An Spitzentagen im Sommer drängen sich über 10 000 Touristen durch das 750-Seelen-Dorf Hallstatt. (Bild: Lisi Niesner / Reuters)

An Spitzentagen im Sommer drängen sich über 10 000 Touristen durch das 750-Seelen-Dorf Hallstatt. (Bild: Lisi Niesner / Reuters)

Wie Hallstatt sich gegen die chinesische Touristenflut wehrt

Instagram und eine Kopie davon in China haben das kleine Hallstatt im österreichischen Salzkammergut zu einem touristischen Hotspot gemacht – mit allen negativen Folgen.

Matthias Benz, Hallstatt
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«Wir sind nach Hallstatt gekommen, weil es berühmt ist und wir wenig Zeit haben.» Die junge Chinesin Lin steht am Aussichtspunkt von Hallstatt und wirft sich in extravagante Posen, während ihre Mutter umständlich am Smartphone hantiert. Dieses Foto muss gelingen. Die beiden Asiatinnen befinden sich gerade auf einer zweiwöchigen Kurztour quer durch Europa, und jede Station will im eigenen Social-Media-Profil eindrucksvoll dokumentiert sein. In Hallstatt bedeutet das, folgendes Motiv einzufangen: den malerischen See im Hintergrund sowie die zwei Kirchen und die Holzhäuser, die sich an die steilen Berghänge schmiegen. «Das ist ein Paradies, man muss es gesehen haben», meint Lin.

Hallstatt hat in den vergangenen Jahren das Phänomen des Overtourism in Extremform erlebt. An Spitzentagen im Sommer drängen sich über 10 000 Touristen durch das 750-Seelen-Dorf im österreichischen Salzkammergut. Vor allem Chinesen hetzen von den Parkplätzen am Ortseingang durch die einzige Dorfstrasse, vorbei an Souvenirläden, zum Marktplatz und weiter zur Aussichtsplattform, um dort das obligate Foto zu schiessen – und bald darauf wieder abzureisen. Die Touristenzahlen sind jüngst förmlich explodiert. Die Zahl der ankommenden Reisebusse hat sich innert weniger Jahre auf 20 000 verdoppelt, insgesamt besuchen heuer über eine Million Menschen Hallstatt. Nur jeder Zehnte übernachtet auch hier, die meisten bleiben nur wenige Stunden.

Vor allem bei chinesischen Touristen ist Hallstatt beliebt. (Bild: Lisi Niesner / Reuters)

Vor allem bei chinesischen Touristen ist Hallstatt beliebt. (Bild: Lisi Niesner / Reuters)

«Zu viel ist zu viel»

Den Einheimischen ist der Stress anzumerken. Der Parkplatzwächter, der die Autofahrer von einem überfüllten Stellplatz abhalten soll, hat offensichtlich längst die Nerven verloren. Ein Fahrradfahrer sucht sich auf der schmalen Seestrasse fluchend einen Weg durch die Touristenmassen. Andere Hallstätter beobachten fassungslos, wie sie von asiatischen Reisenden wie Zootiere auf ihren Balkonen fotografiert werden. Wie die Ortsärztin berichtet, merkt sie manchen ihrer Patienten die Stressbelastung an.

«Es ist längst Zeit, Stopp zu sagen – zu viel ist zu viel», sagt Siegrid Brader vom Verein «Bürger für Hallstatt». Die Gemeindepolitikerin wohnt direkt am Hallstätter See, die Steintreppe zu ihrem Haus hat sie mit einer Kette abgesperrt. «Die Menschen hier leiden unter Lärm und Übergriffen», sagt Brader. Touristen würden in Gärten eindringen, Blumen von den liebevoll geschmückten Häusern reissen, mit Booten zu nah ans Ufer fahren oder wild parkieren. «Die Touristen rennen mit dem Handy vor dem Gesicht durch den Ort. Das ist nicht nur für uns eine Zumutung, sondern auch für Gäste, die länger bleiben und sich Hallstatt wirklich ansehen wollen.»

Brader sieht viele Schattenseiten des Massentourismus. Im Ort gebe es keinen Detailhändler mehr mit vernünftigen Preisen, alles sei teuer geworden – als Selbsthilfe haben die «Bürger für Hallstatt» einen Wochenmarkt ins Leben gerufen. Auch überlegten sich viele Einheimische jetzt, wegzuziehen, weil es ihnen zu viel geworden sei. Mit dem Verkauf eines typischen Hallstätter Hauses kann man enorme Preise erzielen. Es droht ein Ausverkauf an Auswärtige, die einen Zweitwohnsitz anstreben oder die Häuser unter der Hand als Ferienwohnungen vermieten wollen.

