So bewerten Forscher den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Bevölkerungswachstum

Derzeit leben 7,7 Milliarden Menschen auf der Welt, 2050 sollen es laut Prognosen der Uno bereits 9,7 Milliarden sein. Welche Bedeutung hat das Wachstum der Bevölkerung für den Klimawandel, und wie berücksichtigen Forscher das Thema?

Michael Rasch, Frankfurt
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Der CO2-Ausstoss pro Kopf spielt eine wichtige Rolle in der Klimaforschung. In Indien, hier eine Aufnahme von Pilgern im Staat Uttar Pradesh, beträgt der Ausstoss pro Jahr unter 2 Tonnen - in Deutschland knapp 10 Tonnen. (Bild: Kanishka Sonthalia / Bloomberg)

Der CO2-Ausstoss pro Kopf spielt eine wichtige Rolle in der Klimaforschung. In Indien, hier eine Aufnahme von Pilgern im Staat Uttar Pradesh, beträgt der Ausstoss pro Jahr unter 2 Tonnen - in Deutschland knapp 10 Tonnen. (Bild: Kanishka Sonthalia / Bloomberg)

Der durch Menschen verursachte Klimawandel in Folge zu hoher Kohlendioxidemissionen (CO2) gilt in der Wissenschaft als erwiesen. Häufig geht es bei der Diskussion über die Reduktion des Ausstosses von CO2 jedoch vor allem um die globale Energie-, Verkehrs- und Agrarwende. Das Bevölkerungswachstum taucht dagegen weniger oft auf. Doch welche Rolle spielt es bei dem Thema? Das Wachstum der Bevölkerung sei ein entscheidender Parameter für den Klimawandel und den Planeten insgesamt, sagt Professor Mojib Latif vom Geomar Helmholtz Center for Ocean Research Kiel. Ohne die Zunahme der Weltbevölkerung könne man auch den Klimawandel nicht verstehen. Die globale Bevölkerung beträgt derzeit laut Schätzungen der Vereinten Nationen rund 7,7 Mrd. Menschen. Im Jahr 2050 sollen es laut Prognosen der Uno 9,7 Mrd. und im Jahr 2100 etwa 10,9 Mrd. sein. Der Anstieg hat sich zwar in den letzten Jahrzehnten verlangsamt, er findet aber immer noch statt.

Westlicher Lebensstil nicht übertragbar

Allerdings, schränkt Latif ein, der zu den bekanntesten Klimaforschern in Deutschland zählt, lasse sich das Bevölkerungswachstum nicht gut von anderen Themen abgrenzen, da auch der CO2-Ausstoss pro Kopf eine wichtige Rolle spiele. In Deutschland betrage dieser pro Jahr knapp 10 t, in Indien dagegen unter 2 t. Da es in Indien aber viel mehr Menschen gebe, sei das Land einer der grössten CO2-Verursacher der Welt. 2016 hatte Indien mit 6,2% nach China (28%) und den USA (16%) den dritthöchsten Anteil an den globalen CO2-Emissionen. Zugleich gehört Indien zu den Ländern mit einer vergleichsweise hohen Geburtenrate. Sie beträgt rund 2,4 Kinder pro Frau. In Deutschland liegt die Zahl derweil bloss bei 1,4, in Nordamerika bei 1,7. Der weltweite Durchschnitt der Geburtenrate lag im letzten Jahr bei 2,4 – er hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren in etwa halbiert.

Wenig Geburten in Europa

Anzahl Kinder pro Frau im Jahr 2018

Der westliche Lebensstil mit seinem hohen CO2-Ausstoss pro Kopf lasse sich nicht auf alle Menschen in der Welt übertragen, sagt Latif. Selbst wenn die Bevölkerung nicht wachsen würde, würden wir den Planeten gegen die Wand fahren, denn die Menschen in den Schwellenländern hätten ebenfalls Wünsche und strebten einen besseren Lebensstandard an. Das führe auch in diesen Ländern zu einem höheren CO2-Ausstoss pro Kopf, erklärt Latif.

Auch für Professor Hermann Lotze-Campen vom Potsdam-Institut für Klimaforschung ist das Bevölkerungswachstum eine der wichtigsten Input-Grössen. Es fliesst in die Modelle des Instituts zusammen mit dem Wirtschaftswachstum ein. Die Forscher in Potsdam verwenden insgesamt fünf unterschiedliche sozioökonomische Entwicklungspfade, die in die Modelle eingehen. Für jeden dieser Pfade haben sie für jedes Land auf der Welt eine Projektion des Bevölkerungs- und des Wirtschaftswachstums. Daraus leitet sich schliesslich die mögliche künftige Nachfrage nach Energie, nach Nahrungsmitteln und so weiter ab.

Ethisch fragwürdig und wenig zielführend

Für Lotze-Campen ist das Bevölkerungswachstum allerdings eine Entwicklung, die er als gegeben hinnimmt und nicht weiter diskutiert. Man untersuche beispielsweise auch keine Rückwirkungen des Klimawandels auf die Bevölkerungsentwicklung. Am Institut werde ferner nicht untersucht, wie man die Bevölkerungsentwicklung beeinflussen könnte, wenn man es denn wollte, sagt der gebürtige Ostfriese. Die Idee, quasi das Bevölkerungswachstum zu managen, sei für ihn ethisch fragwürdig und kurzfristig auch wenig zielführend. Die Bevölkerungsentwicklung verändere sich nur sehr langsam. Daher wäre eine Fokussierung auf das Bevölkerungswachstum bei der Emissionsbegrenzung über die nächsten Jahrzehnte wenig effektiv und würde auch nicht an den richtigen Stellen ansetzen. Die meisten CO2-Emissionen fänden auf absehbare Zeit weiterhin in den reichen Ländern statt, dagegen würden Regionen mit starkem Bevölkerungswachstum, zum Beispiel Afrika, derzeit wenig zu den gesamten Emissionen beitragen.

Lotze-Campen ist auf nachhaltige Landnutzung und Klimawandel spezialisiert. Der Flächenverbrauch für die Landwirtschaft hänge natürlich auch von der Zahl der Menschen und deren Einkommen ab, sagt er. Wenn man aber den Flächenverbrauch in der Landwirtschaft reduzieren wolle, müsse man zuerst einmal bei der Tierhaltung ansetzen. Der Konsum von Fleisch- und Milchprodukten sei wiederum in den reichen Ländern am grössten. Daher sei man auch bei diesem Thema in den Ländern, die das stärkste Bevölkerungswachstum aufweisen, nicht an der richtigen Stelle.

«Wohlstand für alle» als bestes Mittel

Latif hält das Bevölkerungswachstum durchaus für einen bedeutenden Faktor des Klimawandels. Doch für ihn ist das beste Mittel gegen das Bevölkerungswachstum das alte Versprechen von Ludwig Ehrhard: «Wohlstand für alle». Ein hoher Lebensstandard gehe erfahrungsgemäss mit niedrigen Geburtenraten einher, sagt der 64-Jährige. Auch Bildung für Frauen und die Stärkung ihrer Rechte seien dabei ganz wichtige Themen. Letztlich trägt aus seiner Sicht die industrialisierte Welt die Hauptverantwortung für den Klimawandel und müsse entsprechend vorangehen. Das gelte auch für Deutschland. Zwar habe Deutschland nur einen Anteil von etwa 2% am globalen CO2-Ausstoss. Doch wenn man noch zehn andere Länder mit ähnlichem CO2-Ausstoss fände, was er für möglich hält, wäre man schon bei 20%. Das sei dann bereits deutlich mehr als der Ausstoss der USA.

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