Tina Turner war immer schon eine grossartige Sängerin. Auf dem Weg zum Titel der «Queen of Rock’n’Roll» musste sie sich aber zuerst aus schlimmen Beziehungen lösen. Heute feiert sie als Schweizerin ihren 80. Geburtstag. Eine Rückschau auf eine Weltkarriere.
Auf der Bühne ist Tina Turner stets eine musikalische Naturgewalt. Und ihre kraftvolle, kratzende Stimme würde man jederzeit aus Legionen heraushören. Der Produzent Juggy Murray empfand es so: «Tina sounded like screaming dirt. It was a funky sound.» Eine durchaus treffende Beschreibung. Wann immer Tina Turner ihre Stimme erhebt, vibriert die Existenz in den kehligen Tönungen des Blues, dann kämpft sich die Sängerin aus Leidenschaft und Verzweiflung in die erhebenden Register des Triumphs.
Doch stets bleibt ihr Singen dabei so funky, dass es von den Ohren gleich in die Beine fährt. Die Songs aus den sechziger Jahren zumal haben einen federnden Rhythmus. Gellend und rau, sind sie von hochansteckender Tanzbarkeit. Damals personifizierte Tina Turner den Rhythm’n’Blues. Dabei blieb sie indes nicht.
Geboren am 26. November 1939 als Anna Mae Bullock in Nutbush, einem Südstaaten-Nest in Tennessee, fiel die jüngste Tochter von Zelma und Floyd Richard Bullock schon früh im Gospelchor der örtlichen Baptistenkirche auf. Schicksalshaft und bestimmend für ihre Karriere sollte dann bald der Musiker Ike Turner werden, den die jugendliche Anna Mae 1958 in St. Louis im Klub Imperial kennenlernte, wohin ihre Schwester Allene sie mitgenommen hatte.
Bei der erstbesten Gelegenheit traute sie sich ans Mikrofon. Dabei beeindruckte sie den Bandleader Turner derart, dass er sie als Backgroundsängerin in seine Band, die Kings of Rhythm, aufnahm. Eine Liebe auf den ersten Blick gab es zwischen den beiden nicht. Erst einmal wurde die Sängerin schwanger von Raymond Hill, dem Saxofonisten der Rhythmuskönige.
Unter dem Namen Little Annie erschien damals ihre erste Single: «Boxtop» (1958). Der Song stammte bereits von Ike Turner. Zwei Jahre später verhalf er ihr auch zu ihrem ersten Hit, «A Fool in Love», den sie nun unter dem Künstlernamen Tina Turner präsentierte. Schliesslich heirateten der Bandleader und die Sängerin 1962 in Tijuana, Mexiko. Ausserdem riefen sie die Ike & Tina Turner Revue ins Leben – mit der energiegeladenen Tina Turner in der Hauptrolle.
Wenn die beiden im Dialog den bluesgetränkten Song «It’s Gonna Work Out Fine» zum Besten gaben, sprach der Titel zwar Bände über die musikalische Beziehung. Ihre Ehe hingegen rutschte bald in eine tiefe Krise. Diverse Affären belasteten sie, und Berge von Kokain veränderten Ike Turners Persönlichkeit, was sich nachhaltig negativ auf die Beziehung zu Tina auswirkte. Ikes Gier nach Drogen und Geld löschte die letzten Funken von Anstand und Fürsorge.
Abseits der Beziehungskrise jedoch lief es weiterhin rund. Die Ike & Tina Turner Revue erwarb sich den Ruf, neben der James Brown Revue das explosivste Rhythm’n’Blues-Ensemble zu sein. Und wenn James Brown «The Hardest Working Man in Showbusiness» war, muss Tina Turner als «The Hardest Working Woman in Showbusiness» bezeichnet werden. Ike und Tina tourten unermüdlich quer durch die Vereinigten Staaten. Live und im Studio wurde das Paar von den Ikettes unterstützt, einem fulminanten, vorab das männliche Publikum betörenden Gesangs- und Tanz-Trio. Quasi als Tina-Abbilder tanzten sie in der zweiten Reihe, damit die Gloriole des Revue-Superstars, des Originals, umso mehr funkelte.
Tina Turner wurde in den sechziger Jahren zum schwarzen Sexsymbol und zum Rhythm’n’Blues-Star schlechthin. Und doch führte sie die stilistische Entwicklung der Band ebenso wie ihre eigene Musikalität allmählich in neuere, rockigere Zonen. Im Jahr 1966 erschien das Album «River Deep – Mountain High». Sechs Titel waren von Phil Spector produziert worden, dem legendären Exzentriker.
In den USA zündete das sinfonische «River Deep – Mountain High» zwar nicht, in Grossbritannien hingegen schoss die gleichnamige Single bis auf Platz drei der Charts. Wichtiger noch: Der Erfolg führte dazu, dass Ike und Tina die Rolling Stones als Vorgruppe auf deren UK-Herbsttournee begleiten konnten. Das verhalf dem Paar zum endgültigen Durchbruch in Europa.
