Interview

Vermögensverwalter Felix Zulauf: «Der Globalisierungsfilm läuft rückwärts»

Der international angesehene Vermögensverwalter Felix Zulauf blickt skeptisch auf die globale Wirtschaft. Die Notenbankexzesse haben die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen ausgehöhlt. Nun kommen Handelskonflikte und eine Wirtschaftsschwäche in China hinzu.

Werner Grundlehner
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Vermögensverwalter Felix Zulauf. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Vermögensverwalter Felix Zulauf. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Herr Zulauf, was lässt Sie heute skeptischer auf die Finanzmärkte blicken?

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Nachdem die Anleger jahrelang durch die Notenbanken mit einer grosszügigen Geldschöpfung und Inflationierung aller Sachwerte beschenkt wurden, wird die globale Liquidität durch die US-Notenbank verknappt. Sie erhöht nicht nur den Zins regelmässig, sondern schrumpft ihre Bilanz um 50 Mrd. $ pro Monat. Dies beeinflusst die Finanzmärkte und mit Verzögerung die Konjunktur. Da die grossen Gelder heute in ihrer Allokation ähnlich voll investiert in Aktien sind wie 2007 und 2000, wird diese Kombination zu tieferen Kursen führen. Die Weltwirtschaft flacht ab und dürfte nächstes Jahr mit einem Trend nach unten überraschen.

Wie reagieren die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger darauf?

Vermutlich werden sie bei schwächerer Konjunktur fiskalpolitisch stimulieren, und die Notenbanken werden dies akkommodieren. Strukturell wird sich aber wenig verbessern. Die Entscheidungsträger in der Politik sind schon lange überfordert und orientierungslos. Marktwirtschaftliches und liberales Denken wurde über Bord geschmissen. Die Staatsgläubigkeit greift um sich. Viele wünschen sich ein Modell wie in China.

Das ist aber nicht erstrebenswert?

Der Aufstieg Chinas in den letzten Jahrzehnten ist historisch einmalig. China war in den letzten zehn Jahren die globale Wachstumslokomotive. Selbst die Hälfte des Wachstums in Europa ist auf China zurückzuführen. Mit dem neuen Präsidenten haben sich Hoffnungen auf ein liberaleres China definitiv zerschlagen. Die chinesische Führung hat aber im Gegensatz zu den westlichen Regierungen eine klare Vision und auch einen Plan, diese umzusetzen. Aber langfristig sollte ein liberales System stärker sein, nur sind die westlichen Systeme schon lange nicht mehr liberal und von Etatismus und Sozialismus zerfressen. Heute ist China in einer konjunkturellen Schwäche. Die Industrieproduktion wird zwar noch positiv ausgewiesen, aber in Tat und Wahrheit liegt sie wohl bei minus 6%. Das ausgewiesene BIP-Wachstum von 6% oder mehr dürfte in Realität eher bei 3 bis 4% liegen, mit fallender Tendenz. Und die Finanzprobleme türmen sich aufgrund einer massiven Verschuldung der Unternehmen.

Was bedeutet dies für China und die Welt?

Wenn man etwas abstrahiert, bestimmt die Geldpolitik der USA die globale Liquiditätslage, und die chinesische Endnachfrage definiert den Wirtschaftsgang der Welt – ohne die USA. China steckt aber in einer Zwickmühle: Wenn man der Wirtschaft Impulse verleihen will, muss die Geldpolitik aggressiv gelockert werden. Das würde die Währung gegenüber dem Dollar um 10 bis 15% schwächen. Im Handelskonflikt mit den USA würde dies aber Öl ins Feuer giessen.

Lässt sich der Handelskonflikt lösen?

Weder die USA noch China können einlenken. Die Präsidenten können es sich nicht erlauben, das Gesicht zu verlieren. Der Konflikt wird sich verschärfen, und die Tarife werden weiter erhöht. Das ist für die Weltwirtschaft ein Schlag. Viele Firmen werden ihre Versorgungsketten neu aufstellen müssen. Überall wird es eine Vielzahl von Vergeltungsmassnahmen und Ausgrenzungen geben.

