Das Stichwort: Für die Liebe zur Weisheit gibt es ein Wort – «Philosophie». Auch für die Liebe zur Technik gab es einmal einen Begriff

Man kann philosophieren. Aber warum kann man nicht «philotechnieren»? Platon hat den Begriff geprägt, aber dann geriet er in Vergessenheit. Das sagt viel über unser Verhältnis zur Technik.

Klaus Bartels
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«Gib mir einen Ort, wo ich stehen kann, und ich bewege dir die Erde», sagte Archimedes. Und zumindest Hochseeschiffe bewegte er aus eigener Kraft. (Bild: PD)

«Gib mir einen Ort, wo ich stehen kann, und ich bewege dir die Erde», sagte Archimedes. Und zumindest Hochseeschiffe bewegte er aus eigener Kraft. (Bild: PD)

Von den hunderterlei Liebschaften, die das kuppelfreudige alte Griechisch unter «philo-» ins Alphabet des Wörterbuchs gestellt hat, sind nur wenige in die neuen Sprachen eingegangen. Um eine solche früh erloschene Liebschaft ist es besonders schade. Die der sokratischen «Philosophie», diesem «liebenden» Bemühen um Erkenntnis, Wahrheit und Werte nachgeprägte platonische «Philotechnie», dieses entsprechend «liebende» Bemühen ums Werken und Bewerkstelligen, ist von Anfang an ein seltener Vogel gewesen und schliesslich vollends in Vergessenheit geraten.

In Platons «Protagoras» findet sich ein einziges Mal das Verb philotechneín, in seinem «Staat» ein einziges Mal das Adjektiv philótechnos, in seinem «Kritias» ein einziges Mal – hier im Verein mit der philosophía – das Substantiv philotechnía. Die erste Stelle spricht vom Feuerdiebstahl des Prometheus aus der Werkstatt des Schmiedegotts Hephaistos und der kunstsinnigen Athene, «in der die beiden philotechnierten». Wie sollen wir das übersetzen? Ja, wenn sie dort philosophiert hätten, könnten wir einfach sagen, dass sie dort philosophiert hätten. Aber nun? Laden wir uns das Wort, statt es zu übersetzen, mit drei Paradestücken Hephaistischer Philotechnie aus Homers «Ilias» auf!

Die Erde im Kosmos verrücken

Da fahren die Göttinnen Hera und Athene einmal und wieder nach Troja aus, und einmal und wieder springen die Tore des Olymps «von selbst» – griechisch: autómatai – vor ihrem Wagen auf. Da fertigt Hephaistos eine Serie von zwanzig Dreifüssen, Bistro-Tischchen, «rings an der Wand des Saales zu stehen», und setzt sie auf goldene Räder, «dass sie ihm von selbst – autómatoi – unter die Olympier liefen und wieder an ihren Platz zurückkehrten: ein Wunder zu schauen». Und da stützt sich der hinkende Schmiedegott auf «goldene Dienerinnen, die lebenden Jungfrauen glichen, die haben drinnen Verstand und Sprache und Kraft . . .» Wozu da noch übersetzen? Vor dieser olympischen Philotechnie wird das «Philotechnieren» auch so zu einem sprechenden Wort.

Wie in der frühen Neuzeit Leonardo da Vinci, so ist in der Antike der Syrakusaner Archimedes zur Leitgestalt einer solchen Philotechnie der besonderen Art geworden. Plutarch zitiert den ingeniösen Maschinenbauer mit dem Postulat, jede noch so grosse Last lasse sich durch jede noch so kleine Kraft bewegen – grandios überhöht: Wenn er eine zweite Erde hätte, könnte er, auf jene hinübergegangen, diese von ihrem Ort im Zentrum des Kosmos verrücken.

An der Kurbel des Flaschenzugs

Und darauf schildert Plutarch die spektakuläre Demonstration dieser «Goldenen Regel» vor König Hieron II. von Syrakus: «Dazu liess Archimedes einen mit grosser Mühe und von vielen Männern an Land gezogenen Dreimaster aus der königlichen Flotte voll bemannen und beladen. Er selbst nahm ein Stück seitab Platz; ohne Anstrengung, eher lässig mit der Hand die Kurbel eines Flaschenzugs schwingend zog er das Schiff zu sich heran, und das lief glatt und ohne jeden Anstoss, als glitte es durchs Meer, auf ihn zu.» Und wir mögen überschlagen, welche Untersetzungsmaschinerie von Zahnrad- und Schneckengetrieben dieser «mathematische Hunderthänder» zwischen diese Riesenlast und diese eine Menschenkraft geschaltet hatte . . .

Auf Schritt und Tritt springen heute Türen und Tore automatisch vor uns auf, und jüngst sind auch autonom fahrende Autos, ja fliegende Drohnen, und sprechende Roboter zukunftsträchtige Wirklichkeit geworden. Gesetzt, die «Philotechnie» hätte sich damals neben der «Philosophie» behauptet, gesetzt, die treffliche Prägung hätte der antiken Welt dieses «liebende» Bemühen ums Werken und Bewerkstelligen geradeso wie das andere ums Erkennen und Verstehen als einen unendlichen geistigen Prozess nahegebracht – hätte diese philotechnische Kunst im Mittelalter dann wohl zu den «freien Künsten» gezählt? Und hätten die frühen Universitäten neben der philosophischen dann auch eine philotechnische Fakultät zugelassen und nicht alles Technische als simpel lehrbar und lernbar in simpel «Technische» Hochschulen abgeschoben?

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