Die Männerversteherin

Frauenrechte? Längst erkämpft! Moderner Feminismus? Ein Angriff auf die Schönheit! Für ihre Rolle als Jeanne d'Arc der politisch Unkorrekten gibt die Kolumnistin Tamara Wernli alles.

Christina Neuhaus
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Tamara Wernli ist freundlich im Ton, aber bestimmt in der Sache. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Tamara Wernli ist freundlich im Ton, aber bestimmt in der Sache. (Bild: Nathalie Taiana / NZZ)

Die Theologin guckt streng, die Sexberaterin leicht beunruhigt, doch Tamara Wernli lässt sich nicht beirren. Traditionelle Männlichkeit werde derzeit viel zu negativ bewertet, sagt sie in die Runde. Sogar in einem TV-Spot für Rasierklingen müssten sich Männer heute belehren lassen: Schlag keine Frauen, belästige sie nicht, schikaniere keine Schwächeren. Kein Wunder, seien Männer frustriert, wenn sie dauernd pauschal für die Untaten einzelner verantwortlich gemacht würden. Die Mehrheit verhalte sich schliesslich tadellos.

Schauplatz des Disputs ist eine Diskussionssendung des Schweizer Fernsehens zum Thema «Was Frauen wollen – was Männer sollen». Die Gäste sind ausschliesslich Frauen, der Begriff «toxische Männlichkeit» fällt alle paar Minuten. Tamara Wernli wird ihre Position die ganze Fernsehsendung hindurch gegen die Mehrheit der anderen Damen behaupten: freundlich im Ton, bestimmt in der Sache. Tausende Jahre Männermacht hin, «#MeToo» her – der normale Mann ist kein Gewalttäter, und wenn doch, hat das individuelle und keine systemischen Ursachen. Basta.

Wo bleibt der Mann?

Es sind Aussagen wie diese, die die 46-jährige Baslerin zu einer der bekanntesten Kolumnistinnen des Landes gemacht haben. Lange schrieb sie für die «Basler Zeitung». Seit einigen Monaten arbeitet sie für die «Weltwoche». Von allen helvetischen Presseerzeugnissen sorgt sich das Magazin am meisten um das männliche Geschlecht. Kürzlich beschäftigte es sich mit der Stellung des Mannes im Universum und fragt bange: «Hat die Natur ihn aufgegeben?»

Für Tamara Wernli hat «Weltwoche»-Herausgeber Roger Köppel extra die zweitletzte Seite freigeräumt. Die ganze. Dafür hatte die Kolumnistin hart verhandelt. Wenn er wolle, dass sie für ihn schreibe, brauche sie mehr Platz als in der «Basler Zeitung», sagte sie ihm. Auch bei der Illustration redete sie mit. Auf dem Foto blickt sie nun mit herausforderndem Lächeln in die Kamera, die langen Beine auf den Schreibtisch gelegt. Die Ikone des Antifeminismus, die auch schon im sehr kleinen Schwarzen posierte, um der Männerwelt die angeblich von #MeToo-Debatten geschürte Angst vor Komplimenten zu nehmen, ist ziemlich selbstbewusst.

Wernli schreibt über alles Mögliche: über übersteigerte politische Korrektheit, heuchlerische Werbeverbote, die Arroganz der Mütter. In das Herz ihrer stetig wachsenden Anhängerschaft hat sie sich jedoch vor allem mit gepflegten Provokationen in Richtung Feminismus geschrieben. Frauenrechte? Längst erkämpft! Moderner Feminismus? Ein Angriff auf die Schönheit! Der Entscheid der Stadt Hannover, statt Amtsdeutsch nur noch gendergerechte Sprache zu benutzen? Die Geburtsstunde der imaginären Genderbeauftragten Tabea Hacklberger-Schöll, gespielt von Tamara Wernli.

