Draufgängerin im Tortenformat

Die Griechische Landschildkröte Torti hat Charaktereigenschaften, die für ein Wildtier untypisch sind. Sie sei absolut furchtlos und sozial hoch talentiert, erzählt ihre Adoptivmutter Claudia Schärer.

Daniele Muscionico
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Die Griechische Landschildkröte Torti. (Bild: PD)

Die Griechische Landschildkröte Torti. (Bild: PD)

Sie lebte letzten Sommer in einem Blumenbeet, und als wir sie fanden, tauften wir sie Torti. Der Name kommt vom italienischen Wort für Schildkröte, Tartaruga. Unsere Torti ist eine absolute Ausnahmeschildkröte. Sie ist geschätzte 30 Jahre alt und verhält sich in verschiedener Hinsicht total Schildkröten-untypisch.

Wir vom Tierschutzverein sind oft wegen Katzen unterwegs. Letzten Sommer hat uns an einem Einsatzort eine Dame mitgeteilt, dass ihr eine Schildkröte zugelaufen sei. Sie habe sie in seinem Blumenbeet deponiert. Dort füttere sie sie mit Tomaten, das sei eine witzige Sache. Als wir das hörten, haben alle Alarmglocken geläutet. Fundtiere müssen bei der Schweizerischen Tiermeldezentrale ausgeschrieben werden, sie werden ja vielleicht vermisst. Zudem sind Tomaten als Schildkrötenfutter gänzlich ungeeignet.

Unser Verein war damals noch nicht für Schildkröten ausgerüstet. Trotzdem wollten wir Torti übernehmen. Wir dachten, dass wir für sie problemlos einen artgerechten Platz finden würden. Doch da sollten wir uns täuschen! Schildkröten sind unglaublich schwer an gute Stellen zu vermitteln. Die meisten Tierheime nehmen sie nicht auf, und die Schildkröten-Interessengemeinschaft Schweiz ist restlos überlastet. In den Aufnahmestellen in der Schweiz fehlen schlicht genügend Plätze für die Fund- und Aufnahmetiere.

Als sie zu uns kam, war Torti sehr verwurmt, wir mussten sie zunächst zu unserer Tierärztin bringen. Das wissen übrigens die wenigsten Halter: Schildkröten muss man vor der Winterruhe immer entwurmen. Kaum jemand geht aber mit ihnen zum Arzt und gibt Geld für sie aus. Umso trauriger, wo doch diese Tiere eine so enorme Lebenserwartung hätten.

Torti war also von Parasiten befallen. Zudem hat sie sich auffällig verhalten, und wir dachten, sie sei krank. Auffällig war: Sie zog niemals ihr Köpfchen ein.

Wir haben sie untersucht, behandelt, und dann haben wir am Ende festgestellt: Torti ist nicht krank, sie ist ganz einfach super sozial!

Wir haben sie untersucht, behandelt, und dann haben wir am Ende festgestellt: Torti ist nicht krank, sie ist ganz einfach super sozial! Sie ist unglaublich zutraulich. Bei genug hoher Betriebstemperatur rennt sie uns entgegen, um uns zu begrüssen. Auch wenn man sie ruft, kommt sie gelaufen. Sie streckt Menschen ihren Kopf entgegen und liebt es sehr, wenn man sie am Hals krault.

Sie hat auch schon Bekanntschaft mit unseren anderen Tieren auf dem Gnadenhof gemacht. Bei Hunden muss man aufpassen, sie können die Schildkröte mit einem Spielzeug verwechseln und können ihr, sogar durch den Panzer hindurch, schlimme Bissverletzungen zufügen. Torti läuft auf unsere Katzen zu und schaut sie interessiert an. Für die Katzen ist sie wohl einfach ein Stein, der sich bewegt. Aber dieser «Stein» sucht Anschluss, bei Menschen genauso wie bei Tieren.

