Millionen Kalifornier sind wegen Waldbrandrisiko ohne Strom – womöglich eine Woche lang

Der kalifornische Stromanbieter PG&E schaltet Hunderttausenden von Bürgern in Nordkalifornien vorsorglich den Strom ab, um die Gefahr von Waldbränden zu bannen. Bei Stürmen waren immer wieder Bäume auf Überlandleitungen gestürzt und hatten Brände ausgelöst.

Marie-Astrid Langer, San Francisco
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Geschäfte wie dieses in Sonoma müssen Glace und andere zu kühlende Lebensmittel wegwerfen, nachdem durch den Stromausfall die Kühlsysteme ausgefallen sind. (Bild: Noah Berger / AP)

Geschäfte wie dieses in Sonoma müssen Glace und andere zu kühlende Lebensmittel wegwerfen, nachdem durch den Stromausfall die Kühlsysteme ausgefallen sind. (Bild: Noah Berger / AP)

Europäische Besucher wundern sich häufig über die überirdisch verlaufenden Stromleitungen in Amerika. Manche spotten, in der grössten Volkswirtschaft der Welt sehe es aus wie in einem Drittweltland. Diese Überlandleitungen sind nun der Auslöser für den grössten geplanten Stromausfall in der Geschichte Kaliforniens.

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Um angesichts drohender Stürme und trockener Vegetation Waldbrände zu verhindern, hat der staatliche Stromanbieter Pacific Gas & Electric (PG&E) seit Dienstagabend (Ortszeit) 500 000 Kunden den Strom abgedreht. Da in jedem Haushalt mehrere Personen leben, dürften laut Schätzungen bis zu 2,5 Millionen Anwohner betroffen sein. Es ist der grösste geplante Stromausfall in der Geschichte Kaliforniens.

Gefahr neuer Brände und Klagen eindämmen

Die Stromleitungen von PG&E waren in der Vergangenheit Auslöser für mehrere Waldbrände – darunter das bis heute schlimmste Feuer Kaliforniens in der Stadt Paradise, bei dem im vergangenen Herbst 86 Personen ums Leben gekommen waren. Bäume waren dabei auf Überlandleitungen gestürzt und hatten das Feuer ausgelöst. Zwischen Juni 2014 und Ende 2017 haben Strommasten, -leitungen und andere Gerätschaften von PG&E im Schnitt jeden Tag einen Brand ausgelöst. Die meisten dieser insgesamt 1550 Feuer konnten schnell gelöscht werden, während andere, von starken Winden getrieben, sich ausbreiteten – mit verheerenden Folgen. Allein 2017 sollen die Leitungen von PG&E bei insgesamt 17 Bränden der Verursacher gewesen sein, unter anderem auch in der Weinbauregion Napa.

Eigentlich muss die Vegetation in der Nähe von Stromleitungen stark gestutzt sein. Doch angesichts der Grösse Kaliforniens ist der Stromanbieter massiv im Verzug mit diesen Arbeiten.

Das in San Francisco ansässige Unternehmen PG&E beantragte im Januar Gläubigerschutz, nachdem von den Bränden betroffene Kunden Klage eingereicht hatten. Die Summe beläuft sich auf 30 Milliarden Dollar. Die Rechtsstreite sind noch pendent.

Um die Gefahr neuer Brände – und damit neuer Klagen – einzudämmen, hatte PG&E bereits vor Monaten angekündigt, Stromleitungen künftig abzustellen, wenn die Feuergefahr besonders gross ist. Angesichts aufziehender Herbststürme von bis zu 110 Kilometern pro Stunde in Nordkalifornien griff der Stromanbieter nun tatsächlich zu dieser Massnahme. Mit gerade einmal zwölf Stunden Vorlauf wurden die Anwohner informiert.

Zuoberst auf der Liste waren die feuergefährdeten Weinbauregionen Sonoma und Napa Valley, ebenso Gemeinden am Fuss der Bergkette der Sierra Nevada. Sie sind seit Dienstag ohne Strom. In den betroffenen Gemeinden herrscht seither der Ausnahmezustand: Verkehrsampeln sind ausgefallen, was zu Unfällen führte, vor Tankstellen und Geldautomaten bildeten sich lange Schlangen. Wasser, Batterien und Fertignahrung sind in vielen Supermärkten ausverkauft.

