Die Begegnung von Aztekenkönig Moctezuma II. und Hernán Cortés am 8. November 1519 in Tenochtitlán. Künstler unbekannt. (Bild: Library of Congress)

Die Begegnung von Aztekenkönig Moctezuma II. und Hernán Cortés am 8. November 1519 in Tenochtitlán. Künstler unbekannt. (Bild: Library of Congress)

Vor 500 Jahren zog Cortés in die sagenumwobene Hauptstadt der Azteken ein – es war der Startschuss zur Globalisierung

Die Begegnung mit dem Aztekenkönig Moctezuma und der Fall des mexikanischen Reiches läuteten die weltweite europäische Vorherrschaft ein.

Werner J. Marti
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Tenochtitlán, die Hauptstadt des Aztekenreichs, muss eine äusserst eindrucksvolle Erscheinung gewesen sein. Die spanischen Eroberer unter Hernán Cortés hatten noch nie so etwas gesehen. Bei ihrer Ankunft am 8. November 1519 zählte die Stadt rund 200 000 Einwohner. Damit war die heute als Mexiko-Stadt bekannte Metropole damals die grösste Stadt auf dem amerikanischen Kontinent, weit grösser auch als fast alle europäischen Städte.

Doch nicht nur wegen ihrer Grösse beeindruckte die Stadt die Spanier, sondern auch wegen ihrer Lage, ihres Reichtums und ihrer akribischen Organisation. Auf einer grossen Insel im Texcoco-See gelegen, wurde sie durch drei grosse Dämme vom Ufer her erschlossen. Besonders staunten die Spanier über den riesigen Markt, auf dem alles zum Leben Notwendige feilgeboten wurde und jeder Ware ihr fester Platz zugewiesen war. Das Zusammentreffen von Cortés mit König Moctezuma II. in Tenochtitlán vor 500 Jahren besiegelte das Ende des Aztekenreichs und den Beginn der jahrhundertelangen weltweiten Dominanz der Europäer.

Lockruf des Goldes

Cortés war am 10. Februar 1519 mit elf Schiffen und rund 600 Spaniern von Santiago de Cuba aus in See gestochen. Mit dabei waren als Bedienstete auch 200 Taíno-Indianer und eine unbekannte Zahl schwarzafrikanischer Sklaven. Ausserdem führten die Eroberer 16 Pferde, 4 leichte Kanonen, 32 Armbrüste und 13 Gewehre mit. Cortés’ Auftrag war die Erkundung der südöstlichen Küste von Mexiko zwischen Yucatán und Veracruz. Wie in der spanischen Conquista üblich, hatte seine Expedition zwar den Segen der Krone, wurde aber auf privatwirtschaftlicher Basis durchgeführt.

Die Ereignisse während des Feldzuges wurden von Bernal Díaz del Castillo, einem Untergebenen von Cortés, in einer Chronik sehr detailliert festgehalten. Es handelt sich natürlich um eine spanische Sichtweise. Doch sie wurde mehr als drei Jahrzehnte nach den Ereignissen niedergeschrieben und dürfte deshalb weniger von den Ambitionen der Konquistadoren beeinflusst sein als etwa die damaligen Briefe von Cortés an den König. Díaz del Castillo scheut sich auch nicht, Negatives über die Eroberer zu berichten, wie etwa die ständigen internen Konflikte und häufigen Gehorsamsverweigerungen. Die Zitate im Folgenden sind diesem Augenzeugenbericht entnommen.

Während ihrer Erkundung der mexikanischen Küste hörten die Konquistadoren von der lokalen indianischen Bevölkerung immer wieder von der Aztekenhauptstadt Tenochtitlán, die grosse Mengen an Gold und anderen Reichtümern besitzen soll. Nachdem er bei Veracruz eine Siedlung gegründet hatte, beschloss Cortés in Überschreitung seines Mandats, mit dem Gros seiner Leute zu dieser Stadt zu ziehen. Um eine Rebellion unter seinen Leuten zu verhindern, liess er kurzerhand die Schiffe zerstören. Damit war der Rückweg nach Kuba abgeschnitten.

Unbesiegbar

Der fast dreimonatige Marsch nach Tenochtitlán forderte ihnen alles ab. Immer wieder mussten sie gegen Indianervölker kämpfen, zumeist in grosser Unterzahl. Drei besonders schwere Schlachten schlugen sie gegen die Tlaxcalteken, deren Anzahl Krieger Díaz del Castillo auf 50 000 schätzte:

Im Nu waren wir von allen Seiten von Heeresmassen eingeschlossen, die 25 Quadratkilometer der Ebene füllten. In der Mitte stand unser Häufchen von 400 Mann.

