Wie Parteien, Firmen und Hilfswerk-Aktivisten Schulkinder umwerben

Politische Interessengruppen versuchen vermehrt, Einfluss auf den Schulunterricht zu nehmen. Links-grüne Hilfswerke und NGO dürfen dabei sogar auf staatliche Hilfe zählen – obwohl Beeinflussungsversuche offiziell tabu sind.

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Weltanschauliche Lobbyarbeit vor der Wandtafel will Schüler dazu ermuntern, selber «aktiv» zu werden. (Bild: Christian Beutler / Keystone)

Weltanschauliche Lobbyarbeit vor der Wandtafel will Schüler dazu ermuntern, selber «aktiv» zu werden. (Bild: Christian Beutler / Keystone)

Zum Schluss fordern die Autoren konkrete Taten ein. «Engagiere dich mit uns!», so rufen sie der jugendlichen Leserschaft zu, «es gibt nicht nur den Kuchenverkauf!» Wie wäre es etwa mit der Organisation eines Benefizkonzertes? Oder mit der Unterstützung eines Caritas-Projekts für arme Kinder? Oder gar mit einer Mitgliedschaft bei Caritas? Denn: «Mit deinem Engagement bei Young Caritas zeigst du, dass du dir eine solidarische und offene Gesellschaft wünschst.»

Die Einladungsgesten sind in Unterrichtsmaterialien zu finden, welche die Caritas-Jugendgruppe Young Caritas für Sekundarschüler bereithält zu den Themen «Armut» und «Flucht und Migration». Wie andere Hilfswerke und Nichtregierungsorganisationen (NGO) bietet die Caritas Schulbesuche und «Unterstützung» für Lehrer an, inklusive eigener «Unterrichtsideen» und -Materialien. Laut Caritas-Sprecher Stefan Gribi besucht Young Caritas rund dreissig Schulen pro Jahr.

Klagen über Missionare

Dass heute nicht nur «Zahntanten» und Dorfpolizisten, sondern auch politische Interessengruppen und Firmen in öffentliche Schulen drängen, um für ihre Anliegen zu werben, ist ein verbreitetes Phänomen. So bietet die Aargauer Firma KIK AG über eine Internet-Plattform privat gesponserte, angeblich «ausgewogene» Lehrmittel an, vom Lehrgang für kleine «Klimapioniere» (Myclimate) über Znüni-Empfehlungen von Swissmilk bis zum Staatskunde-Paket der FDP (inklusive Loblied auf diese «junge, sensible, urbane und frauenfreundliche Partei»). Selbst die nicht überall beliebte Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) empfiehlt sich auf ihrer Website für Schulbesuche: «Sie möchten das Thema Entsorgung radioaktiver Abfälle mit Ihrer Klasse behandeln? Fragen Sie uns an.»

«In den letzten zwanzig Jahren haben solche Angebote klar zugenommen», sagt Barbara Franzen (fdp.), Schulpräsidentin im Zürcherischen Wehntal. Dabei sei es auch schon zu einer elterlichen Beschwerde gekommen, nachdem eine «NGO aus dem Umweltbereich» im Klassenzimmer lobbyiert habe. «Seither weise ich die Schulleitungen an, auf eine ausgewogene Darstellung gewisser Sachverhalte zu achten.» Schliesslich sei die Schule kein Tummelfeld für politische Missionare.

Der Schweizerische Lehrerverband (LCH) hat vor zwei Jahren gar zusammen mit Stiftungen und staatlichen Stellen eine Charta erarbeitet, die von rund 40 Akteuren unterzeichnet worden ist, darunter von Pädagogischen Hochschulen (PH) und Firmen wie Microsoft und Samsung. Darin heisst es, man dulde weder «Akteure mit weltanschaulichen Zielen (Parteien, Religionen)» noch «Beeinflussungsversuche». Ebenso würden Unterrichtsmaterialien auf «weltanschauliche Ausgewogenheit» geprüft.

«Aktiv werden», bitte!

Mit der Umsetzung dieser Grundsätze hapert es allerdings. Denn die Charta ist laut LCH-Präsident Beat Zemp einzig eine Selbstverpflichtung der Unterzeichner – sprich, wer sie nicht unterschreibt, darf den Schulen weiterhin ideologisch gefärbtes Material anbieten und auf unkritische Pädagogen hoffen. Links-grüne NGO sind dabei mit ihrem Lobbying besonders erfolgreich. Zumal zwischen NGO und staatlich finanzierten Bildungsinstitutionen mittlerweile eine problematische Symbiose gedeiht.

So sind manche neue Lehrmittel für öffentliche Schulen gespickt mit tendenziösen Analysen, Behauptungen und Werbespots für Gewerkschaften und NGO wie Attac, was in bürgerlichen Parteien für Unmut sorgt (NZZ 31. 8. 18, siehe Box). Gleichzeitig wird die Verbreitung von NGO-Botschaften im Schulbetrieb staatlich gefördert.

