Wie wir die Klimaanlage neu erfinden

Atemberaubend schnell wächst der weltweite Bedarf an Kühlung. Doch sind die Umwelteinflüsse der Kühltechnik lange vernachlässigt worden: Heutige Klimaanlagen fressen viel Energie und brauchen klimaschädliche Kältemittel. Es sei Zeit zu handeln, sagen Experten.

Tim Schröder
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Klimaanlagen sprenkeln die Fassade eines Wohngebäudes in Singapur. (Bild: Reuters /Edgar Su)

Klimaanlagen sprenkeln die Fassade eines Wohngebäudes in Singapur. (Bild: Reuters /Edgar Su)

Der Sommer 2018 war schweisstreibend. In vielen Büros herrschten tagsüber Temperaturen, die die Arbeit zur Qual machten. Jetzt eine Klimaanlage! Das dürften viele Angestellte gedacht haben, die das Pech hatten, in einem unklimatisierten Büro arbeiten zu müssen.

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Während in den USA Klimaanlagen in Wohnungen und Büros seit langem gang und gäbe sind, ist der Bedarf in den vergangenen Jahren vor allem in Asien und dort insbesondere in China gewachsen. Auch in Europa wachse der Bedarf, sagt Peter Schossig, Experte für Gebäudeenergietechnik vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg im Breisgau. «Ein Treiber ist hier die Autoindustrie, die Klimaanlagen zum Standard im Fahrzeug gemacht und damit das Komfortempfinden der Menschen entscheidend geprägt hat. Wer in einem gekühlten Auto zur Arbeit fährt, möchte den Tag nicht in einem überhitzten Gebäude verbringen», so Schossig.

Ein weiterer Grund: Für den Bau von Häusern setzt man mehr und mehr auf Glas und Leichtbaustoffe, die weniger isolieren als dicke Wände. Aufgrund dieser Trends geht die Internationale Energieagentur in Paris derzeit davon aus, dass sich die Zahl der weltweit installierten Kühlanlagen bis zur Mitte des Jahrhunderts mehr als verdreifachen wird – von 1,6 Milliarden Stück im Jahr 2016 auf 5,6 Milliarden im Jahr 2050.

Der wachsende Bedarf an Gebäudekühlung bringt zwei Probleme mit sich: Erstens benötigen herkömmliche Klimaanlagen Strom, um Kälte zu erzeugen, und zweitens werden viele Geräte mit Kältemitteln betrieben, die zu den besonders starken Treibhausgasen zählen. Die Treibhauswirkung mancher Kältemittel übersteigt jene von Kohlendioxid um mehr als das Tausendfache.

Alternativen sind bereits auf dem Markt

Mit Blick auf den enormen Zuwachs des Kältebedarfs müsse man diese beiden Probleme schnellstens in den Griff bekommen, sagt Schossig. Zusammen mit seinen Kollegen am ISE arbeitet er seit vielen Jahren an alternativen und umweltfreundlichen Klimaanlagen. Zu Beginn der 2000er Jahre stellte das Freiburger Team beispielsweise wachsgefüllte Mikrokapseln vor, die sich in Wandanstriche oder Gipskartonplatten mischen lassen. Damit wird die Wand zur wartungsfreien Kühlanlage: Denn steigt die Temperatur im Raum über 24 Grad, verflüssigt sich das Wachs in den Kapseln, wobei es der Umgebung Wärme entzieht. Die Wand kühlt ab. Wird es abends kälter, verfestigt sich das Wachs und gibt die Wärme wieder ab. Sowohl die Anstriche als auch die Gipskartonplatten mit Mikrokapsel-Innenleben gibt es schon seit längerem zu kaufen.

Eine weitere bereits verfügbare Technologie sind Klimaanlagen, die – so paradox es klingt – mit Wärme angetrieben werden, mit Sonnenwärme oder der Abwärme von Industrieanlagen. Diese sogenannte «thermische» Kühlung bieten inzwischen zahlreiche Firmen auf dem Markt an. Meist handelt es sich dabei um Adsorptionskältemaschinen. In ihnen wird gasförmiges Kältemittel zunächst an ein Sorptionsmittel gebunden. Kommt Hitze hinzu, verdampft das Kältemittel und entzieht dabei der Umgebung Wärme – die Luft in der Umgebung kühlt sich ab. Anschliessend bindet das Gas wieder ans Sorptionsmittel, und der Kreislauf kann von neuem beginnen.

Auch für den europäischen Markt waren solare Kühlsysteme lange in der Diskussion. «Doch inzwischen sind die Preise für Photovoltaik so niedrig, dass es sich eher lohnt, auf dem Dach Strom zu produzieren und damit auch die elektrische Klimaanlage zu betreiben, als eine Adsorptionskältemaschine zu installieren», sagt Paul Gantenbein vom Institut für Solartechnik der Hochschule Rapperswil. In südlichen Breiten hingegen habe der Markt für solare Kühlung enorm an Fahrt gewonnen.

In Europa setzt man heute eher auf Adsorptionskältemaschinen, die mit der Abwärme von Industrieanlagen gespeist werden. In Deutschland macht sich dafür unter anderem der Verband für Sorptionskälte Green Chiller stark. Ein spezielles Adsorptionsverfahren hat die schwedische Firma SaltX auf den Markt gebracht: Bei diesem wird schlicht Wasserdampf an Salze gebunden. Die Salze dienen als Sorptionsmittel; nehmen sie Wasser auf, erwärmen sie sich, so dass die Anlage Wärme bereitstellen kann. Wird das Salz durch Sonnenwärme oder Abwärme erhitzt, verdampft das Wasser und kühlt. Ähnlich einem Akku können die Salze viele tausend Male be- und entladen werden.

