Interview

Alexander Gauland: «Es gibt ein merkwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit in der AfD»

Die rechte Alternative für Deutschland sitzt seit rund einem Jahr als Oppositionsführer im Parlament. Viele sehen allein in dieser Anwesenheit eine Schande für Deutschland. AfD-Chef Alexander Gauland glaubt, seine Partei habe Deutschland bereits verändert. Das Land erlebe gerade die Rückkehr «echter Debatten».

Benedict Neff, Berlin
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Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland. (Bild: Rolf Vennenbernd / DPA / Keystone)

Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland. (Bild: Rolf Vennenbernd / DPA / Keystone)

Herr Gauland, am 24. Oktober 2017 sass die AfD zum ersten Mal im Deutschen Bundestag. Woran erinnern Sie sich?

O Gott, da könnte ich jetzt nichts sagen.

Das war für Sie kein historischer Augenblick?

Nein. Der Moment des Jubels war bei der Bekanntgabe des Ergebnisses im September. Jeder von uns war ja schon einmal im Reichstagsgebäude gewesen. Da war kein Wow.

Niemand wollte neben der AfD sitzen, und Ihre Anwesenheit im Parlament wurde als eine Schande verhandelt. Hat sich der Umgang ein wenig normalisiert?

Nein. Die Ablehnung gegen uns ist noch stärker geworden. Es gibt im Bundestag keine Rede, in der nicht erst einmal gesagt wird, dass man mit uns nichts zu tun haben will. Die neuste Erfindung ist, dass sich alle anderen Parteien «demokratische Parteien» nennen und wir nicht dazugezählt werden. Typisch ist auch, dass wir als einzige Partei immer noch keinen Bundestagsvizepräsidenten haben. Jetzt haben wir eine junge Frau aufgestellt, die noch mit keinem bösen Wort aufgefallen ist. Aber vermutlich müsste sie erst auf Knien durch Chemnitz rutschen, um von den Linken gewählt zu werden.

Unterhalten Sie Kontakte zu anderen Parteien?

Wir sitzen ja neben der FDP – da fliegt gelegentlich einmal ein Wort hin und her, auch ein freundliches. Mit CDU- und FDP-Abgeordneten pflegen wir normale Umgangsformen. Je weiter links es geht, desto grösser ist die Ablehnung: Die sind froh, wenn sie uns nicht sehen, und wir sind froh, wenn wir sie nicht sehen. Im Einzelnen kann es aber wieder ganz anders sein. In einer Talkshow habe ich erlebt, dass mich Herr Röttgen von der CDU gar nicht begrüsst hat, während mir Herr Trittin von den Grünen sehr freundlich die Hand geschüttelt hat.

War für Sie die Ablehnung im Bundestag erwartbar?

Ja, für mich war es nichts Besonderes, dass sich andere wegdrehen, wenn ich komme. Ich habe das schon im Landtag von Potsdam erlebt.

Was hat sich mit der AfD im Bundestag verändert?

Es finden wieder echte Debatten statt. Das gab es ja alles nicht mehr. Wir stellen vieles radikal infrage, worüber lange gar nicht mehr diskutiert wurde, weil die anderen die Fragen für endgültig geklärt hielten. Das hat bei den Wählern zu einem neuen Interesse am Streit geführt. Während in Bonn noch hart gerungen wurde, fand diese Auseinandersetzung zuletzt nur noch in Talkshows statt. Das Grundsätzliche von früher ist wieder zurück.

Als konstruktiv nimmt man die AfD bis jetzt aber nicht wahr. Hat es Ihre Partei auch geschafft, Brücken zu bauen?

Wir beeinflussen die anderen Parteien, aber im indirekten Sinne. Die anderen müssen sich dauernd mit unseren Argumenten auseinandersetzen, und sie müssen ihren Wählern permanent erklären, warum unsere Argumente alle völlig falsch sind. Wenn Herr Spahn fordert, am Parteitag möge über den Migrationspakt abgestimmt werden, dann hat die AfD mitten in die CDU hineingewirkt. Brücken haben wir noch keine gebaut, wir schlagen Breschen in die Mauern.

Inwiefern hat die AfD den öffentlichen Diskurs verändert?

