So falsch ernährt sich die Weltbevölkerung derzeit

Wir schaden uns, und wir schaden dem Planeten mit unserer Ernährung. Eine Kommission aus 37 renommierten Wissenschaftern hat nun den idealen und in jeder Weltregion umsetzbaren Speisezettel aufgestellt. Und zugleich Zielvorgaben für die Lebensmittelproduktion formuliert.

Stephanie Lahrtz, München
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Weltweit müsste der Konsum roten Fleischs um 50 Prozent reduziert werden, um das Ziel einer global gesunden und nachhaltigen Ernährung zu erreichen. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Weltweit müsste der Konsum roten Fleischs um 50 Prozent reduziert werden, um das Ziel einer global gesunden und nachhaltigen Ernährung zu erreichen. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Die Welt könnte auch 10 Milliarden Menschen ernähren, ohne dass die ökologische Stabilität in Gefahr geriete. Das ist die gute Nachricht, die 37 Wissenschafter in der Fachzeitschrift «The Lancet» am Mittwoch verkünden. Doch das geht nur, wenn viele Menschen, darunter gerade diejenigen aus den reichen Industrieländern, ihre Ernährung ziemlich radikal umstellen.

Drei Milliarden Menschen sind mangelernährt

Eine gesunde und zugleich ökologisch nachhaltige Ernährung sähe folgendermassen aus: 43 Gramm Fleisch (darunter 7 Gramm rotes Fleisch) pro Tag, dafür aber 500 Gramm Gemüse und Obst und 125 Gramm Hülsenfrüchte und Nüsse sollte eine Person verzehren. Als weitere Energielieferanten dienen jeweils knapp 250 Gramm Körner (Getreide, Mais oder Reis) und Milchprodukte. Erlaubt sind zudem knapp 50 Gramm Fett, davon fast ausschliesslich solches mit ungesättigten Fettsäuren pflanzlichen Ursprungs, und 30 Gramm zusätzlicher Zucker.

Zwar ist diese Aufstellung nicht völlig neu, auch die Schweizer Gesellschaft für Ernährung empfiehlt grösstenteils ähnliche tägliche Mengen. Doch allein der Vergleich mit dem derzeitigen durchschnittlichen Fleischkonsum in der Schweiz (knapp 140 Gramm pro Kopf und Tag) oder Deutschland (knapp 165) zeigt auf, wie weit wir davon entfernt sind. Ein Blick in den Spiegel oder ein Gang durch die Innenstadt bestätigt die problematische Lage.

Zu viel Fleisch und Stärke, zu wenig Gemüse und Nüsse

Zu viel Fleisch und Stärke, zu wenig Gemüse und Nüsse

Weltweit müsste der Konsum roten Fleischs, also Rind, Schwein und Lamm, um 50 Prozent reduziert werden, um das Ziel einer global gesunden und nachhaltigen Ernährung zu erreichen, so rechnen die Autoren vor. Sollte das eintreten, liessen sich damit elf Millionen Todesfälle pro Jahr vermeiden. Eine andere Zahl untermauert das Ausmass der globalen Ernährungskrise. So sind rund zwei Milliarden Menschen mangelernährt, weil sie zu viel vom Falschen essen. Und rund eine weitere Milliarde ist mangelernährt, weil sie zu wenig vom Richtigen bekommt. Die globale Fehlernährung führe derzeit zu mehr Krankheits- und Todesfällen als der Konsum von Drogen, Alkohol, Tabak und ungeschütztem Sex zusammengenommen, betonen die Autoren.

Doch um die ökologische Stabilität des Planeten zu erhalten, muss neben den Speisezetteln auch die Landwirtschaft massiv umgestellt werden. Die 37 Experten aus den Bereichen Medizin, Ernährungswissenschaften, Landwirtschaft, Klimaforschung, Ökonomie und Politik haben für fünf Bereiche Grenzwerte berechnet, die jeweils nicht überschritten werden sollten: die Produktion von klimaschädlichen Gasen, die Verwendung von Nitrat- sowie phosphathaltigen Düngemitteln, den Frischwasserverbrauch, die Biodiversität sowie die Landnutzung. Allerdings wurden die Ziele global formuliert, so dass unklar ist, was welches Land dazu beitragen kann und soll.

Die geforderte Umstellung hätte deutlich weniger Viehhaltung zur Folge, wovon allerdings diese fünf Bereiche unterschiedlich betroffen sind. Durch eine pflanzenbasierte Ernährung würden nämlich 80 Prozent weniger klimaschädliche Gase emittiert. Allerdings bliebe die Landnutzung gleich, denn es würde ja mehr Land für den Anbau von Gemüse, Obst und Nüssen benötigt. Und der Wasserverbrauch nähme sogar leicht zu. Daher müssten unter anderem auch andere Bewässerungspraktiken und an die klimatischen Bedingungen vor Ort angepasste Gewächse eingesetzt werden. Zudem müssten diverse Produkte wie Düngemittel, aber auch gewisse Lebensmittel global umverteilt werden.

Finanzielle Anreize und Sanktionen

Doch nicht nur die letztgenannte Massnahme erscheint zwar gut gemeint und ist wissenschaftlich gesehen auch sinnvoll, sie ist aber, ebenso wie andere Forderungen, schwer umsetzbar. Gerade in Zeiten, in denen viele Länder wieder dem allumfassenden Handel abschwören. Auch den Autoren ist klar, dass es gewaltiger Anstrengungen einer Vielzahl von Beteiligten – und von fast jedem Esser – bedarf, damit die von ihnen geforderte globale Ernährungs- und Landwirtschaftstransformation verwirklicht wird. Sie listen daher auch zahlreiche Massnahmen auf, die von Politikern und Organisationen der Zivilgesellschaft umgesetzt werden sollten. Vor allem finanzielle Anreize wie auch Sanktionen zählen dazu.

Viele der nun in «The Lancet» präsentierten Daten wie Massnahmen sind bekannt. Aber die ausführliche Darstellung sowie die berechneten Zukunftsszenarien zeigen, wie dringend das Problem ist. Viel Zeit für massgebliche Verhaltensänderungen bleibe uns nicht, warnen die Experten.