Die charakteristischen Häuser Hallstatts sind begehrt – im Dorf befürchtet man einen Ausverkauf an Auswärtige. (Bild: Barbara Gindl / EPA)

Die charakteristischen Häuser Hallstatts sind begehrt – im Dorf befürchtet man einen Ausverkauf an Auswärtige. (Bild: Barbara Gindl / EPA)

Wirtschaftlicher Aufschwung

Insgesamt zieht Brader eine ernüchternde Bilanz: «Nur 20% der Einheimischen profitieren vom Tourismus, die anderen 80% verlieren.» Auch wenn in Hallstatt noch keine «tourist go home»-Plakate zu sehen sind wie in Barcelona, der Unmut in der Bevölkerung scheint gross zu sein. «Wir brauchen einen Tourismus mit Mass und Ziel», sagt Brader. Mit dieser Forderung hat die Bürgerliste Hallstatt vor einigen Jahren den Einzug in den Gemeinderat geschafft. Für den traditionell von der roten SPÖ dominierten Ort war dies eine kleine Revolution.

In Hallstatt gibt es aber auch eine andere Erzählung des Tourismus. Zwar sei tatsächlich alles viel zu viel geworden, meint ebenfalls die Hotelunternehmerin Verena Lobisser. Sie führt den geschichtsträchtigen Bräugasthof, der seit 150 Jahren in Familienhand ist. «Aber eigentlich haben wir hier ein Luxusproblem.» Ihre Eltern hätten noch froh sein können, wenn sie mit den Einnahmen aus der Sommersaison durch den Winter gekommen seien und vielleicht einmal in ein neues Bad hätten investieren können. «Heute laufen die Hotels das ganze Jahr über gut und sind top in Schuss.» Wirtschaftlich habe Hallstatt zweifellos stark vom Tourismus profitiert. «Ohne den Boom wären wahrscheinlich noch mehr Leute weggezogen, wie man es in ganz Europa in Landregionen beobachtet.» Dennoch hält Lobisser die Entwicklung für zweischneidig. «Das viele Geld hat Konflikte ins Dorf gebracht, und Hallstatt droht zur Kulisse zu verkommen.»

Immer mehr Busse in Hallstatt

Ankünfte von Reisebussen pro Jahr

Stolzer Bürgermeister

Der wohl grösste Profiteur des Tourismusbooms ist die Gemeinde Hallstatt selbst. Der Dorfgemeinde gehört die Gesellschaft PEB, die die Parkplätze für Busse und Pkw verwaltet. Auch nimmt die Gemeinde von den Touristen Gebühren für die Nutzung der öffentlichen WC-Anlagen ein, und sie ist am bedeutendsten Hotel im Ort beteiligt. In seinem Büro zeigt Bürgermeister Alexander Scheutz (SPÖ) stolz eine Liste mit den stark gestiegenen Zahlen zu den ankommenden Bussen und Privatautos. «Früher galt Hallstatt als sterbendes Dorf», sagt er. «Jetzt haben wir eine vorteilhafte Wirtschaftsentwicklung und gute Einnahmen. Die Gemeindekasse ist erstmals seit langem nicht mehr defizitär.» Das gibt der Gemeinde auch mehr Spielraum, weil bei roten Zahlen strikte Vorgaben vonseiten des Bundeslandes Oberösterreich drohen.

Bürgermeister Scheutz ist im Ort jedoch nicht unumstritten. Manche werfen ihm vor, nur aufs Geld geschaut und darüber die Interessen der Gesamtbevölkerung vergessen zu haben. Tatsächlich scheint der Lokalpolitiker viel Freude zu haben am Tourismusboom und am grossen internationalen Interesse, durch das das kleine Hallstatt unversehens in eine Liga mit Barcelona, Venedig oder Amsterdam katapultiert worden ist. Dennoch widerspricht Scheutz dem Vorwurf, die Bevölkerung habe nicht profitiert: «Wir können uns jetzt Dinge leisten, die es sonst nicht gäbe.» Man habe neue Gemeindewohnungen gebaut und ein neues Arzthaus eingerichtet mit einer eigenen Ortsärztin – eine Seltenheit auf dem Land. Es gebe einen Hort für die Schule, Essen auf Rädern für die Senioren oder Unterstützung für die zahlreichen Vereine im Ort. «Die Leute vergessen schnell, wie es früher war.»