Die AfD hat den Diskurs nicht verändert, sie hat den Diskurs erst wieder recht hervorgebracht. Nachdem die Teddybärwerfer in München 2015 die Flüchtlinge willkommen geheissen hatten, haben Teile der Gesellschaft beschlossen, die wunderbaren Fachkräfte aus Syrien aufzunehmen. Dann gab es Ereignisse wie die massenhaften sexuellen Übergriffe vom Kölner Silvester – und seither ist eine Diskussion im Gang, die wir permanent befördern. Diese Diskussion ist nicht mehr zu unterdrücken, obwohl die anderen Parteien das wünschen.

Ausser Sicherheits- und Migrationspolitik hat die AfD nicht viel zu bieten.

Wir haben auch Positionen in der Gesundheitspolitik und zur Rentenpolitik – wir bestreiten jede Debatte. Aber wenn die AfD etwas zur Gesundheitspolitik sagt, interessiert das nur wenige Menschen. Wir müssen bei den Punkten bleiben, die uns stark gemacht haben. Warum sollte ich mich zu Digitalpolitik äussern? Jeder weiss, dass ich keinen Computer benutze und mit solchen Dingen nicht umgehen kann. Ich kann auch nicht twittern und weiss auch nicht so genau, was das ist.

Aussenpolitisch wirkt die Partei völlig orientierungslos.

Wir haben zwei Pfeiler. Wir setzen uns dafür ein, dass sich die Bundeswehr nicht irgendwo in Afrika herumtreibt und dass wir vernünftige Beziehungen zu Russland haben.

Wie hat sich die Beziehung zu den Medien entwickelt?

Die meisten deutschen Journalisten sind Anhänger eines linksliberalen Denkens. Das wird ihnen nicht vorgeschrieben, aber so ist es einfach. Die Beziehung zu den Medien ist gespannt. Persönlich habe ich aber einen guten Kontakt zu Journalisten. Es gibt auch im «Spiegel» Leute, die ihre Arbeit vernünftig machen und keinen Unsinn in die Welt setzen. Dass uns die Journalisten nicht mögen, ist ihr gutes Recht. Eine unüberwindbare Feindschaft gibt es aber nicht.

Sie haben Ihre Partei als «gärigen Haufen» bezeichnet. Ist sie das noch immer?

Ja.

Wie führt man einen solchen Haufen?

Ja, das ist ein Problem. Sie können die AfD nicht von oben herab führen. Meine Vorgänger Bernd Lucke und Frauke Petry sind genau daran gescheitert. Es gibt ein demokratisches Grundverständnis in dieser Partei, dass die da oben erst einmal unrecht haben. Ich habe inzwischen den Vorteil des Alters. Als eine Art Dinosaurier akzeptieren mich selbst die meisten Anarchisten in der Partei. Die AfD wehrt sich immer gegen jeden, der ihr etwas verordnen will.

Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Erstens: Sie müssen versuchen, so viel wie möglich mitzunehmen aus der Partei und der Fraktion. Zweitens: Sie dürfen nicht den Eindruck machen, dass Sie es besser wissen – das geht völlig schief. Drittens: Man muss immer deutlich machen, dass die Basis der eigentliche Kopf der Partei ist. Das ist manchmal schwierig.

Wieso?

Es ist vor allem dann schwierig, wenn es um dumme Sprüche aus der Nazizeit geht. Es gibt ein merkwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit in der AfD. Alle wollen reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das ist unsere grösste Schwierigkeit. Die Leute, die bei uns dummes Zeug reden, sind keine Nazis. Aber sie handeln nach dem Motto, dass unter der Meinungsfreiheit alles gesagt werden darf.

Ihre Konsequenz daraus scheint die Kapitulation zu sein: Sie lassen einfach alle sagen, was sie wollen.

Nein, das ginge auch gar nicht. Wir stehen in einem Abwehrkampf gegen den Verfassungsschutz, weil der jede blöde Bemerkung von uns notiert. Wir trennen uns von Leuten, die offen nationalsozialistischen Blödsinn verbreiten. Einzelne Irre gibt es immer, und diese schliessen wir aus. Im Ganzen wollen wir die Meinungsfreiheit aber nicht einschränken. Denn dies ist ja gerade die Stärke unserer Partei.

