Aus der Glücksforschung weiss man, dass Geld zur Zufriedenheit beiträgt. Der Privatjet und anderer Luxus machen Reiche aber nicht glücklicher. (Bild: Christian Beutler / Keystone)

Aus der Glücksforschung weiss man, dass Geld zur Zufriedenheit beiträgt. Der Privatjet und anderer Luxus machen Reiche aber nicht glücklicher. (Bild: Christian Beutler / Keystone)

Die Schwermut der Schwerreichen

Eine der teuersten Entzugskliniken der Welt betreut an der Zürcher Goldküste Reiche. Jeder Patient wohnt hier in einer eigenen Villa mit Butler und Chauffeur und zahlt dafür bis zu 17 000 Franken pro Tag. Was fehlt denen, die alles haben?

Birgit Schmid
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Eine alte Herrschaftsvilla in Zollikon, Baujahr 1907, Teich im Garten, Skulptur aus verrosteten Autoteilen, zwischen den Bäumen glitzert der Zürichsee. Ein Mann in weissem Hemd und schwarzer Weste, die Halbschuhe poliert, öffnet die Tür. Lars Kruger ist in einer Person der Butler hier und der «Chef», wie die Klinik The Küsnacht Practice ihre Köche nennt. Er ist zuständig für einen einzigen Patienten. Der Patient wurde am Morgen in einer Limousine am Flughafen abgeholt und hergefahren. Im dreistöckigen Haus mit den sechs Schlafzimmern, das er ganz für sich hat, wird er in den nächsten Wochen sein Leiden behandeln lassen.

Die Koffer im Entrée tragen Etiketten der Turkish Airways. Der Patient habe sich erst gestern entschieden, heute zu kommen, sagt der Leiter Hotellerie der Klinik, Sven Trachsler. Zum Glück sei noch eine Villa frei gewesen: «Sonst entscheiden sie sich vielleicht anders.»

Mehr als sieben Patienten auf einmal kann diese Privatklinik für ambulante Therapie nicht aufnehmen, aber von ihnen erhält sie ihre Exklusivität: Die reichsten Menschen der Welt residieren in je einer der sieben gemieteten Gästevillen, die sich am rechten Zürichseeufer in Küsnacht, Herrliberg, Zollikon und Erlenbach befinden.

Viele Patienten kommen als Süchtige. Drogen, Alkohol, Internet, Spiel, Sex. Sie leiden an Essstörungen, Schlafproblemen, Depressionen, verausgaben sich. «High achievers», Überflieger, nennt sie CEO Eduardo Greghi. Das waren sie, bevor sie abgestürzt sind. Überhaupt redet der CEO lieber von «Kunden». Der Psychiater Wulf Rössler, der im Verwaltungsrat der Klinik sitzt, sagt es weniger schonend: «Reichtum kann ein Belastungsfaktor sein.»

Alle so diskret hier in der Schweiz

Die Institution wurde bereits 2007 eröffnet. Doch selbst die Nachbarn hier an der Goldküste, wo hohe Hecken und Bäume die Häuser trennen, wissen nicht, wer im Fitnessraum nebenan täglich auf dem Massagetisch liegt oder sich in der Sauna entspannt. Nur wenn die Medien darüber spekulieren, wo sich dieser Schauspieler oder jener Royal in der Schweiz behandeln liess, fällt der Name Küsnacht. George Michael soll hier gewesen sein, der Designer John Galliano. Aber Gerüchte bleiben unkommentiert. Denn einer der wichtigsten Gründe, sich hier einzuweisen, ist Diskretion.

Das Klinik-Logo findet man weder auf Briefpapier noch Kugelschreibern. Dafür sind die Patienten bereit, pro Tag bis zu 17 000 Franken zu zahlen oder in der Woche 120 000 Franken, was sich bei einer empfohlenen Aufenthaltsdauer von vier bis acht Wochen schon einmal auf fast 1 Million Franken beläuft.