«Viele Männer sahen sich endlich verstanden. Ein ehemaliger Kulturredaktor lobte auf Twitter: ‹Sie kennt wirklich die Seele der Männer. Exzellenter Text.›»

Wernlis lustvolle Ausfälle gegen die Frauenbewegung und ihre offenbar ausgeprägten Kenntnisse der männlichen Psyche haben ihr den Ruf einer Männerversteherin eingebracht. Kürzlich schrieb sie, dass Frauen viel zu viel von Männern erwarteten, während Männer mit Kuscheleinheiten und einem gelegentlichen Lob eigentlich bereits zufrieden seien. Der Erfolg war durchschlagend. Viele Männer sahen sich endlich verstanden. Ein ehemaliger Kulturredaktor lobte auf Twitter: «Sie kennt wirklich die Seele der Männer. Exzellenter Text.»

Das meiste Publikum erreicht sie allerdings nicht mit ihrer provokant-eleganten Feder, sondern mit ihren publikumsnäheren Blogs. Ihr Youtube-Kanal hat ein Stammpublikum von über 20 000 Abonnenten. Die Mehrheit ist männlich und stammt aus Deutschland. Seit ihre Kolumnen auch auf dem konservativen Meinungsportal «Tichys Einblick» publiziert werden, hat sich ihr Wirkungskreis markant vergrössert. Die Parodie eines Interviews mit der Kunstfigur Tabea Hacklberger-Schöll wurde fast 30 000-mal aufgerufen, fast 3000-mal geliked und 800-mal kommentiert.

In Basel weltberühmt

Nun sitzt Tamara Wernli in der eleganten Bar des Basler Hotels Les Trois Rois und wirkt, als wäre das Fünf-Sterne-Haus um sie herumgebaut worden. Basel ist ihre Heimat. In Basel war sie schon weltberühmt, bevor Zürcher und Berner auf sie aufmerksam wurden. Jahrelang führte sie durch die Nachrichtensendung von Tele Basel. Für den Lokalsender produzierte sie zudem mehrere Sendungen, in denen Prominente und Kochen eine tragende Rolle spielten. Polarisiert hat sie schon damals. Als sie die beiden Yakin-Brüder auf ein rotes Plüschsofa setzte und mit ihnen nicht etwa über Fussball, sondern über Frauen sprach, reagierten nicht nur Fans des FC Basel erbost.

Basel war nicht immer eins mit Tamara Wernli, und Tamara Wernli war auch nicht immer eins mit ihrer Heimatstadt. Nachdem sie das Gymnasium abgeschlossen und ein Handelsdiplom erworben hatte, flog sie mit knapp zwanzig nach Los Angeles, um Schauspielerin zu werden. Zu mehr als ein paar Auftritten als Statistin brachte sie es nicht. Die Stadt ist voll von schönen jungen Frauen mit Träumen. Andere wären wohl wieder nach Hause geflogen, Tamara Wernli hielt durch. Sie fand einen Job in einem Hotel, arbeitete für 8 Dollar 50 als Receptionistin und absolvierte daneben eine Marketingausbildung an der University of California, Los Angeles.

Sie habe damals wirklich gedacht, Hollywood habe bloss auf sie gewartet, sagt sie und blickt kopfschüttelnd aus dem Fenster auf den entspannt dahinfliessenden Rhein. Vielleicht hat sie ihr Aufenthalt in den USA geprägt. Heute kommt Tamara Wernli der amerikanischen Vorstellung einer Selfmade-Woman jedenfalls sehr nahe. Seit fast 20 Jahren arbeitet sie als Selbständige. Für die Sendungen, die sie für Tele Basel produzierte, brachte sie die Sponsorengelder selber auf. Die Nachrichten las sie im Mandatsverhältnis. Wernli wickelt alle Aufträge über ihre Einzelfirma ab, ihr Honorar bestimmt sie selber. Bevor sie für die Sendung zur toxischen Männlichkeit nach Leutschenbach fuhr, handelte sie eine Spesenentschädigung aus. Nicht weil sie auf das Geld angewiesen ist, das ist sie nicht, sondern aus Prinzip. Frauen hätten allgemein Mühe, für ihre Leistungen eine angemessene Entschädigung zu fordern, sagt sie. Das sei auch einer der Gründe für den Pay-Gap, den statistisch bewiesenen Unterschied zwischen Frauenlöhnen und Männerlöhnen. Nicht der einzige Grund, aber auch kein unwichtiger.