Trotzdem bleibt es auch die Achillesferse der AfD: Extremisten werden nicht ausgeschlossen. Man denke an den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke.

Ich weiss nicht, wieso Björn Höcke ein Extremist sein soll. Er wird immer wieder am selben aufgehängt, und immer wieder muss man dasselbe dagegensetzen. Er hat vom Holocaust-Mahnmal in Berlin als dem Mahnmal der Schande gesprochen. Ja, natürlich: Es ist das Mahnmal unserer Schande. Er hat die Frage gestellt, ob es richtig sei, das Mahnmal der Schande in die Mitte der Hauptstadt zu setzen. Genau dieselbe Frage hat Rudolf Augstein, der Gründer des «Spiegels», vor Jahren in einem Artikel gestellt. Damals hat es keinen Menschen gewundert. Niemand kam auf die Idee, dass Rudolf Augstein ein Nazi sein könnte. Auch Höcke ist kein Nazi. Er ist ein Nationalromantiker. Er will weder die verfassungsrechtliche Grundordnung umstürzen, noch will er die Demokratie abschaffen oder den Führerstaat einführen.

Birgt die Ablehnung, die Sie erfahren, die Gefahr einer zunehmenden Verhärtung und Radikalisierung?

Die Gefahr kann man nicht von der Hand weisen. Aber ich sehe in unserer Partei keine Radikalisierung. Der Flügel, der bei uns eher rechts ist, hat nie Mehrheiten – weder in der Fraktion noch in der Partei.

Hat Sie die politische Isolation verbittert?

Nein.

Sind Sie optimistischer geworden, seit die AfD im Parlament ist?

Wir haben einen Erfolg erzielt, wie ihn noch keine demokratische Partei in Deutschland erreicht hat. Das sehe ich positiv. Aber Sie bekommen nicht fünfzig Prozent. Unser Ziel muss es sein, die CDU innerlich so zu verändern, dass wir langfristig mit ihr Verantwortung übernehmen können. Das ist ein schwieriger Prozess. Aber schon heute beeinflussen wir mit unseren Aktionen das politische Klima im Land: Plötzlich wollen andere Parteien auch Abschiebungen oder Ankerzentren. Wir haben das Land schon verändert – nicht durch Selbstregieren, sondern durch Einwirken auf die Basis der anderen.

Sie haben einmal geschrieben: Merkel trete bald ab, aber das «System Merkel» bleibe. Was bleibt genau?

Das hängt davon ab, wer Parteivorsitzender wird. Merkel hat zwei Leistungen vollbracht. Erstens: Sie hat die AfD hervorgerufen. Zweitens: Sie hat den Markenkern der CDU völlig zerstört. Es geht ja nicht nur um die Flüchtlingspolitik, sondern auch um die völlig idiotische Energiewende, das Herunterfahren der Bundeswehr und die bescheuerte Euro-Rettung. Was ich gern zugebe: Jetzt, im Wettbewerb um den Parteivorsitz, beginnt eine gewisse Reideologisierung der CDU.

Friedrich Merz, Jens Spahn und Annegret Kramp-Karrenbauer kämpfen um den CDU-Parteivorsitz. Was würden die jeweiligen Kandidaten für die AfD bedeuten?

Friedrich Merz könnte uns im Westen Stimmen abnehmen. Viele alte CDU-Wähler sehen in ihm das Symbol einer guten alten CDU. Dafür ist Merz im Osten der Republik nicht vermittelbar: Kapitalist, Transatlantiker. Er ist alles, was die Menschen im Osten nicht mögen. Kramp-Karrenbauer ist die Merkel-Fortsetzung mit anderem Namen. Da bin ich mir unsicher, ob die Wirkung eher positiv oder eher negativ ist. Ich würde Jens Spahn wählen, wenn ich noch in der CDU wäre. Er spricht auch einmal aus, was sich andere nicht trauen. Er wäre im Osten und im Westen vermittelbar.

Erstaunt es Sie, dass Merz vergleichsweise zahm auftritt?