Eine Führung durch die Villa ist nur möglich, weil der Patient gerade beim Aufnahmegespräch in den Büros der Klinik in Zollikon ist, wo sich im fensterlosen Untergeschoss auch das Labor und andere medizinische Einrichtungen befinden. Während er dort seinen Therapieplan bespricht, steckt Butler Lars in der Küche frische Blumen in eine Vase. Bald bereitet er das Nachtessen vor. Die Ernährung wird ganz auf den Patienten abgestimmt und soll die Genesung unterstützen. Wenn der Patient vom Check-up zurückkehrt, wird auch das Cheminéefeuer brennen.

In den vergangenen Jahren entstanden in der Schweiz vielerorts Luxuskliniken, die jüngste Ende Jahr in Montreux, die mit Garantie auf Verschwiegenheit Menschen mit viel Geld für den Entzug anziehen. Prominente haben die ruhige Schweiz gern, deshalb ziehen sie hierher. Tina Turner kann unbeobachtet ihr Haus in Küsnacht verlassen. Die Berge sind nah, überall hat es Wasser.

Gerne beruft man sich in Küsnacht auf die Geschichte der Psychiatrie und Psychoanalyse, die den Ort prägt, auf die Verbindung von Gastfreundschaft und Therapie. C. G. Jung hat hier 1943 das gleichnamige Institut gegründet, noch vorher soll er den amerikanischen Geschäftsmann Rowland Hazard, Sohn eines Industriellen und beteiligt an der Gründung der Anonymen Alkoholiker, bei sich zu Hause in Küsnacht aufgenommen und dessen Trunksucht behandelt haben. Eine ähnliche Geschichte liegt der Klinik zugrunde: Ein kanadischer Manager, der Ende der neunziger Jahre in die Schweiz zog, wurde zum Helfer, als er den drogensüchtigen Sohn einer befreundeten Familie ebenfalls bei sich in Küsnacht wohnen liess. Er fand so seine Berufung, studierte Psychologie und liess sich zum Suchttherapeuten ausbilden. Daraus wurde 2007 die Firma The Küsnacht Practice.

Der heutige Besitzer und CEO Eduardo Greghi sagt, die enge therapeutische Beziehung gehöre weiterhin zur Philosophie der Klinik: «Wir schaffen für den Klienten ein Zuhause.» Greghi ist als Sohn brasilianischer Farmer in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Für ihn bedeutet Nähe zu den Patienten, diese auch einmal zum Ausreiten mitzunehmen. Er besitzt in der Nähe von Zürich sieben Pferde.

Therapie am Cheminéefeuer

Zurück in der Gästevilla in Zollikon. Auf dem Salontisch sind Porträtfotos aufgereiht, Babyspielzeug liegt am Boden: Frau und Kind hätten den Patienten begleitet und blieben die ersten Tage, sagt Hotellerie-Leiter Trachsler, der die Familie vor wenigen Stunden in Empfang genommen und durch die Räume geführt hat: über knarrendes Parkett, an hohen Kerzenständern vorbei und Design-Möbeln. Trachsler bleibt vor einem grossen Gemälde in zuckenden Farben stehen, aus dem ihn ein Augenpaar anstarrt. «Sonst wählen unsere Psychologen für die Interieurs weniger aufwühlende Kunst», sagt er. Der neue Bewohner fühle sich dadurch aber nicht bedrängt. Auf einem Flügel liegt ein Notenblatt mit David Bowies «Ashes to Ashes» aufgeschlagen. Darin die Zeile: «We know Major Tom's a junkie.»

Während Trachsler von Stock zu Stock führt, der Blick auf den See immer unverstellter wird, zählt er die weiteren Villen im Angebot auf: Es gibt jene im «old English style», die mit Seeanstoss, eine weitere eingerichtet «mit femininem Touch».

Zuoberst befinden sich das schlichte Büro und das Schlafzimmer des Case-Managers, der während des ganzen Aufenthalts des Patienten hier wohnt. Zum Personal gehört auch eine Haushälterin, die, ganz in Schwarz, gerade noch einmal prüfend durch die Räume geht. Der Rundumservice wie in einem Hotel zeichnet die Fünf-Sterne-Psychiatrie aus, zu der 70 Festangestellte und 90 freie Mitarbeitende gehören, vom Yogalehrer bis zur Akupunkteurin. Wird ein Spezialist nötig, arbeitet man mit den umliegenden Spitälern zusammen. In täglichen Gesprächstherapien versucht man die Ursache zu ergründen, weshalb jemand die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Schon morgen wird der neue Patient hier im Wohnzimmer der Villa seine erste Therapiesitzung haben.