In den vergangenen fünfhundert Jahren hatten wir sechzehn vergleichbare Situationen – zwölf Mal endete sie mit einem Krieg.

Also gewinnt der Protektionismus?

Ich bin kein Befürworter von Protektionismus, aber die Chinesen haben übertrieben, und die WTO schaut noch immer zu. In den vergangenen fünfzehn Jahren haben sich die Exportpreise von China nach den USA nicht verändert. Gleichzeitig haben sich die Löhne in China versechsfacht. Jedes Unternehmen, das so arbeitet, geht bankrott. Die Chinesen haben dies mit Verschuldung und verdeckter Staatsfinanzierung ausgeglichen.

Welche Konsequenzen hat das auf die geopolitische Lage?

Die dominierende Macht hat es nicht gern, wenn sie von einer aufstrebenden Macht herausgefordert wird. In den vergangenen fünfhundert Jahren hatten wir sechzehn vergleichbare Situationen – zwölf Mal endete sie mit einem Krieg.

Wie bekommt das Europa zu spüren?

Die Notenbanken versuchen seit Jahrzehnten, den Konjunkturzyklus zu verstetigen. Das ist ihnen auch gelungen, aber zum Preis, dass die wirtschaftlichen Strukturen geschwächt wurden und viel zu hohe Verschuldungen aufgebaut wurden. Eine Verschuldung ist nichts anderes als ein Vorbezug von zukünftigem Wachstum. Die wirtschaftliche Struktur wurde so kontinuierlich ausgehöhlt und auch die soziale Struktur geschwächt. Die EU steht vor einer Zerreissprobe. Es wird vermutlich zu einem harten Brexit kommen. Der jetzt vorliegende Vertrag wird es kaum durch das britische Parlament schaffen, da er die Briten demütigt. Die Zentralisierungstendenzen der EU werden auch in Osteuropa und Italien Schiffbruch erleiden. Diese Aussichten manifestieren sich in einem Bewertungsabschlag für europäische Märkte.

Sind florierende Länder wie Deutschland oder die Schweiz auch gefährdet?

Hier wurden gefährliche Abhängigkeiten geschaffen. Deutschland exportiert dank dem für das Land zu tiefen Euro 50% des BIP – ebenso die Schweiz. Das ist auch eine Folge der EU-Hörigkeit: Wir erhöhen wegen der Freizügigkeit dauernd die Zahl der Arbeitskräfte, um unseren Output zu vergrössern, und gleichzeitig erhöhen wir die Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. Das geht nur gut, solange die Globalisierung läuft. Im Vorteil sind in den kommenden Jahren Länder, die mehr importieren als exportieren. Sinkende Importe sind für ein Land einfacher zu verkraften als eine Abnahme der Exporte. Deshalb sind die USA in einer besseren Position und ist es Trump möglich, anzugreifen.

Sehen Sie beim US-Präsidenten ein strategisches Vorgehen?

Er ist ein Flegel und vermutlich ein Bauchmensch. Aber er hat als damals einziger Kandidat den Zeitgeist richtig gedeutet. Der Mittelstand in den USA und Europa hat in den vergangenen dreissig Jahren verloren, während die gleiche Schicht in den Schwellenländern und China profitiert hat. Das äussert sich in der Wahl von Trump, dem Brexit und dem Zerfall der einst dominanten Volksparteien.

Was hat das für Konsequenzen für die Weltwirtschaft?

Der Globalisierungsfilm läuft in den nächsten 10 bis 15 Jahren rückwärts. Noch gehen die Schätzungen von einer globalen Expansion von 3 bis 4% für nächstes Jahr aus. Ich rechne mit weniger als der Hälfte. Die Wirtschaftspolitiker werden wohl noch für einige Zeit falsche Schlüsse ziehen und falsche Entscheidungen treffen. Ich erwarte 2019 eine grosse Konjunkturenttäuschung. Erwartungen für Firmengewinne von plus 10% stehen so im luftleeren Raum und müssen reduziert werden. Das macht die Märkte anfällig für Korrekturen. Das Wachstum der realen globalen Liquidität beläuft sich momentan auf 0% mit fallender Tendenz. In der Vergangenheit folgte darauf mit zwölf Monaten Verzögerung eine globale Rezession.

