Im Jahr 1934 gelang mit «Gösting II» der erste wirtschaftlich lohnende Erdölfund im Weinviertel. (Bild: OMV)

Im Jahr 1934 gelang mit «Gösting II» der erste wirtschaftlich lohnende Erdölfund im Weinviertel. (Bild: OMV)

Wie Erdöl Hitler anlockte – und Österreich später die Freiheit brachte

Noch heute werden im Osten von Wien «reife» Erdölfelder mit Spitzentechnologie ausgebeutet. Die Bodenschätze prägten die bewegte Geschichte des Landes.

Matthias Benz, Gänserndorf
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«Glück auf», rufen sich die Bohrleute zu. Rund 3000 Meter unter ihnen gräbt sich der diamantbesetzte Bohrkopf durch die Gesteinsschichten des Weinviertels. In Gänserndorf teuft die OMV, eines der grössten Unternehmen Österreichs, gerade eine neue Bohrung in ein altes Erdöl- und Erdgasfeld ab. Seit 1934 werden im Osten Wiens Kohlenwasserstoffe gefördert. Aber die Lagerstätten sind noch längst nicht ausgereizt. Die OMV holt hier immer noch jährlich so viel Erdöl aus dem Boden, dass damit 10% des Verbrauchs in Österreich gedeckt werden kann.

«Bei der Ausbeutung reifer Felder sind wir Weltspitze», sagt Johann Pleininger. Der OMV-Vizechef kennt das Weinviertel wie seine Westentasche. Er ist hier aufgewachsen, begann mit 15 Jahren eine Lehre bei der OMV, wurde zum jüngsten Bohrmeister des Unternehmens, holte später nebenberuflich das Studium nach und arbeitete sich bis zum Chef der weltweiten Explorations- und Förderaktivitäten hoch – eine ungewöhnliche Karriere.

Pferdekopfpumpen stehen mitten in den Äckern des landwirtschaftlich geprägten Weinviertels. (Bild: OMV)

Pferdekopfpumpen stehen mitten in den Äckern des landwirtschaftlich geprägten Weinviertels. (Bild: OMV)

Einst ein totes Gebiet

Pleininger erinnert sich an seine Jugend in den 1970er Jahren: «Das Weinviertel war damals ein totes Gebiet, denn es lag direkt am Eisernen Vorhang. Touristen kamen kaum je über Wien hinaus. Wirtschaftlich gab es nicht viel. Die OMV war der einzige grosse Industriebetrieb mit gutbezahlten Jobs.» Pleininger zeigt sich stolz, dass die OMV auch heute noch ein wirtschaftliches Rückgrat der Region ist. «Wir fördern die gleichen Mengen wie vor 30 Jahren. Man findet weltweit nur wenige andere Erdölfelder, bei denen das so ist.»

Selbst in Österreich wissen nur die wenigsten, dass im äussersten Osten des Landes in grossem Stil Erdöl und Erdgas gewonnen werden. Dabei ist die Bedeutung dieser Rohstoffe nicht zu unterschätzen. Dass Österreich 10% seines eigenen Öl- und Gasbedarfs selbst decken kann, erhöht die Versorgungssicherheit und entlastet die Aussenhandelsbilanz. Zudem spielte das Erdöl aus dem Weinviertler Boden eine grosse Rolle in der bewegten Geschichte des Landes.

Rohstoffe für Hitler

Als mit der Bohrung «Gösting II» im Jahr 1934 der erste wirtschaftlich lohnende Erdölfund gelang, war dies eine zweischneidige Errungenschaft. Die Nationalsozialisten in Deutschland wurden schnell darauf aufmerksam und hofften, dass «die Ölfelder bei Wien ein zweites Pennsylvanien werden könnten», wie der Grazer Wirtschaftshistoriker Walter M. Iber schreibt. Für Adolf Hitler waren die Rohstoffvorkommen mit ein Grund, warum er 1938 die Wehrmacht in Österreich einmarschieren liess und den «Anschluss» an das Deutsche Reich vollzog. Die Hoffnungen sollten nicht enttäuscht werden: In den Jahren der Besatzung bis 1945 lieferten die österreichischen Felder rund zwei Drittel der gesamten Erdölproduktion im Deutschen Reich.

Der Bohrturm von «Gösting II» bestand noch aus Holz. (Bild: Archiv Rohstoff-Geschichte)

Der Bohrturm von «Gösting II» bestand noch aus Holz. (Bild: Archiv Rohstoff-Geschichte)

Nachdem Nazi-Deutschland von den Alliierten besiegt worden war, galt Österreich zwar offiziell als «befreit» und war deshalb auch nicht zu Reparationszahlungen verpflichtet. Aber die Siegermächte hielten auch fest, dass Österreich eine Verantwortung für die Beteiligung am Krieg aufseiten Nazi-Deutschlands trage. Das sollte das Land teuer zu stehen kommen. Österreich wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Vor allem die sowjetische Besatzungsmacht, die den ganzen Osten des Landes rund um Wien kontrollierte, fand Wege, um ihr Gebiet wirtschaftlich auszupressen und so indirekt an erhebliche Reparationen zu kommen.