Mario Stucki von der ETH Zürich wiederum hat das Prinzip der Verdunstungskälte auf pfiffige Art weitergedacht. Im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelte er ein mehrschichtiges Spezialtextil, dessen Kern aus einem wasseranziehenden Material besteht, welches sich mit Wasser vollsaugt. Diese wasserliebende Schicht ist auf beiden Seiten von einem wasserabweisenden, porösen Material ummantelt. Bei Wärme verdampft das Wasser aus der wasserliebenden Schicht langsam durch die Poren der wasserabweisenden Schicht nach aussen und verdampft dort. So kommt die Kühlung zustande. Ausserdem habe das «den Effekt, dass sich die Folie auf der Aussenseite trocken anfühlt – und vor allem, dass sie kaum schimmeln kann», sagt Stucki. Derzeit sucht der Chemieingenieur nach einem Industriepartner, mit dem er die Folie zu einem Produkt weiterentwickeln kann. Die äussere Schicht eignet sich als atmungsaktive Membran für Outdoor-Kleidung und die dreilagige Schicht zum Kühlen. In heissen Regionen könne man das Textil ans Fenster hängen, auf diese Weise die Sonne abschirmen und gleichzeitig einen Kühleffekt erzeugen – eine Klimaanlagen-Alternative, die ganz ohne komplexe Technik auskommt.

Kühlen mit weniger Strom

Doch das Gros der Klimaanlagen, die in den kommenden Jahren auf den Markt kommen werden, dürfte auch weiterhin mit elektrischer Energie und Kältemitteln betrieben werden, prophezeit die Internationale Energieagentur – Grund genug, diese Klassiker umweltfreundlicher zu machen. Zwar gibt es heute schon sehr energieeffiziente Kältegeräte, doch weltweit betrachtet sind die meisten Klimaanlagen noch wahre Energieschleudern. «In tropischen Regionen dienen die Anlagen zudem nicht nur zum Kühlen, sondern auch zur Entfeuchtung der Luft», sagt Peter Schossig – und in vielen Fällen sei die dafür eingesetzte Technik in energetischer Hinsicht Unsinn. Herkömmliche Anlagen von der Stange, sagt er, kühlten die Luft auf etwa sechs Grad herunter, damit die Luftfeuchtigkeit kondensiert und aus der Anlage abfliesst. Für die Kühlung der Räume ist das natürlich viel zu kalt, also wird die Luft wieder mit Strom aufgeheizt, ehe sie in die Räume geblasen wird. Hier sei eine Anlage, die zum Beispiel über Sorption die Feuchtigkeit entziehe, die bessere Wahl, sagt Schossig.

Handelsübliche Kälteanlagen sind aber eben nicht nur in Sachen Energie problematisch. Hinzu kommen die weitverbreiteten klimaschädlichen Kältemittel auf der Basis von Fluor-Verbindungen mit ihrem hohen Treibhauspotenzial. Würden diese ersetzt, liesse sich bis 2050 das Äquivalent von 90 Milliarden Tonnen CO2 einsparen, rechnete unlängst der «Economist» vor. Die Einsparung liesse sich verdoppeln, indem die Kühlgeräte radikal auf Energieeffizienz getrimmt werden – wohingegen populäre Vorschläge wie eine weitgehend fleischlose Ernährung, die Wiederaufforstung des Regenwaldes oder ein massiver Umstieg vom motorisierten Verkehr auf das Velo global nur einen Bruchteil dieser Reduktion bewirken würden. Die Kühltechnik, so der «Economist», sei eine im Bezug auf Umwelteinflüsse weltweit vernachlässigte Technologie. Verbesserungen auf diesem Feld könnten der Königsweg zur Reduktion von Treibhausgasen sein.

2015 hat die Europäische Union die sogenannte «F-Gase-Verordnung» erlassen, die den Einsatz fluorierter Treibhausgase, die typischerweise als Kältemittel in Kühlschränken und Klimaanlagen eingesetzt werden, schrittweise beschränkt. In regelmässigen Abständen wird die Menge, die die Hersteller noch verkaufen dürfen, verringert. So sollen «die Hersteller dazu bewegt werden, alternative Kältemittel zu verwenden», sagt Schossig. Gleichzeitig führe die Kappung der Menge zu einer Preiserhöhung.

An vielen Forschungseinrichtungen wird deshalb an alternativen Kältemitteln gearbeitet. Peter Schossig und andere Wissenschafter setzen seit einiger Zeit auf Propangas. Dieses eigne sich als Kältemittel ganz hervorragend. Gegenwärtig passen die ISE-Forscher die Klimatechnik an Propangas an. Zudem ändern sie das Design der Kälteanlagen so, dass sie mit weniger Kältemitteln auskommen. Auch das ist ein Weg, den Bedarf an Kältemitteln zu verringern. «Feinere Kühlrippen mit grösseren Oberflächen bringen beispielsweise eine ganze Menge», sagt Schossig.

Mit Propangas kann man auch kühlen

Das einzige Problem: Propan ist brennbar und darf deshalb heute nur unter strengen Auflagen eingesetzt werden. Schossig hält dies für ein teilweise überzogenes Reglement, das rasch geändert werden sollte. Eine Klimaanlage brauche eine deutlich kleinere Menge als eine Gasflasche, die unter manchem Gasherd stehe. Schossig geht deshalb davon aus, dass die Vorschriften im Zuge der Weiterentwicklung der Propan-Kühltechnik gelockert würden.

Für den Klimaschutz weltweit wären derartige Verbesserungen ein Riesenschritt – denn der Bedarf an Kühlung wächst atemberaubend schnell: Zuletzt hat die Nachfrage nach Klimaanlagen jährlich um 10 Prozent zugelegt.