Einige Polizeibehörden haben zusätzliche Beamte aufgeboten, falls Kriminelle im Schutz der Dunkelheit ihre Chancen wittern sollten; manche Städte verhängten nächtliche Ausgangssperren. Der Elektroautohersteller Tesla, der in der Bay Area beheimatet ist, hat seine Kunden aufgefordert, ihre Fahrzeuge voll aufzuladen, solange das noch möglich sei. Zahlreiche Schulen und Universitäten, darunter die UC Berkeley, schlossen ihre Türen und sagten Vorlesungen ab. Wissenschafter dort sorgten sich, dass ihre Zellen auftauen könnten und die Arbeit jahrelanger Forschung zerstört würde.

«Wir proben für den Ernstfall des Erdbebens»

In der Kleinstadt Moraga, 30 Autominuten östlich von San Francisco gelegen, rechneten die Anwohner am Mittwochabend ab 20 Uhr (Ortszeit) mit dem Stromausfall, nachdem PG&E eine zweite Welle von Abschaltungen für den Abend angekündigt hatte. «Wir warten darauf, dass die Axt fällt», sagte Sean, der dort mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen eineinhalbjährigen Tochter lebt, am Telefon. Er arbeitet bei einem grossen Technologiekonzern im Silicon Valley, sie als Krankenschwester in San Francisco. Die Familie erfuhr am Dienstag über einen Kurznachrichtendienst der Polizei, dass sie von dem Stromausfall betroffen sein werde. «Am meisten nervt die Unsicherheit, dass wir nicht wissen, wie lange wir ohne Strom sein werden.»

Sie hätten ihre Autos vollgetankt, noch einmal Kleider gewaschen, Wasser und Lebensmittel gekauft und einige Laibe Brot gebacken. Auch die Batterie-Packs für die Smartphones seien geladen. «Das Positive an der Situation ist, dass du gezwungen bist, darüber nachzudenken, was man im Fall eines Erdbebens brauchte. Und da hätten wir nicht zwölf Stunden Zeit, um uns auf einen Stromausfall einzustellen.» Die kalifornische Bay Area gilt als stark erdbebengefährdet, weil sie direkt auf dem San-Andreas-Graben liegt; laut Experten ist ein grosses Beben überfällig.

Schliesslich wurde Sean und seiner Familie sowie Hunderttausenden anderen Kunden gegen 23 Uhr der Strom abgestellt. In der Bay Area ist einzig die Stadt San Francisco ausgenommen. In mindestens 22 der 58 Counties in Kalifornien gibt es derzeit keinen Strom.

Wut auf den Stromanbieter

Anwohner aus den betroffenen Gemeinden schimpften in den sozialen Netzwerken vor allem darüber, dass PG&E sie schlecht informiert habe. Tatsächlich war die Website des Stromanbieters, auf der die betroffenen Haushalte informiert werden sollten, dem Ansturm nicht gewachsen und kaum aufrufbar. Unbekannte warfen Eier gegen die Fensterscheiben eines PG&E-Büros in Nordkalifornien.

Eine Anruferin beim lokalen Radiosender KQED empörte sich, dass es für Anwohner nun noch schwieriger sei, sich über anderweitig ausgelöste Waldbrände zu informieren und sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, wenn die Batterie des Mobiltelefons leer sei und weder Fernseher noch Radio funktionierten. «Millionen ohne Strom ist etwas, was man in einem Dritte-Welt-Land erwarten würde, nicht in einem Gliedstaat, der die fünftgrösste Volkswirtschaft der Welt darstellt», sagte der Abgeordnete Jim Nielsen, der im gliedstaatlichen Senat sitzt, in einer Stellungnahme.

Bis zu sieben Tage lang keinen Strom

Bis die Anwohner wieder Strom haben, könnten bis zu sieben Tage vergehen, teilte PG&E mit. Denn selbst wenn der Sturm vorbeigezogen sei, könnten die Stromleitungen nicht einfach per Knopfdruck wieder angeschaltet werden, sondern müssten vorher erst inspiziert werden.

Die grosse Frage, sagt Sean aus Moraga, sei für ihn und seine Familie nun, wie häufig PG&E präventiv den Strom abschalten wolle. «Wenn das mehrmals im Jahr passieren soll, kaufen wir uns einen eigenen Generator.» Die Saison der Herbststürme und Waldbrände hat gerade erst begonnen.

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