Trotzdem blieben sie letztlich siegreich und konnten die Tlaxcalteken als Verbündete gewinnen. Mit mehreren tausend ihrer Krieger zogen sie darauf weiter Richtung Mexiko-Stadt. Es ist bis heute rätselhaft, wie eine Gruppe von wenigen hundert spanischen Abenteurern es schaffen konnte, in allen Schlachten mit übermächtigen, feindlich gesinnten indianischen Kriegervölkern die Oberhand zu behalten und bis nach Mexiko-Stadt durchzumarschieren.

Cortés’ Marsch auf Mexiko

Die krasse zahlenmässige Unterlegenheit wurde teilweise wettgemacht durch die bessere Ausrüstung, insbesondere mit Pferden und Feuerwaffen. Auch gelang es den Spaniern immer wieder, Völker, die mit den Azteken verfeindet waren, auf ihre Seite zu ziehen. Sie waren deshalb innerhalb der gegen die Azteken kämpfenden Truppen bald nur noch eine kleine Minderheit. Bei den Verhandlungen mit diesen Völkern spielte eine Frau wohl eine entscheidende Rolle. Cortés’ Übersetzerin Malinche (oder Marina), eine indianische Sklavin, die er von Yucatán mitgebracht hatte, war weit mehr als Dolmetscherin, sie war seine Beraterin, «Chefdiplomatin» und auch Geliebte.

In göttlicher Mission

Nicht unterschätzt werden darf auch ein psychologischer Faktor. Cortés und seine Leute waren absolut davon überzeugt, dass sie eine göttliche Mission zur Christianisierung von Heiden ausführten und damit den Schutz des Allmächtigen genossen. So wagten sie es, trotz ihrer geringen Anzahl geradewegs in die Hauptstadt der Azteken zu marschieren:

Der Gedanke an den Tod beschäftigte uns alle. [. . .] Das feste Vertrauen auf unseren Herrn Christus gab uns immer wieder die Hoffnung, dass er uns auch in dieser Gefahr vor der Übermacht der Mexikaner schützen werde.

Am 7. November 1519 kamen sie schliesslich am Texcoco-See an:

Am nächsten Morgen erreichten wir die Hauptstrasse nach Iztapalapa. Von dort aus sahen wir zum ersten Mal die grosse Zahl der Städte und Dörfer, die mitten in den See gebaut waren, und die noch weitaus grössere Zahl der Ortschaften an den Ufern, und schliesslich die sehr gepflegte, kerzengerade Strasse, die in die Stadt Mexiko führte. Wir waren bass erstaunt über dieses Zauberreich. Hoch und stolz ragten die festgemauerten, steinernen Türme, Tempel und Häuser mitten aus dem Wasser. [. . .] Wir wurden in Iztapalapa in wahren Palästen einquartiert, in riesigen Bauten aus schön behauenen Quadersteinen, die mit Holzwerk aus Zedern und anderen wohlriechenden Hölzern ausgeschmückt waren. Alle Gemächer waren mit baumwollenen Tapeten behangen. Zu diesen Palästen gehörten herrliche Gartenanlagen mit vielerlei blühenden Bäumen, Rosenhecken und Blumenbeeten, mit Obstgärten und einem Teich, der durch einen Kanal mit dem See verbunden war. [. . .] Auf den verschiedenen Gewässern schwammen vielerlei Vögel. Alles war so schön und anmutig, dass man sich gar nicht sattsehen konnte.

Am darauffolgenden Tag zogen die Spanier friedlich in Tenochtitlán ein, und es kam zur historischen Begegnung mit Moctezuma:

Moctezuma sass auf einem überaus kostbaren Tragsessel, umgeben von anderen Grossen seines Reiches, und kam langsam auf uns zu. Als wir die ersten Türme der eigentlichen Stadt Mexiko erreichten, stieg er von seinem Sessel, die vornehmsten Kaziken fassten ihn unter dem Arm und führten ihn unter einen prächtigen Baldachin, der mit grünen Federn, feinem goldenen und silbernen Schnitzwerk, mit Perlen und Edelsteinen reich geschmückt war. [. . .] Zahlreiche andere Grosse umgaben den Herrscher, breiteten vor ihm kostbare Tücher auf den Boden, damit sein Fuss nicht die nackte Erde berühren müsse, und trugen seinen Baldachin. [. . .] Als man Cortés meldete, dass Moctezuma selbst in der Nähe sei, stieg er vom Pferd und ging ihm zu Fuss entgegen. Nun gab es von beiden Seiten grosse Begrüssungszeremonien. Moctezuma hiess Cortés willkommen, und letzterer antwortete durch Marina, er wünsche, dass Moctezuma sich wohl befinde.