Warum der Tourismusboom gerade über Hallstatt hereingebrochen ist, das bleibt einigermassen verwunderlich. Während Jahrzehnten lebte der Ort eher bescheiden vom Sommertourismus und vom örtlichen Salzbergwerk – dem ältesten der Welt. Im Jahr 1997 wurde die Region Hallstatt-Dachstein-Salzkammergut dann von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Den ersten grossen Einschnitt brachte indessen ein Ereignis, von dem die Hallstätter zunächst nichts wussten: Die staatliche China Mine Metal Group baute in der südchinesischen Provinz Guangdong eine Kopie Hallstatts als Freizeitpark nach (siehe Zusatztext). Die Eröffnung im Jahr 2012 brachte dem Original ein enormes internationales Medieninteresse. Entscheidend dürfte schliesslich gewesen sein, dass Hallstatt vor allem bei chinesischen Touristen in die Top-Ten-Destinationen auf den sozialen Netzwerken gelangt ist. Allein auf Instagram kursieren unter #Hallstatt heute über 500 000 Bilder.

Die Gemeinde Hallstatt verdient gut an Gebühren für Parkplätze und WC-Anlagen. (Bild: Lisi Niesner / Reuters)

Die Gemeinde Hallstatt verdient gut an Gebühren für Parkplätze und WC-Anlagen. (Bild: Lisi Niesner / Reuters)

Kontingente für Busse

Mittlerweile bestreitet im Dorf kaum mehr jemand, dass dem Massenandrang Einhalt geboten werden muss. Die Gemeinde wird kommenden Frühling ein neues Slot-System für Reisebusse einführen. Die Bürgerliste Hallstatt sieht das als Erfolg dafür, dass ihr Druck auf die Lokalpolitik gewirkt hat. Künftig müssen die Busgesellschaften im Voraus ein Zeitfenster buchen zwischen acht Uhr morgens und fünf Uhr abends – wer das nicht tut, wird abgewiesen. Die Busse haben mindestens zweieinhalb Stunden im Ort zu bleiben und eine Gebühr von 80 € zu entrichten. So will man die Zahl der Busse auf maximal 54 pro Tag reduzieren – heute sind es an Spitzentagen bisweilen doppelt so viele.

In weiteren Schritten könnte dann die Zahl der Busse zusätzlich reduziert und könnten höhere oder zeitlich flexible Gebühren eingeführt werden. Siegrid Brader von der Bürgerliste Hallstatt hat dazu klare Vorstellungen: «Wir wollen nur noch 8000 Busse pro Jahr und dafür hohe Gebühren – dann hat die Gemeinde auch genügend Einnahmen.»

Aber wird man die Touristenströme wirklich begrenzen können, wenn in den kommenden Jahrzehnten viele Asiaten zu reisen beginnen und womöglich auch Hallstatt besuchen wollen? Den Hallstättern ist klar, dass die Einschränkungen für Reisebusse wohl nur ein Anfang sind. Die Touristen dürften auf Kleinbusse oder Autos ausweichen – es wird dann auch Kontingentsysteme für diese Fahrzeuge brauchen. Und wird man in letzter Konsequenz Drehkreuze am Ortseingang aufstellen und eine Eintrittsgebühr pro Tourist verlangen müssen?

Über diese Frage sind die Hallstätter gespalten. «Dann wären wir wirklich ein Freilichtmuseum, und das will ich nicht», sagt Bürgermeister Scheutz. Er sorgt sich auch darum, dass bei zu harschen Eingriffen der Hype um Hallstatt abrupt ein Ende nehmen könnte: «Es ist ein Ruf schnell auch ruiniert.» Offener sieht es die Hotelunternehmerin Lobisser. Die Asiaten nähmen Hallstatt ohnehin bereits als Freizeitpark wahr und wunderten sich, dass hier tatsächlich Menschen lebten. Sie findet, von einer Eintrittsgebühr könnten direkt die Einwohner profitieren, die die Häuser aufwendig instand halten.

Wem gehört das Dorf?

In Hallstatt werden auf diese Weise die Probleme verhandelt, die weltweit viele Brennpunkte des Overtourism plagen. Auf der einen Seite erhebt die ganze Welt Anspruch auf den kleinen Ort – und in gewisser Weise gehört er auch der ganzen Welt, denn immerhin ist er Weltkulturerbe. Die Einheimischen hingegen pochen auf ihr Vorrecht. «Wir sind es, die diesen Ort in seiner ganzen Schönheit erhalten – und die die Verpflichtung zum Erhalt mit dem Status des Weltkulturerbes übernommen haben», so sagen viele der Dorfbewohner. «Hallstatt gehört den Hallstättern.»

