Weder Ethik- noch Ärzteorganisationen dürfen die Freiheit des Arztes, Suizidhilfe zu leisten, beschränken. Sie haben sich auf ethische Fragen zu konzentrieren.
Die Ärztekammer der FMH hat die Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) nicht als Standesrecht der FMH übernommen. Dazu darf festgestellt werden, dass bisher weder SAMW noch FMH verstanden haben, worum es eigentlich geht.
Verleitung und Beihilfe zum Suizid sind hierzulande kein Delikt, solange jemand nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen handelt. Jeder darf einem anderen, dem es nicht an Urteilsfähigkeit mangelt und der beschlossen hat, sein eigenes Leben zu beenden, dazu geeignete Mittel aushändigen und ihn auch instruieren, wie diese zu handhaben sind. Basis sind die EMRK und die Bundesverfassung. Dazu ist am 3. 11. 2006 ein Urteil des Bundesgerichtes ergangen. Dessen zentraler Satz lautet: «Zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Art. 8 Ziff. 1 EMRK gehört auch das Recht, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden; dies zumindest, soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechenden Willen frei zu bilden und danach zu handeln.»
Somit hat der urteilsfähige Mensch das Recht, selbst über Art und Zeitpunkt seines eigenen Lebensendes zu bestimmen. 2011 hat dies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg bestätigt: «Im Lichte dieser Rechtsprechung hält der Gerichtshof dafür, dass das Recht eines Individuums, zu entscheiden, auf welche Weise und in welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, sofern es in der Lage ist, seine diesbezügliche Meinung frei zu bilden und dem entsprechend zu handeln, einen der Aspekte des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Artikel 8 der Konvention darstellt.»
Bedingungen für Menschenrechte können nur in der dafür zuständigen Menschenrechtsnorm selbst aufgestellt werden. Fehlen solche, hat niemand die Befugnis, dazu einschränkende Bedingungen zu verfügen.
Als die SAMW 2004 ihre «Medizin-ethischen Richtlinien zur Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende» erliess, gab es die beiden vorstehend zitierten Gerichtsurteile noch nicht. Sie überschätzte ihre Befugnisse. Aus dem in ihren damaligen Richtlinien stehenden Satz «Entschliesst er (der Arzt) sich zu einer Beihilfe zum Suizid, trägt er die Verantwortung für die Prüfung der folgenden Voraussetzungen: Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme, dass das Lebensende nahe ist. (…)» ergab sich für die SAMW (und weite Kreise der Öffentlichkeit) die irrige Annahme, einem Arzt sei dadurch die Beihilfe zum Suizid verboten, wenn das Lebensende der betreffenden Person nicht nahe sei.
Die SAMW selbst hatte jedoch schon bei der Festlegung des Geltungsbereichs der Richtlinien erklärt: «Die Richtlinien betreffen die Betreuung von Patienten am Lebensende.» Es bedurfte erst einer Reihe von Gerichtsurteilen, bis die FMH und die SAMW ihren Irrtum begriffen.
Wird ein Arzt von einer urteilsfähigen Person um Beihilfe zum Suizid gebeten, dürfte er dieser, ohne Schwierigkeiten erwarten zu müssen, seine Pistole samt Munition übergeben und ihn in deren Handhabung instruieren. Da dies aber keine sichere Suizidmethode darstellt, ist es zweifellos erstrebenswerter und humaner, dem Patienten Natrium-Pentobarbital (NaP) in ausreichender Dosierung zu verschreiben und ihn über dessen Handhabung sorgfältig zu instruieren.
Weder Ethik- noch Ärzteorganisationen dürfen die Freiheit des Arztes, Suizidhilfe zu leisten, beschränken. Sie haben sich auf ethische Fragen zu konzentrieren. Zu den Gründen, die den Arzt zum Entschluss geführt haben, einem Menschen so zu helfen, haben sie nichts zu sagen. Im freiheitlichen Rechtsstaat darf die Freiheit immer nur dann eingeschränkt werden, wenn dazu rationale, auf Evidenz basierte und weltanschaulich neutrale Gründe bestehen – was für diese Richtlinien nicht zutrifft. Niemand hat das Recht, weltanschauliche Positionen von Minderheitsgruppen der Mehrheit zu oktroyieren. Die Devise für SAMW und FMH muss deshalb lauten: Schuster, bleibt bei euren Leisten!
Frank Th. Petermann ist Rechtsanwalt und Präsident der Vereinigung der Schweizer Medizinalrechtsanwälte (SMLA); er berät verschiedene Akteure des Gesundheitswesens, darunter auch Suizidhilfe-Organisationen.