt einschleuste. 2011 wurde Beltracchi vom Landgericht Köln wegen gewerbsmässigen Bandenbetrugs verurteilt. Schon in der Haft arbeitet er an seinem zweiten Leben als Künstler. Sein Leben hat er im Buch «Selbstporträt» dargestellt (Rowohlt 2014). Wolfgang Beltracchi wohnt und arbeitet mit seiner Frau Helene in Meggen. Die nächste Ausstellung mit dem Titel «Inquisition und Engel» findet 2019 statt. Mehr unter Wolfgang Beltracchi – Free Method Painting

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