Wulf Rössler leitete lange die Klinik für Soziale Psychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Behandelte er damals vor allem die Armen – Randständige, Drogensüchtige –, kümmert er sich heute um die Millionäre in Küsnacht. Er sagt: «Leiden kann aufgrund sozialer Bedingungen entstehen.» Reiche seien gefährdet, da sie unbeschränkten Zugang zu dem hätten, was Sucht charakterisiere: immer mehr zu brauchen. Viele fragten nach dem Lebenssinn. «Wir meinen, dass Reiche glücklich sein müssten. Aus der Glücksforschung weiss man aber: Eine gewisse Menge Geld trägt zwar zur Zufriedenheit bei, der Privatjet gehört jedoch nicht dazu.» Wie wissen Superreiche, wer ein Freund ist und wer nur profitiert?

Dass Reichtum belastend sein kann, weiss auch der ärztliche Direktor von Küsnacht Practice, Konrad Hitz. Auch er hat einst die Drogensüchtigen vom Zürcher Platzspitz betreut, die zu Sozialfällen wurden. Während sich jene, die nichts haben, wohl selten mit den Privilegierten vergleichen, sagt er: Arme und Reiche wirkten oft ähnlich verloren. Und doch gebe es einen Unterschied: «Manchmal sah ich die Abhängigen am Bahnhof mit ihren Bierdosen stehen. Da gab es immer noch andere, sie tauschten sich aus.» Manche seiner heutigen Patienten hingegen fange kein soziales Netz mehr auf. «Ihr bester Freund ist vielleicht ihr Anwalt, und den bezahlen sie dafür.»

«Es ging nur um mich. Nie ums Geld »

Umso inniger scheint das Verhältnis der Patienten der Luxus-Klinik zu ihren Bezugspersonen, die sie an die Hand nehmen, um sie wieder leben zu lehren. Das kostet zwar auch viel Geld, aber die Empathie, die ihnen entgegengebracht wird, täuscht darüber hinweg.

Während der Mann in der Villa in Zollikon ein Phantom bleibt, sind zwei ehemalige Patientinnen zu einem Telefongespräch bereit. Da ist die 39-jährige Norwegerin, zweifache Mutter, die in eine reiche englische Familie eingeheiratet hat. Sie litt während Jahren an einer massiven Bulimie, Abführmittelmissbrauch, Kokain und Alkohol. «Niemand merkte, wie tieftraurig ich war und wann ich umarmt und getröstet werden wollte», erzählt sie mit der Offenherzigkeit, die reiche Menschen manchmal zeigen, wenn sich jemand für ihre Not interessiert. Die andere Patientin, 61, eine Britin, befindet sich gerade in ihrem Ferienhaus in Mexiko. Sie kam wegen ihrer Depressionen nach Küsnacht. Beide loben die enge Bindung zu ihren Betreuern.

Die eine sagt: «Es war alles auf mich zugeschnitten. Nur auf mich.»

Die andere sagt: «Jeder gab mir das Gefühl, als wäre ich wichtig, weil ich es bin. Es ging nie ums Geld.» Jedenfalls nicht für sie.

Die in der Klinik erlernten Verhaltensweisen würden ihnen bis heute helfen, auch wenn sie nicht verhinderten, dass sie «wieder aus dem Nest» falle, wie es die Britin formuliert. Als ehemalige Patientinnen dürfen sie sich jederzeit melden, der Kontakt bleibt erhalten. Die Bezugsperson, meist auch ihr Koch und Butler, begleiten die Patienten zudem in den ersten Wochen zu Hause, damit sie im Alltag Tritt fassen.

Eine Klausel gibt es beidseitig in den Verträgen von Küsnacht Practice, offenbar ist sie nötig: Patienten dürfen keine Mitarbeiter abwerben und Mitarbeiter kein Stellenangebot der Reichen annehmen.

Zuwendung ist nicht käuflich. Oder nur bedingt.