Mick Jagger schaute Tina Turner damals übrigens die nickende Kopfbewegung ihres Pony-Dance ab, ebenso wie einige typische Hüftbewegungen. Andy Warhol wusste nichts davon: «Ich war immer der Meinung, dass Tina Turner Mick Jagger kopiert, aber dann erzählte mir jemand, dass sie ihm das Tanzen beigebracht hat.»
Nach zwei erfolgreichen Alben für das Label Blue Thumb Records gastierte die Ike & Tina Turner Revue in Las Vegas, dem Zentrum aller Revuen. Die grössten Stars reisten an, um sie zu sehen und zu hören: Janis Joplin, Cher, David Bowie und selbst Elvis Presley, der «King of Rock’n’Roll». Im November 1969 eröffneten Ike und Tina die USA-Tournee der Stones, was ihrer Popularität bei einem vornehmlich weissen Publikum weiteren Auftrieb verlieh. Mit ihrem Repertoire wurde die Band stilbildend für eine Fusion von Soul und Rock’n’Roll, die die afroamerikanische Musik bis in die Gegenwart einer Beyoncé inspiriert.
Hinter der glänzenden Fassade aber zerbrach die Ehe. Mehr noch: Tina Turner musste um ihr Leben fürchten. Ike war ein Macho durch und durch, der seine Frau eifersüchtig belauerte und notorisch demütigte. Im Kokainrausch schlug er sie wiederholt brutal zusammen. 1976 endlich entschloss sich Tina Turner, ihren Förderer und Peiniger zu verlassen.
Kaum jemand hätte auch nur einen Dollar darauf gewettet, dass ihre Karriere die Trennung überstehen würde. Tina Turner verzichtete auf sämtliche Musikrechte und verliess Ike ohne einen lumpigen Dollar in der Tasche. Sie galt im Showbiz, das ganz auf Jugend und Schönheit ausgerichtet ist, Ende der siebziger Jahre bereits als Altstar. Etwas anderes aber war ihre Selbsteinschätzung. Sie glaubte an ihre Zukunft. Um Tina Turner zu werden, hatte sie geackert und geschuftet und jahrelang Prügel kassiert. Die Trennung von ihrem Partner bot nun auch eine Gelegenheit zur musikalischen Emanzipation. Als Sängerin versuchte sie sich neu zu bewähren, neu zu erfinden. Mit Soloalben wie «Rough» (1978) setzte sie erfolglos auf den Disco-Hype.
Dass sich die Geduld, die harte Arbeit und das lange Warten schliesslich doch noch auszahlten, verdankte sie vor allem sich selbst – aber auch Roger Davies, ihrem neuen Manager. Davies verhalf ihr zu Gastauftritten in den Shows namhafter Siebziger-Jahre-Stars: Tom Jones, Rod Stewart, David Bowie. So holte sie Anlauf für ihren Siegeszug durch die Achtziger.
Dank Michael Jacksons Album «Thriller» (1982) und der Lancierung des neuen Speichermediums, der Compact Disc, hatte die Pop-Musik neue kommerzielle Gipfel erreicht. Und dann bescherte das Jahr 1984 der Pop-Welt ein triumphales Comeback. Tina Turners «Private Dancer», das Album einer 45-Jährigen, entwickelte sich tatsächlich zu einer Art Pop-Supernova.
Auf dem Album findet sich auch der Soul-Titel «Let’s Stay Together» – die Coverversion eines Al-Green-Hits. Aber die Ballade prägte Tina Turners neues, Mainstream-taugliches Repertoire kaum. Als für ihre Musik typisch erwies sich vielmehr ein synthetischer Pop-Sound – perlende Keyboards, synthetische Klangteppiche und die saubere Rhythmik von Elektro-Schlagzeugen. Und Tina Turners Erfolgsrezept bestand nun darin, dass sie die Studio-Ästhetik der achtziger Jahre kontrastierte und belebte mit ihrer grandiosen Stimmkraft.
Befreit von den alten familiären, traditionellen und musikalischen Verstrickungen, eroberte Tina Turner die Massen mit Hits wie «What’s Love Got to Do with It». «Private Dancer» wurde quasi zum Soundtrack der achtziger Jahre. Das Album bleibt aber bis heute Zeugnis einer Selbstermächtigung. Tina Turner wurde nun zum Liebling der Pop-Szene. «We Don’t Need Another Hero» (1985) könnte auf sie gemünzt sein; denn sie war «Simply the Best» (1989).
Unter den Tina-Turner-Fans gibt es bis heute zwei Lager. Ein deutlich kleineres huldigt der «alten» Tina als rockiger Rhythm’n’Blues-Queen. Der Mainstream feiert die Sängerin eher als Pop- und Rock-Lady – unterdessen auch in verschiedenen Tina-Turner-Revues und -Musicals. Eines haben beide trotz Geschmacksunterschieden gemeinsam: Sie wünschen der Jubilarin, die heute ihren 80. Geburtstag feiert, alles Glück. An dem hat wohl auch ihr deutscher Ehemann Erwin Bach beträchtlichen Anteil. Geheiratet wurde 2013; im selben Jahr wurde Tina Turner Schweizer Staatsbürgerin. Seither ist sie hierzulande in puncto Beliebtheit die einzige ernsthafte Konkurrenz von Roger Federer.