Auch die Cowboys haben einst das Jodeln geliebt. (Bild: Sammlung C. Wagner)

Auch die Cowboys haben einst das Jodeln geliebt. (Bild: Sammlung C. Wagner)

Die Jodelei kennt keine Grenzen

Jodeln ist weit mehr als ein alpenländisches Kuriosum. Ähnliche Gesangsformen kennt man überall auf der Welt. Der alpenländische Stil hat sich überdies in den USA verbreitet. Die faszinierende Geschichte des Jodelns.

Markus Ganz
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Am Jodeln scheiden sich die Geister. Während sich ein Millionenpublikum an fidelen TV-Shows und an volkstümlichen Konzerten darüber freut, reagieren selbst einschlägig interessierte Musikliebhaber oft geradezu allergisch darauf. Das ist keine neue Erscheinung. Schon Mark Twain, der das Phänomen auf seinem «Bummel durch Europa» erleben wollte, lästerte bei der Schilderung seiner Rigi-Wanderung von 1878: «Es geht ein bisschen zu weit mit dieser Jodelei in den Alpen.»

Der schwäbische Musikjournalist und Musikhistoriker Christoph Wagner erzählt in seinem prächtig aufgemachten Buch «Jodelmania» eine spannend zu lesende Geschichte des Jodelns. Und er vergisst dabei nicht, neben den traditionellen oder klischierten Ausprägungen des Jodelns auch neuere Ausdrucksformen zu erwähnen, die sich gerade in der Schweiz im Bereich des Laienjodelns oder der experimentellen Musik etablieren konnten.

Das Liederheft «Der Jodler Sepp’l» für ein internationales Publikum, ca. 1930. (Bild: Sammlung C. Wagner)

Das Liederheft «Der Jodler Sepp’l» für ein internationales Publikum, ca. 1930. (Bild: Sammlung C. Wagner)

Kunst und Kommunikation

Wagner stellt gleich zu Beginn klar, dass das «unartikulierte Singen aus der Gurgel», wie das Jodeln in einem Reisebericht von 1810 beschrieben wurde, nicht auf den Alpenraum beschränkt ist. Dieser Gesangsstil ist ein globales Phänomen, das man etwa auch in Kamerun, am Polarkreis oder in Georgien kennt. Fast überall sind diese Gesänge ursprünglich weniger der Kunst geweiht als der Kommunikation – sie helfen in unübersichtlichem Gelände über grössere Entfernungen hinweg. Der Grund dafür: Der klanglich durchdringende Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme ist offenbar besser hörbar als ein normaler Ruf.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde das alpenländische Jodeln ausserhalb der Bergregionen populär – und schaffte bald auch den Sprung in die USA. Vor allem in diesem zentralen Buchteil über den Jodelboom zeigt sich Christoph Wagner als fesselnder Erzähler. Er hat äusserst gründlich recherchiert und kann deshalb etwa die Karriere der wegbereitenden Familie Rainer aus dem Zillertal ‒ «die Beatles der 1820er und 1830er Jahre!» ‒ bis ins Detail beschreiben. Das mag manchmal etwas ausufern, ergibt aber auch eine anschauliche und lebendige Dichte der Erzählung. Nicht zuletzt hat die Beharrlichkeit des Musikhistorikers es ermöglicht, das Buch mit unzähligen Abbildungen, etwa von Künstlerfotos, Inseraten und Plakaten, eindrücklich zu illustrieren.

Country-Jodler

Die Geschichte des Jodelns in den Alpenländern zeigt auch emanzipatorische Aspekte. So seien in den meisten Alpensängerensembles die Frauen in der Mehrheit oder zumindest gleich stark vertreten gewesen. Das war zwar einfach dem vierstimmigen Harmoniegesang geschuldet. Die Jodelkultur stand damit aber im krassen Gegensatz zu Männerbastionen wie den Gesangsvereinen oder den Blasorchestern.

Christoph Wagner zeigt auf, dass das Jodeln ausserhalb der Alpenregion nicht nur die Sehnsucht nach den Bergen und der freien Natur ausdrückte. In den USA habe es auch zum Heimwehgesang von Immigranten aus Ländern ausserhalb des Alpenraums werden können; das von Texten befreite Jodeln liess dabei sprachliche Grenzen hinter sich.

In den USA konkurrenzierten bald einheimische Sänger mit den europäischen Originalen, die sie zunächst bloss nachahmten. Doch bald fügten sie dem Jodel englische Texte hinzu oder kombinierten ihn mit anderen Stilen. Frühe Countrymusiker wie insbesondere der Hillbilly-Sänger Jimmie Rodgers integrierten ab den späten 1920er Jahren gerne das «blue yodeling», was die Massen derart begeisterte, dass auch Musiker aus dem Blues und dem Jazz es ihm gleichtaten. Jimmie Rodgers habe als «Katalysator für eine musikalische Explosion» gewirkt, meint Christoph Wagner.

Der spezielle Effekt des sich überschlagenden Gesangs nützte sich mit der Zeit allerdings wieder ab, so dass der Jodel in den 1940er Jahren weitgehend aus der amerikanischen Populärmusik verschwand. Seither sind dort nur noch vereinzelt Jodelpassagen zu hören, vor allem im Country und im Pop. Cyndi Lauper etwa interpretierte auf ihrem Album «Detour» (2016) den Countryklassiker «I Want to Be a Cowboy’s Sweetheart» von Patsy Montana aus dem Jahr 1935; für die Jodelpassage zog sie Jewel bei, die wie sie Vorfahren aus der Schweiz hat.

Gesangliches Esperanto

In «Jodelmania» gibt es auch einige Interviews mit aussergewöhnlichen Jodlerinnen und Jodlern zu lesen, etwa mit der Amerikanerin Carolyn DeZurik von The DeZurik Sisters, die vor dem Zweiten Weltkrieg mit ‒ auch heute noch ‒ faszinierendem Trick-Jodeln bekannt wurden. Zu Wort kommt auch der Münchner Franzl Lang, der ab Mitte der 1950er Jahre das traditionelle Jodeln revolutionierte und kommerzialisierte. Er interpretierte traditionelle Jodellieder wie «Min Vater isch en Appezeller» wesentlich schneller, was im Vergleich eindrücklich zu hören ist. Von weitergehenden Möglichkeiten handelt das Gespräch mit der experimentierfreudigen Schweizer Sängerin Erika Stucky.

Christoph Wagner führt Stucky als Beispiel einer neuen Generation von Musikerinnen und Musikern aus den Alpenländern an, die seit etwa drei Jahrzehnten die traditionelle Volksmusik und oft auch das Jodeln neu erkunden. Dazu inspiriert worden seien viele durch die sogenannte Weltmusik, die zur Auseinandersetzung mit den eigenen «roots» geführt habe. Im Umfeld von Jazz, Avantgarde und neuer Volksmusik habe dies auf «Graswurzel-Ebene» zu einem erstaunlichen Revival des Jodelns geführt. Der textlose Gesang habe ‒ wie einst in den USA ‒ das Potenzial, zum «Esperanto multikultureller Gesellschaften» zu werden.

Christoph Wagner: Jodelmania. Von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus. Antje-Kunstmann-Verlag, München 2019. 320 S., ca. Fr. 33.–.