In Österreich fliesst Öl

Erdölförderung im Wiener Becken, in Mio. t pro Jahr

Einerseits beschlagnahmten die Sowjets deutschen Besitz – rund 400 Industriebetriebe, Waldbesitz und Immobilien – und verwalteten ihn fortan als «Sowjetisches Vermögen in Österreich» (USIA). Anderseits wurde die neugeschaffene Sowjetische Mineralöl-Verwaltung (SMV) bald zur wirtschaftlich ergiebigsten Säule der Besatzung. Im Jahr 1949 erschloss man in Matzen das damals grösste Erdölfeld Mitteleuropas. Österreich stieg schnell zum drittgrössten Erdölproduzenten in Europa nach der UdSSR und Rumänien auf.

Sowjets greifen zu

Für die Sowjets erwies sich das Weinviertler Erdöl in der Tat als Bodenschatz. Sie brachten das Öl zum grössten Teil ausser Landes, ohne Steuern oder Zölle dafür in Österreich zu bezahlen. Auf diese Weise konnten sie auch die sozialistischen Bruderländer in Ostmitteleuropa mit wichtigem Erdöl versorgen. Dieser «Ölraub», wie es der Historiker Iber nennt, kostete Österreich bis 1955 umgerechnet rund 150 Mio. $ – zu heutigen Preisen gut 1,5 Mrd. $.

Nach dem Zweiten Weltkrieg transportierte die Sowjetische Mineraölverwaltung viel Erdöl aus dem besetzten Ostösterreich ab. (Bild: Österreichische Nationalbibliothek)

Nach dem Zweiten Weltkrieg transportierte die Sowjetische Mineraölverwaltung viel Erdöl aus dem besetzten Ostösterreich ab. (Bild: Österreichische Nationalbibliothek)

Das reichlich fliessende Erdöl hatte aber auch den Vorteil, dass Österreich seine «Schuld» bei den Sowjets relativ schnell abzahlen konnte. Nach zehn Jahren der Besatzung willigten neben den Amerikanern, Briten und Franzosen auch die Sowjets in den Staatsvertrag von 1955 ein. Dieser machte Österreich wieder zu einem unabhängigen demokratischen Staat, und die Alpenrepublik verpflichtete sich im Gegenzug zu immerwährender Neutralität. «Österreich ist frei!», lauteten die berühmten Worte von damals.

Die Befreiung wäre allerdings ohne eine Lösung der Erdölfrage nicht möglich gewesen. Österreich musste sich verpflichten, in den folgenden zehn Jahren nochmals 10 Mio. t Erdöl an die Sowjetunion zu liefern – später wurde die Menge auf 6 Mio. t reduziert. So schickte Wien als «Preis» für den Staatsvertrag bis 1964 nochmals Rohstoffe im Gegenwert von geschätzten 100 Mio. $ (rund 1 Mrd. $ zum heutigen Wert) nach Moskau. Insgesamt hatten die Sowjets die Bodenschätze im Wiener Becken fast zwei Jahrzehnte lang als versteckte Reparationen ausgebeutet.

Steigerung der Ausbeute

Mit dem Abzug der Sowjets wurde aus der Sowjetischen Mineralöl-Verwaltung im Jahr 1956 die Österreichische Mineralöl-Verwaltung (zunächst ÖMV, später OMV). Über die Jahrzehnte entwuchs das Unternehmen den Weinviertler Wurzeln. Heute unterhält die teilstaatliche OMV Förderaktivitäten in 14 Ländern von Russland über Abu Dhabi bis nach Malaysia und Neuseeland, sie betreibt zudem Raffinerien, Pipelines und Tankstellennetze. Mit 23 Mrd. € Umsatz ist das Unternehmen der umsatzstärkste Konzern Österreichs.

Im Weinviertel führt die OMV derzeit neue Bohrungen nach Erdöl durch. (Bild: OMV)

Im Weinviertel führt die OMV derzeit neue Bohrungen nach Erdöl durch. (Bild: OMV)

Das Weinviertel ist für die OMV allerdings wichtig geblieben. «In Gänserndorf betreiben wir unser globales Technologie- und Entwicklungszentrum», sagt OMV-Vizechef Pleininger. «Hier testen wir Technologien zur Ausbeutung reifer Felder und rollen sie dann weltweit aus.» Dabei geht es um viel. Normalerweise werden Erdölfelder nur zu gut 30% ausgebeutet – die restlichen Kohlenwasserstoffe bleiben im Boden. Im Weinviertel kommt die OMV hingegen auf bis zu 60% bei Erdöl und bis zu 90% bei Erdgas. Dieser sogenannte Entölungsgrad ist ein wichtiger Faktor in der Branche. «Es ist noch nie ein Feld geschlossen worden, weil es kein Öl oder Gas mehr im Boden gab, sondern weil dieses nicht mehr wirtschaftlich förderbar war», erklärt Pleininger.