Um sich antifeministisch und genderpolitisch auf der Höhe zu halten, ist Tamara Wernli gezwungen, sich eingehend mit der Materie zu beschäftigen. Und das tut sie auch, mit derselben Genauigkeit und demselben Fleiss, der ihr in allem eigen ist. Sie interessiert sich für Hirnforschung, liest wissenschaftliche Studien und hält sich frauenpolitisch à jour: erste feministische Welle, zweite, dritte – Tamara Wernli hält mit. «Das muss ich doch», sagt sie, «wenn ich mich auf Augenhöhe mit Feministinnen unterhalten will.»

«Tyrannei der Dauerempörten»

Allzu tief in die Materie taucht Tamara Wernli trotz freundschaftlichen Kontakten zu Frauenrechtlerinnen allerdings nicht ab. Wenigstens nicht in ihrer selbstgewählten Rolle als antifeministische Amazone. Lieber wiederholt sie ihr Mantra von der selbstgewählten Opferrolle der Frauenaktivistinnen. Das nerve sie, gibt sie unumwunden zu. Wenn Frauen weniger verdienten, dann auch, weil sie sich oft für Berufe im Gesundheits- oder Sozialwesen entschieden. Laut Tamara Wernli arbeiten Frauen tendenziell lieber mit Menschen, Männer bevorzugen Dinge und Technik, und in Jobbereichen wie etwa der IT würden nun einmal bessere Löhne bezahlt.

Tamara Wernlis jüngster Streich ist eine Breitseite gegen feministische Pornos. Ihr Fazit: Ginge es den Konsumentinnen tatsächlich um eine intelligentere Filmstory, würden sie wohl Arte schauen. Zuvor solidarisierte sie sich mit einem Kölner Karnevalisten, der sich auf der Bühne über Doppelnamen lustig gemacht hat und von einer wütenden Frau öffentlich gemassregelt wurde. Während das halbe Juste Milieu für die Empörte einstand, twitterte Tamara Wernli: «Ich persönlich bin ja für Dreifachnamen. Der dritte ist der, mit dem man sich identifiziert.» Seither twittert sie unter Tamara Alexandra Wernli-Schuler-Pauls.

Es ist wohl dieses Verspielte, Augenzwinkernde, das sie davor bewahrt, öffentlich niedergebrüllt zu werden. Nach dem Solidaritäts-Tweet mit dem gerüffelten Kölner Jecken teilte ihr jemand mit, er habe sie nun der Liste «dumme arschloecher» hinzugefügt. Doch solche Reaktionen sind selten. In der Regel wird sie mit Zuspruch überschüttet. Die meisten Reaktionen können der Gattung «Endlich sagt das mal jemand» zugeordnet werden. Manche haben eindeutigen Rechtsdrall, andere einen leicht schlüpfrigen Unterton.

«It-Girl» der neuen Rechten?

Journalisten haben deshalb immer wieder Versuche unternommen, sie als «Poster-Girl der neuen Rechten» oder als «antifeministisches It-Girl» zu porträtieren. Die meisten haben sich spätestens nach dem ersten Treffen anders besonnen: Die Jeanne d’Arc der Antifeministen und politisch Unkorrekten ist emanzipiert, geschäftstüchtig und gesellschaftspolitisch ziemlich liberal. Eine Frau, die sich höchstens mässig für Parteipolitik interessiert, lieber mit Freunden kocht, als öffentlich zu feiern, und privat ein ziemlich zurückgezogenes Leben mit Mann und Hund führt. Was würde sie ihrer Tochter mitgeben, wenn sie eine hätte? Tamara Wernli zögert keine Sekunde: «Ich würde ihr sagen, du kannst alles werden, was du willst. Aber du musst auch wollen.»

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