In Südchina sind Teile Hallstatts nachgebaut worden – die Kopie sieht dann aber doch etwas anders aus als das Original. (Bild: Marktgemeinde Hallstatt)

In Südchina sind Teile Hallstatts nachgebaut worden – die Kopie sieht dann aber doch etwas anders aus als das Original. (Bild: Marktgemeinde Hallstatt)

Was Ökonomen gegen Overtourism raten

mbe. Overtourism ist eigentlich ein klassisch ökonomisches Problem: Eine Ressource wird übernutzt, und es stellt sich die Frage, wie das korrigiert werden kann. Die eine Antwort darauf lautet, die Nachfrage einzuschränken. Dies ist der Ansatz, mit dem derzeit viele von Overtourism geplagte Orte experimentieren. In Venedig wird der Zugang zum Markusplatz zeitweise mit Drehkreuzen limitiert. Hallstatt wird die Zahl der Reisebusse ab kommendem Frühling mit einem Slot-System beschränken.

Die ökonomische Standardlösung für das Problem lautet, eine Lenkungsabgabe («Pigou-Steuer») auf dem Tourismus zu erheben. Der Overtourism verursacht demnach soziale Kosten (wie eine Verringerung der Lebensqualität der Einheimischen), kulturelle Kosten (wie eine Zerstörung von Kulturstätten) oder Umweltkosten, die von den Touristen nicht berücksichtigt werden. Mit einer Lenkungsabgabe kann Kostenwahrheit hergestellt werden, Nachfrage und Angebot kommen wieder in ein gesundes Verhältnis. Ein Idealbeispiel für so eine Abgabe wäre eine Eintrittsgebühr pro Tourist, wie sie in Hallstatt kontrovers diskutiert wird. Allerdings besteht eine Gefahr darin, dass Gemeindepolitiker plötzlich Gefallen an den damit verbundenen Einnahmen finden und dann eher einen Anreiz haben, den Tourismus zu fördern, als ihn wirksam zu beschränken.

Auf der anderen Seite ist ein bis jetzt wenig beachteter Ansatz, das Angebot auszuweiten. Der Basler Ökonom Bruno S. Frey hat jüngst dazu einen originellen Vorschlag gemacht: Begehrte Orte wie Venedig könnten nachgebaut werden – allerdings in verbesserter Form. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten liessen sich zusammenfassen, technologische Innovationen könnten zum Einsatz kommen (Dogen laufen als Hologramme durch die Paläste), und die bei Asiaten beliebten Shops könnten gleich integriert werden. Der Vorteil einer Angebotsausweitung ist, dass Menschen nicht um die Erfahrung kulturell bedeutender Orte gebracht werden müssen. Der Ansatz wird auch schon praktiziert: Von den berühmten Höhlen in Lascaux und Altamira mit ihren prähistorischen Wandmalereien sind nur Nachahmungen zugänglich. Die Touristen besuchen diese dennoch rege.

Hallstatt bietet in dieser Hinsicht einen interessanten Fall. In Südchina sind Teile des Ortes und des Sees originalgetreu nachgebaut worden. Die China Mine Metal Group investierte in die 2012 eröffnete Freitzeitanlage, die offenbar für Hochzeiten beliebt ist, angeblich 900 Mio. $. Allerdings hat die Kopie das Original nicht entlastet. Im Gegenteil: Sie hat wohl zur Explosion der Touristenzahlen in Hallstatt beigetragen. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Erstens bietet die chinesische Kopie keinen wirklichen Ersatz, denn es wurden nur kleine Teile Hallstatts nachgebaut. Zweitens hat die Imitation ein enormes internationales Medieninteresse ausgelöst, was Hallstatt auf einen Schlag weltweit bekannt machte. Das Original tauchte darauf auch in beliebten asiatischen Serien und Filmen als Sujet auf. Hingegen scheint es nicht so zu sein, dass die Touristen nach dem Besuch der Kopie unbedingt auch das Original sehen wollen. «Die meisten Chinesen hier kennen die Hallstatt-Kopie nicht», sagt Bürgermeister Scheutz. Sie hätten auf anderen Wegen von Hallstatt erfahren.