Das zeigt sich besonders im Bereich «Bildung für nachhaltige Entwicklung» (BNE), den Bund und Kantone auf Druck der Uno und gewisser NGO im Lehrplan 21 verankert haben. Offiziell geht es bei BNE um den Schutz der Umwelt, Menschenrechte, Migration, Gerechtigkeitsfragen oder wirtschaftliche Zusammenhänge – Themen also, die es durchaus wert sind, in der Schule kontrovers diskutiert zu werden. In der Praxis dient das Label «BNE» oft dazu, den Schülern und Lehrern bestimmte Haltungen, Organisationen und Ziele näherzubringen.

Die PH Bern etwa empfiehlt auf ihrer Website zum Thema «Migration» die Sites von Amnesty International und Young Caritas, samt Logo – als könnte man sich dort mit wissenschaftlichen Analysen versorgen (Beschreibung: «Infoservice mit spannenden Beiträgen»). Dabei wird bei Amnesty unter anderem Stimmung gegen Sozialdetektive und Pläne des Staatssekretariats für Migration zur Rückführung abgewiesener Asylsuchender aus Eritrea gemacht.

Amnesty und Young Caritas gehören auch zu den «Partnern» der mehrheitlich staatlich finanzierten Bildungsstelle «Education 21». Von Bund und Kantonen damit betraut, freiwillige BNE-Lehrmittel zu prüfen und zu erarbeiten, dient Education 21 auch als verlängerter Arm der links-grünen NGO-Familie. Die Liste der «ausserschulischen Partner», die Education 21 für Schulbesuche und Unterrichtsideen empfiehlt, liest sich wie ein Szene-ABC: Greenpeace, Brot für alle, WWF, Myclimate, Terre des hommes, Alliance Sud und so weiter. Hinweise auf andere Akteure mit konträren Sichtweisen sucht man vergeblich.

Die Education-21-Direktion versichert in einer schriftlichen Stellungnahme, externe Bildungsangebote würden nur empfohlen, wenn diese dazu beitrügen, «den Lernenden ein unabhängiges Urteil zu einem Thema zu ermöglichen». Und: «Es werden keine Anhänger oder Mitglieder für politische Überzeugungen oder kommerzielle Interessen geworben.» Die Realität sieht auch hier etwas anders aus. So gibt es auf der Website mehrere Links auf Projekte, in denen Greenpeace- und andere NGO-Aktivisten die Kinder auffordern, selber «aktiv» zu werden.

Empfohlen wird auch das Projekt «Luutstarch» von Young Caritas, in dem es um unverfängliche Themen wie Armutsbekämpfung und Schuldenprävention geht. Über eine «Einführung für Lehrpersonen» werden Interessenten dann aber auf die Website der Caritas Zürich («Zahlen und Fakten zur Armut») und zu den eingangs erwähnten «Unterrichtshilfen» geleitet. Darin geht es nicht nur um Mitgliederwerbung («Engagiere dich mit uns!»), sondern auch um ideologische Beeinflussung.

Die Vermögensverteilung in der Schweiz, so erfahren die Kinder etwa in einer Unterrichtsmappe zum Thema «Armut», sei «weltweit eine der ungerechtesten», und Armut müsse hier endlich als «zentrales Problem» anerkannt werden. Die Caritas-Aktivisten verschweigen wohlweislich, dass ihre Armutsdefinitionen – derzeit sollen laut Caritas in der Schweiz rund 1,2 Millionen Menschen arm oder von Armut bedroht sein –, genauso umstritten sind wie die politischen Forderungen, die sie daraus ableiten und den Schülern als Patentlösungen verkaufen: Ergänzungsleistungen für Familien, Frühförderung für alle, einheitliche Richtlinien für die Sozialhilfe, mehr Spielgruppen, mehr Beratungsstellen, mehr «bezahlbare» (sprich: subventionierte) Wohnungen und Kinderkrippen.

«Volles Vertrauen»

«Die Bekämpfung der Armut», so schreibt die Education-21-Direktion, «ist ein offizielles staatspolitisches Ziel der Schweiz und keine politische Gesinnung.» Das ist korrekt, blendet jedoch aus, dass die Art und Weise, wie Caritas Armut thematisiert, sehr viel mit Gesinnung zu tun hat. So kämpft das Hilfswerk zusammen mit SP, Grünen und anderen NGO für einen grosszügigen Ausbau des Sozialstaates und des Asylrechts. Caritas-Direktor Hugo Fasel politisierte als CSP-Nationalrat in der grünen Fraktion, und im Caritas-Vorstand sassen 2017 gemäss Jahresbericht gleich zwei bekannte SP-Politikerinnen (Ada Marra und Elisabeth Baume-Schneider). Eine kürzlich eingereichte parlamentarische Forderung nach einer «Kommission für Armutsfragen» stammt von SP-Nationalrätin Bea Heim, die ebenfalls Mitglied der Caritas ist.