Wir denken, dass sie es bei ihrem früheren Besitzer nicht schlecht hatte. Wir gehen davon aus, dass auch Reptilien Angst zeigen können und dass sie bis zu einem gewissen Grad Vertrauen zu ihrem Halter aufbauen können. Torti zeigt uns genau, was sie möchte und was nicht. Wenn ihr etwas nicht passt, dreht sie den Kopf weg. Oder sie kann mit ihrem Pfötchen einen Finger, der sie krault, wegschubsen. Sie ist ein selbstbewusstes Schildkröten-Mädchen.

Schildkröten sind neugierig, wollen die Umgebung entdecken und klettern gerne. (Bild: PD)

Schildkröten sind neugierig, wollen die Umgebung entdecken und klettern gerne. (Bild: PD)

Doch letzten Sommer und Herbst sassen wir also da – und fanden keinen Platz für sie. Wir hatten sie nämlich adoptiert, weil sich nach zwei Monaten kein Halter gemeldet hatte. Wir mussten uns selber an die Arbeit machen und ein Gehege für sie bauen. Wir gaben Gas, denn wir mussten ja für ihre Überwinterung sorgen. Das ist nicht ganz ohne: Wir haben in einem Frühbeet – mit einem Aufbau samt Türchen und automatischem Fensterheber – eine Grube ausgehoben und diese betoniert. Das dient der Sicherheit, im Winterschlaf können Mäuse und andere Tiere die Schildkröten angreifen.

Torti hat sich dort selber vergraben. Wir haben stets kontrolliert, ob der Boden nicht zu kalt ist, aber sonst haben wir sie in Ruhe gelassen. Die Tiere sollten so wenig wie möglich gestört werden. Sie hat den Winterschlaf gut überstanden, ist Anfang April aufgewacht und gut wieder in die Gänge gekommen. 30 bis 35 Grad sind ihre ideale Betriebstemperatur.

Torti ist eine Griechische Landschildkröte, Freilandhaltung kommt der Natur am nächsten. Die Anlage hat Morgensonne, ist mit Wärmelampen nachgerüstet und so angelegt, dass Torti autonom leben und sich ernähren kann. Wir haben Futterpflanzen angebaut: Hibiskusblüten, Habichtskraut, Hornklee, Küchenkräuter, viel Lavendel, viel Löwenzahn und Spitzwegerich sowie Veilchen. Torti liebt farbige Blüten, sie sieht, wie viele andere Reptilien auch, ein grösseres Farbspektrum als wir Menschen. Sie erkennt neben den Grundfarben auch ultraviolette Strahlung.

Torti liebt farbige Blüten, sie sieht, wie viele andere Reptilien auch, ein grösseres Farbspektrum als wir Menschen.

Schildkröten sind sehr clever, sie sind wahre Ausbrecherkönige! Sie sind neugierig, wollen die Umgebung entdecken und klettern gerne; ich weiss sogar von Tieren, die waagrecht einen Zaun hochklettern. Griechische Landschildkröten sind anspruchsvolle Wildtiere, die auch tierärztliche Betreuung brauchen, als Haustiere sind sie völlig ungeeignet.

Oft leben sie in Terrarien oder auf ungeeignetem Boden, so verkümmern sie und sterben langsam. Bei artgerechter Haltung werden die Tiere 70 Jahre alt, in der Natur sogar über 100 Jahre. Und Schildkröten haben, anders als Torti, Berührungen nicht wirklich gern. Wer sich ein junges Tier zulegt, muss wissen, dass es den Halter überleben wird. Man muss seine Platzierung über zwei, drei Besitzergenerationen regeln.

Weltweit ist das Interesse an den Tieren so gross, dass der Wildtierbestand gefährdet ist. Wir hoffen, dass man für die Griechische Landschildkröte bald einmal, wie für andere Wildtiere auch, Halteauflagen erfüllen muss.

Torti zu beobachten, hat eine unglaublich entschleunigende Wirkung. Manchmal setze ich mich zu ihr ins Gehege und mache nichts anderes, als zu warten. Denn es dauert eben seine Zeit, bis sie dort ist, wo sie hinwill. Ihr dabei zuzusehen, ist meine Meditation.

Aufgezeichnet von Daniele Muscionico