Er tritt ohne Programm auf, weil es ihm nicht um die Sache geht. Er hat eine Rechnung mit Merkel offen. Friedrich Merz hasst Angela Merkel, und er will Parteivorsitzender werden, um ihr das Leben so sauer wie möglich zu machen. Das Motiv von Merz ist Rache an Merkel.

Die AfD setzt auf Doppelspitzen. In der Fraktion teilen Sie sich den Vorsitz mit Alice Weidel. Wie ist Ihre Zusammenarbeit?

Ich habe sie mir ja selbst ausgesucht. Als die Partei für den Wahlkampf eine neue Doppelspitze brauchte, habe ich Frau Weidel vorgeschlagen. Und das funktionierte bisher gut, selbst in Krisenzeiten. Im Bundesvorstand sind wir dann auch einmal aneinandergeraten: Sie wollte Höcke ausschliessen, ich hielt es immer für falsch. Da hatten wir eine Differenz. Aber ich habe immer grosse Sympathie für sie gehabt. Die jüngste Spendengeschichte war nicht sehr angenehm für sie.

Sie sollen Weidel angeschrien haben.

Ich schreie Damen nicht an. Aber es ist richtig, dass ich ihr nach der zweiten Spende ziemlich eindrücklich gesagt habe, dass wir beide in einer ganz schwierigen Situation sind, wenn noch etwas herauskommt. Die Spendengeschichte kann uns beide den Kopf kosten.

Warum «beide»? Primär sitzt Weidel in der Tinte.

Wir sind nun einmal ein Team, und ich bin nicht so erzogen, dass ich den anderen einfach absaufen lassen würde. Ich hafte mit. Abgesehen davon: Ich wüsste gar nicht, mit wem man Frau Weidel ersetzen könnte. Man muss auch ganz populistisch denken: Ich bin ein alter Mann, sie ist eine kluge junge Frau, dann ist sie auch noch lesbisch. Sie ist mit ihrem ganzen Profil ein Gewinn für die Partei: Sie können sie nicht einfach durch eine andere Person ersetzen.

Wird Weidels Homosexualität in der Partei als ein Gewinn gesehen?

Das interessiert die Leute nicht sehr. Es gibt in der Partei einige Homosexuelle in führenden Positionen.

Sie waren einmal Mitglied der CDU und gelten noch heute als Konservativer. Einige Ihrer jüngsten Bemerkungen waren aber sehr befremdend. Sie bezeichneten den Holocaust als einen «Vogelschiss» in der Geschichte. Ein anderes Mal forderten Sie das Recht ein, stolz zu sein auf die deutschen Soldaten in zwei Weltkriegen. Was beabsichtigen Sie?

Zum Vogelschiss: Im Grunde habe ich eine verachtungsvolle Metapher gesucht für diese Jahre, aber ich habe danebengegriffen, denn der Vergleich wirkte, als wollte ich den Holocaust kleinreden. So war das aber nicht gemeint.

Das folgt bei der AfD einem gewissen Muster: Es war nicht so gemeint.

Aber es ist so. Es war nicht einmal als Provokation gedacht. Die andere Aussage war beabsichtigt: Ich halte es für richtig, dass deutsche Soldaten in zwei Weltkriegen auch tapfer gefochten haben. Beim Ersten Weltkrieg ist das ja auch nicht problematisch: Jedes Land ehrt seine Toten. Beim Zweiten Weltkrieg haben wir mit Auschwitz und der SS eine ganz andere Situation. Aber auch hier haben wir das Afrikakorps, das so etwas wie einen sauberen Krieg geführt hat. Ich kannte den Disraeli-Biografen Lord Blake, einen britischen Historiker, sehr gut. Der hat mir einmal gesagt: Wenn Rommel am 8. Mai 1945 auf dem Trafalgar Square in deutscher Wehrmachtsuniform herumgelaufen wäre, hätten ihm die Briten freundlich die Hand gegeben. Dieses Bild hatte ich vor Augen. Ich habe bewusst von Soldaten gesprochen. Die Wachmannschaften der KZ und die Einsatzkommandos waren keine Soldaten.

Trotzdem haben alle einer Sache gedient: den Krieg für Hitler zu gewinnen. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust sind auch für die gegenwärtige deutsche Politik noch etwas Entscheidendes.

Das ist so.

Glauben Sie, es sei etwas zu Dominantes?