Mitten in Bio-Äckern

Erdöl und Erdgas liegen nicht, wie man vielleicht denken könnte, in Seen oder Kammern im Untergrund. Vielmehr ist es in kleinsten Poren im Gestein eingeschlossen. Im Wiener Becken tauchen die Kalkalpen, von Westen aus der Schweiz und dem alpinen Österreich kommend, auf über 4000 Meter Tiefe ab. Darüber haben sich vor 20 Mio. Jahren aus den Sedimenten des Urmeeres verschiedene Gesteinsschichten abgelagert, in denen neben Salzwasser auch Erdöl und Erdgas eingeschlossen sind.

Durch Bohrungen kann man an diese Bodenschätze herankommen. Anfangs reicht der grosse Druck im Boden, dass ein Gemisch von Salzwasser und Erdöl und Erdgas aus dem Gestein ins Bohrloch gepresst wird und von dort durch hermetisch abgedichtete Stahlrohre an die Oberfläche fliesst. Meist muss man aber mit Pferdekopf-Pumpen nachhelfen. Im Weinviertel verrichten diese an Hunderten Stellen ihren Dienst. In gemächlichem Takt heben und senken sie ihre Köpfe. Oft stehen sie mitten in Bio-Äckern oder zwischen Weinbergen, die das agrarische Weinviertel prägen. In den letzten Jahren sind in der Nachbarschaft auch viele Windräder dazugekommen.

Bohren mit Präzision

Was macht die OMV technologisch führend bei der Ausbeutung reifer Felder? «Wir haben das Bohren nicht erfunden, aber wir haben die besten Bohrleute mit viel Know-how», sagt Pleininger. Ein Faktor ist Präzision: Die Österreicher können aus 6000 Metern einen Punkt von der Grösse einer Tür anpeilen und so die idealen Stellen für eine Bohrung treffen. Zudem bohren sie in Tausenden Metern Tiefe auch quer oder horizontal – mit solchen Designbohrungen lässt sich ein Feld besser erschliessen. Ferner kommen etwa Wasser-Injektions-Systeme zum Einsatz, bei denen Salzwasser in die Lagerstätten gepresst und so das Erdöl leichtflüssiger gemacht wird. «Insgesamt können wir den Entölungsgrad um gut 15 Prozentpunkte erhöhen», sagt Pleininger.

Johann Pleininger, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der OMV

Johann Pleininger, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der OMV

Das Know-hof für reife Felder hilft der OMV bei internationalen Partnerschaften. Jüngst hat das Unternehmen Joint-Ventures in Abu Dhabi und Malaysia abgeschlossen. Dabei hat die technologische Kompetenz eine Rolle gespielt. Auch wenn derzeit viel von Klimaschutz gesprochen wird – nach den gängigen Prognosen wird die Nachfrage nach Erdöl und Erdgas vor allem in Asien bis 2050 weiter steigen. Wenn man deutlich mehr aus einem Feld herausholen kann, ist das auf längere Zeit hin ein wichtiger Faktor. Zudem sinken die Kosten, weil man nicht aufwendig neue Lagerstätten suchen und erschliessen muss.

Kein Ende in Sicht

Freilich hängt es vom Ölpreis ab, ob sich neue Bohrungen lohnen. Als die Notierungen im Jahr 2015 unter 30 $ je Fass fielen, gab es im Weinviertel eine Pause. Zwar führte die OMV die bestehende Förderung fort, aber sie investierte nicht in neue Erschliessungen. Seit der Ölpreis wieder deutlich über 50 $ liegt, rechnen sich neue Bohrungen im Weinviertel wieder. Proteste der lokalen Bevölkerung hat es dabei kaum je gegeben. Die Erdölförderung sorgt immer noch für viele Arbeitsplätze in einer eher strukturschwachen Region; sie beschert manchen Bauern Pachteinnahmen; und sie spült den Gemeinden des Weinviertels willkommenes Geld in die Gemeindekasse.

«Dank den technologischen Fortschritten werden wir auch in 20 bis 30 Jahren noch Erdöl im Weinviertel fördern», sagt OMV-Vizechef Pleininger. Das «Glück auf» der Bohrleute wird man im Osten Wiens noch lange hören.