Bei den Bürgerlichen hat sich inzwischen zumindest die Erkenntnis durchgesetzt, wonach BNE nicht nur der politischen Gegenseite überlassen werden sollte. «Ich will zeigen, dass dies kein links-rechts-Thema ist», sagt Conradin Cramer, seit kurzem Präsident von Education 21, «schliesslich geht es hier nicht nur um Öko, sondern auch um Ökonomie.»

Cramer ist Basler LDP-Regierungsrat und nach Silvia Steiner (cvp.) der zweite Bürgerliche, der den Stiftungsrat präsidiert. Zuvor dominierten Hilfswerkvertreter und SP-Politiker, darunter Elisabeth Baume-Schneider (SP/Caritas). Die Idee von Education 21, so Cramer, dürfe nicht sein, einer bestimmten Meinung zum Durchbruch zu verhelfen. Hinweise auf einseitig gefärbtes Unterrichtsmaterial nehme man deshalb sehr ernst. Die Verantwortung, dass es in der Schule keine Indoktrinierungsversuche gebe, liege jedoch bei den Lehrpersonen, «und da habe ich volles Vertrauen». Dies gelte auch für die Mitarbeiter von Education 21, die keine politische Agenda verfolgten.

«Die fetten Jahre sind vorbei!»

Wer die offiziell neutrale, jährlich mit mehr als 5 Millionen Franken alimentierte Bildungsstelle Education 21 genauer betrachtet, könnte da allerdings gewisse Zweifel hegen. Denn ein Teil der über 40-köpfigen Belegschaft bewegt sich selber im Umfeld jener NGO-Kreise, die von Education 21 beworben werden. Eine Mitarbeiterin von Education 21 sitzt im Vorstand von Terre des Hommes, andere waren oder sind für den WWF oder Alliance Sud tätig. Mehrere Mitarbeiter fühlen sich der grünen Partei verbunden, darunter auch der Verfasser des Education-21-Lehrmittels «Soziale Gerechtigkeit und Solidarität als Unterrichtsthema».

Darin werden die Kinder mit suggestiven Fragen und Botschaften bearbeitet. «Die soziale Ungleichheit ist evident», heisst es da etwa, «weshalb wird dieser Zustand der Gesellschaft kaum infrage gestellt?» Durch «neoliberale Politik» und Globalisierung habe die Ungleichheit «in den letzten Jahrzehnten vielerorts zugenommen». Das ist angesichts der abnehmenden Armut in zahlreichen Ländern eine tendenziöse, aber nicht sehr verwunderliche Aussage. Als der Lehrmittelexperte vor einigen Jahren für die Grünen kandidierte, verlangte er ultimativ «höhere Steuern und weniger Boni für Spitzeneinkommen». Slogan: «Die fetten Jahre sind vorbei!»

Dazwischen gibt's einen Werbespot für Attac

Ein NZZ-Artikel über politisch einseitige Lehrmittel hat zu zahlreichen Vorstössen der bürgerlichen Parteien geführt, unter anderem in Zürich und im Aargau. Dort will die FDP-Fraktion vom Regierungsrat wissen, inwiefern bei der Zulassung von Lehrmitteln auf Ausgewogenheit geachtet werde. Sicher ist: Die von der NZZ kritisierten Lehrmittel «Gesellschaften im Wandel» («GiW») und «Durchblick Geschichte» sind keine Einzelfälle – zumindest, was die unkritische Übernahme gewisser Gewerkschafts- und NGO-Parolen angeht. So erhält die antikapitalistische Attac nicht nur bei «GiW», sondern auch im Band «Geschichte der Neuzeit» des Zürcher Lehrmittelverlages ein nettes Porträt: Dem Titel «Attac – ein neuer Player der Zivilgesellschaft» folgt unter anderem ein Werbespot für die Attac-Idee einer «Tobin Tax», die angesichts des «Siegeszugs des Neoliberalismus» ein «Zeichen» für einen «fiskalpolitisch als notwendig erachteten Paradigmenwechsel» setzen könnte.

Politisch ausgewogener präsentiert sich das Lehrmittel «Zeitreise» (Klett- und-Balmer-Verlag), allerdings gibt es auch hier klar gefärbte Passagen: Die Menschenrechte, so ist etwa zu lesen, würden durch niemanden so gut geschützt wie durch Amnesty, Public Eye, das Rote Kreuz und andere NGO – «und damit durch uns!» Interessant ist auch die Behauptung, dass Frauen bei gleicher Arbeit immer noch «rund zehn Prozent weniger» verdienten als Männer, denn: «Bei der wirtschaftlichen Gleichstellung hapert es weiterhin.» Ob dem so ist, bleibt jedoch umstritten. Wie gewagt es ist, in Sachen Lohnunterschieden Tatsachenbehauptungen aufzustellen, zeigen die Lehrmittel selber: Während es bei «Zeitreise» zehn Prozent sind, behaupten die «GiW»-Autoren im Verein mit der Gewerkschaft Unia, es seien zwanzig. Unerwähnt bleibt in beiden Fällen, dass es auch Studien gibt, die von minimen unerklärlichen Lohndifferenzen ausgehen.

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