Der Holocaust ist nicht die Basis unseres Selbstverständnisses; auch wenn dies in Reden gern gesagt wird. Man kann auf der Grundlage eines solchen Verbrechens kein Selbstverständnis aufbauen. Sonst müssten wir ja ununterbrochen herumlaufen und uns schämen, Deutsche zu sein. Das kann man nicht machen, es würde uns seelisch überfordern. Aber eines ist richtig. In vielen politischen Fragen beeinflusst uns der Holocaust auch heute noch stark. Nehmen Sie die Israel-Politik. Ein deutscher Politiker kann sich nicht hinstellen und Israel von A bis Z kritisieren. Im Gegenteil: Es heisst bei uns, die Existenz des Staates Israel sei Staatsräson. Das halte ich leider für eine Phrase. Denn wenn die Israeli unsere militärische Hilfe tatsächlich anfordern würden, würde sich unser Versprechen schnell als hohl erweisen.

Warum?

Ich fürchte, dass unsere Soldaten zu wenig darauf vorbereitet sind, an der Seite der Israeli zu kämpfen. Auch bei der Flüchtlingskrise wurde unentwegt auf den Holocaust Bezug genommen. Ich finde, es wird in Deutschland zu viel mit dem Holocaust argumentiert. Die Auseinandersetzung mit dieser Zeit wird aber bleiben. Sie kommen aus sechs Millionen Toten nicht heraus.

Haben Sie Ihr Deutschsein schon verwünscht?

Nein. Im Übrigen – das klingt vielleicht albern – fühle ich mich dem englischen und dem französischen Kulturraum sehr verbunden. In meinem Büro hängt der französische Aussenminister Talleyrand – nicht Bismarck oder Friedrich der Grosse, wie manche vielleicht denken könnten.

Wieso klingt das albern?

Na ja, dass ich eine französische Figur bewundere und an die Wand hänge. Abends, wenn ich schon sehr müde bin, lese ich oft irgendwelche Briefe von Talleyrand. Ich habe eine Verbindung zu diesen Dingen; aus der ich auch Kraft schöpfe für meine Arbeit.

Sie erfüllen in Ihrer Partei eine Klammerfunktion, weil Sie flügelübergreifend akzeptiert werden. Droht Chaos, wenn Sie gehen?

Man soll sich nie zu wichtig nehmen. Nur solange ich gesundheitlich kann, versuche ich den Laden zusammenzuhalten.

Stossen Sie an Ihre Grenzen?

Nein, aber ich bin jetzt 77 Jahre alt. Ich könnte jeden Tag ausfallen.

Was möchten Sie noch erreichen?

Mir ist es wichtig, dass die Partei allein laufen kann, wenn ich einmal nicht mehr da bin. Es gibt das schöne Wort von Bismarck: Ich habe das deutsche Volk in den Sattel gesetzt, reiten muss es jetzt selber können. – Tja, das ging dann doch nicht gut. Mir wäre es lieber, wenn die Partei dann reiten kann.

Die drei Leben des Alexander Gauland

Alexander Gauland ist Co-Chef der Alternative für Deutschland (AfD). Mit Alice Weidel teilt er sich ausserdem den Fraktionsvorsitz seiner Partei im Bundestag. Gauland ist 1941 in Chemnitz geboren. Sein Vater diente als Offizier noch am sächsischen Hof. Mit 18 Jahren flüchtete Gauland aus der DDR nach Westberlin. Er studierte Recht, promovierte und stieg in der hessischen Verwaltung bis zum Staatssekretär auf. 1991 wurde er Herausgeber der «Märkischen Allgemeinen», die zuvor das Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Potsdam war. Gauland fiel als Publizist und Intellektueller auf. Unter anderem schrieb er eine «Anleitung zum Konservativsein». Er war 40 Jahre Mitglied der CDU und gehörte lange zum Berliner Kreis, einem losen Klub konservativer CDU-Politiker. 2013 war er Mitgründer der Wahlalternative 2013, aus der später die AfD hervorging. Gauland spricht gern von drei Leben, die er gehabt habe: eines als Spitzenbeamter, dann als Herausgeber einer Zeitung, schliesslich als Parteipolitiker.