Ich wundere mich, dass Sie nur einen zyklischen Abschwung sehen.

China nimmt sich nur vorläufig zurück, weil es noch auf eine Einigung im Handelskrieg hofft. Sobald aber die Chinesen sehen, dass Trump seine Marschrichtung nicht ändert, werden sie aus Eigeninteresse handeln. Die Frage ist dann: Stützen sie die Währung oder die Wirtschaft? Jede Regierung lässt in dieser Situation die Währung fallen. In der zweiten Jahreshälfte 2019 werden wir nicht nur in China grosse Stimulierungsprogramme sehen. Auch Trump wird Ende 2019, wenn die Wirtschaft nicht mehr so gut läuft, fiskalpolitisch nachschieben. Zyklisch gesehen, bricht dann für Aktien wieder eine bessere Zeit an.

Wird das Fed das Zinserhöhungstempo verlangsamen?

Die Wirtschaft in den USA wird noch von der Fiskalpolitik vorwärtsgepeitscht. Gewisse Segmente haben den Wachstumsgipfel bereits überschritten. Die Wirtschaft in den USA wird noch ein bis zwei Quartale über dem Trend wachsen. Das Fenster bleibt für das Fed noch kurz offen, um die Geldpolitik zu normalisieren. Momentan ist die Inflation in den USA auf Höhe der Fed-Fund-Rate, der reale Zins demnach null. So gesehen ist die Fed-Zinspolitik noch nicht restriktiv. Neben dem Preis für Geld gibt es auch die Volumenkomponente, die Reduktion der Notenbankbilanz. Bezüglich des laufenden Abschöpfens von Liquidität ist die Geldpolitik bereits sehr restriktiv und die monetäre Basis im freien Fall. Im Dezember wird nochmals eine Zinserhöhung erfolgen. Dann legt das Fed vermutlich eine Pause ein. Das Tapering wird aber so lange fortgesetzt, bis die Konjunktur schwächer wird beziehungsweise die Inflation sinkt oder die Märkte stark einbrechen. Mit den neuen Tarifen auf chinesischen Gütern wird die Inflation aber kaum sinken.

Werden Obligationen so wieder zur Alternative?

Mit den europäischen Bondrenditen und den «Eidgenossen» im Minusbereich kann man Anleihen nicht mit gutem Gewissen empfehlen. Diese Vermögenswerte sind wegen der massiven Manipulationen der Notenbanken völlig falsch bewertet. Was die EZB und in ihrem Schlepptau die SNB vollführt hat, ist eine Katastrophe. Die Marktfunktion des Zinses als Kapitalallokator wurde zerstört. Die Renditen in den USA sind am oberen Ende eines Minizyklus und haben etwas Spielraum nach unten. Dieser ist aber beschränkt auf etwa 50 bis 75 Basispunkte.

Welchen Anlagemix empfehlen Sie?

Bis die Aktien Boden gefunden haben, ist Cash am besten. Danach folgen US-Staatsanleihen in Dollar. Dieser könnte zwar etwas korrigieren, wenn die Märkte merken, dass die Konjunktur nicht mehr so robust ist und das Fed den Zinserhöhungszyklus verlangsamt. Weil die Verknappung des Dollars fortgeführt wird, wird sich der Greenback jedoch wieder erholen. Falls jemand in Aktien investiert sein muss, bieten defensive Titel wie Nestlé, Roche und Novartis eine gewisse Stabilität. Ich erwarte, dass in den nächsten zehn Jahren gemessen an den Aktienindizes weltweit lediglich die Dividende verdient wird, aber die Indizes stark schwanken. Anleger müssen deshalb die Minizyklen spielen und in der Sektor- und Titelauswahl Mehrwert generieren. Nach dem Taucher der letzten Wochen sind die Aktienmärkte mittelfristig überverkauft und dürften sich bald vorübergehend etwas erholen.