Moctezuma führte Cortés und seine Leute darauf in die Stadt und quartierte sie im Palast seines verstorbenen Vaters ein. Die Spanier blieben fast acht Monate in Tenochtitlán, führten sich aber ziemlich ungehörig auf. Laut Díaz del Castillo nahmen sie ihren Gastgeber Moctezuma fest und hielten ihn im ihnen zugewiesenen Palast als Geisel.

In den Tempeln zerstörten sie die religiösen Figuren der Azteken. Als Reaktion auf grausame Menschenopfer bei einer religiösen Zeremonie töteten sie Priester und andere Personen aus der aztekischen Elite. Auch Moctezuma selber kam unter ungeklärten Umständen ums Leben. Schliesslich mussten sie aber am 30. Juni 1520 bei Nacht und Nebel aus der Stadt fliehen. Beim Rückzugsgefecht wurden mehrere hundert Spanier und über 2000 ihrer indianischen Verbündeten getötet.

Doch es war nur ein vorübergehender Sieg der Azteken. Cortés schloss neue Bündnisse mit ihren Feinden und erhielt Verstärkung durch spanische Neuankömmlinge. Ab Mai 1521 belagerte er mit zahlreichen indianischen Verbündeten Tenochtitlán zu Wasser und zu Land, am 13. August fiel die durch eine Epidemie geschwächte Stadt. Die Spanier machten Mexiko zum Vizekönigreich Nueva España.

Cortés’ Eroberung von Mexiko führte zu einer grundlegenden Neuordnung des globalen Machtgefüges. Zwölf Jahre später fiel nämlich auch die zweite lateinamerikanische Grossmacht, das Reich der Inka, in die Hände der Spanier. Die beiden Gebiete mit ihren reichen Gold- und Silbervorkommen wurden zu Zentren im spanischen Kolonialreich, dem ersten Imperium, in dem die Sonne nie unterging. Es war so etwas wie der Startschuss für die Globalisierung. Mit dem anbrechenden Zeitalter des Kolonialismus etablierte sich die weltweite Vorherrschaft Europas.

Eroberungszüge als Joint Ventures

Die Vorstellung, bei den Eroberungszügen der spanischen Konquistadoren handle es sich um reguläre militärische Operationen, ist irreführend. Der in Harvard und an der Universität Bern forschende Historiker Vitus Huber korrigiert mit einem in diesem Jahr erschienenen Buch dieses Bild und bringt neues Licht in die Welt der spanischen Eroberer. Er weist auf den Joint-Venture-Charakter dieser Unternehmen hin.

Die spanische Krone erteilte nämlich normalerweise nur die Bewilligung für die Expedition. Diese erlaubte einem Lizenznehmer, eine Expedition auszurüsten und die nötigen Leute dafür zu mobilisieren. Die Schiffe und deren Ausrüstung musste er in der Regel selbst finanzieren. Die übrigen Teilnehmer mussten für sich selbst aufkommen. Sie erhielten keinen fixen Sold und dienten auch nicht in einem regulären Kriegsheer. Ein Spezialfall war die erste Seefahrt von Kolumbus nach Amerika. Dabei trug die spanische Krone mehr als die Hälfte der Kosten.

Als Gegenleistung für die Vergabe der Lizenz erhielt der spanische König einen Teil der Kriegsbeute. Der Rest wurde bereits vor der Expedition nach festen Prozentsätzen auf die Teilnehmer aufgeteilt. Dabei erhielt ein Eroberer umso mehr, je mehr er selbst Mittel ins Unternehmen eingebracht hatte. Besonders hoch angerechnet wurde der Besitz eines Pferdes oder besonderer Waffen wie einer Armbrust oder eines Gewehres. Auch herausragende Leistungen während des Feldzuges konnten speziell honoriert werden.

Die spanischen Eroberer waren in ihrer grossen Mehrheit militärisch unerfahren. Sie kamen aus zivilen Berufen. Als der wichtigste Beweggrund zu ihrer Teilnahme an einem Eroberungszug lässt sich «das Streben nach materieller Bereicherung und sozialer Statuserhöhung» (Vitus Huber) nennen. Die Eroberung Lateinamerikas verlief also nicht nach einem vorgegebenen Generalplan der spanischen Krone. Diese setzte lediglich die Rahmenbedingungen, während die eigentlichen Initiativen von den Konquistadoren ausgingen.

Bernal Díaz del Castillo: Die Eroberung von Mexiko. Herausgegeben von Georg A. Narciss. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 2017.

Vitus Huber: Die Konquistadoren. Cortés, Pizarro und die Eroberung Amerikas. Verlag C. H. Beck, München 2019.