Wie oft kaut sie, und was könnte das heissen? Eine Gymnasiastin beobachtet eine Kuh beim Wiederkäuen auf einem Bauernhof in Liestal. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Wie oft kaut sie, und was könnte das heissen? Eine Gymnasiastin beobachtet eine Kuh beim Wiederkäuen auf einem Bauernhof in Liestal. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Schüler forschen im Feld: Was fressen Kühe, wie verdauen sie, und was bedeutet das fürs Klima?

Ein Bildungsprogramm vermittelt einen Eindruck, wie Umweltwissenschafter arbeiten. Dies nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch mit handfesten Aufgaben – zum Beispiel auf einem Bauernhof.

Robin Schwarzenbach (Text), Karin Hofer (Bilder), Liestal
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Die Sonne scheint, es ist ein warmer Frühlingstag auf einem Bauernhof am Ortsausgang von Liestal. Auf der Weide der Familie Weber geniessen Kühe und Kälber ein paar Stunden unter freiem Himmel – endlich wieder auf der Wiese und in Ruhe grasen, nach Monaten im Stall und auf dem asphaltierten Laufhof!

Von den Besuchern aus der Stadt lassen sich die Rinder bei dieser schönen Gelegenheit denn auch nicht aus der Ruhe bringen: Siebzehn Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Leonhard in Basel sind mit ihren Lehrern nach Liestal gereist, um ein Projekt im Rahmen des Biologieunterrichts zu realisieren. Sie müssen zwei praktische Aufgaben erfüllen. Beide führen sie hinaus aufs Feld – einmal mit Papier, Stift und Stoppuhr; und einmal mit Plastikhandschuhen und zwei Bechern.

Klimaschädliche Rülpser

«Ihr dürft die Tiere auch streicheln, unsere Kühe sind Menschen gewohnt. Aber rennt bitte nicht herum auf der Weide!», sagt Chantal Weber bei der Einführung. Die 23-jährige Landwirtin und Tochter des Hofbesitzers zeigt den Gymnasiasten auch, was die Rinder im Winter zu fressen bekommen: vor allem Gras und Mais aus der Silage, also luftdicht gelagert, vergoren und dadurch haltbar gemacht, sowie etwas Heu, Kartoffeln und altes Brot. Im Sommer fressen sie vor allem frisches Gras – womit wir beim Kernthema der Exkursion ins Grüne wären.

Kühe gelten als Belastung fürs Klima, da sie beim Verdauen Methangas ausstossen, wenn sie rülpsen. Über 80 Prozent der Methanemissionen in der Schweiz stammen aus der Landwirtschaft. Ein Methanmolekül hat einen 25-mal stärkeren Effekt auf das Klima als die vergleichbare Menge CO2.

Andererseits spielen die weidenden Wiederkäuer eine wichtige Rolle bei der Pflege von Grasland, einem bedeutenden Speicher von CO2. Zudem ist das Düngen mit Stallmist klimaverträglicher als jenes mit synthetischen Mitteln; organischer Dünger setzt weniger Lachgas frei, das dem Klima 296-mal mehr schadet als Kohlendioxid.

Die Schülerinnen und Schüler kennen diese Zusammenhänge, wenn sie ihre Unterlagen im Unterricht genau gelesen und Christina Wolf zugehört haben, die sie bei der Vorbereitung zwei Tage zuvor besucht hat in der Schule. Die Biologin doktoriert in Agrarwissenschaften an der ETH Zürich und begleitet die Gymnasiasten auch auf dem Bauernhof, als Back-up für knifflige, aber auch für grundsätzliche Fragen: Wozu genau beobachten die Schüler die Kühe? Und was für Erkenntnisse lassen sich daraus gewinnen?

Genau hinschauen beim Wiederkäuen

Die Jugendlichen sollen den Moment erkennen, wenn eine Kuh auf der Weide einen anverdauten Bissen wieder hochwürgt – das sieht man am Hals der Tiere – und den Grasbüschel dann wiederkäut im Maul. Dann heisst es zählen: einmal, zweimal, dreimal . . . Bis zu fünfzigmal kaut eine Kuh, bis der Bissen wieder nach unten wandert. Und dann die Zeit notieren! Und natürlich die Nummer des Tieres auf der gelben Marke im Ohr.

Das Ganze sollte je zehnmal bei mehreren Kühen wiederholt werden. Das verspricht einen zuverlässigen Datensatz, den die Schüler später am Computer mit Erhebungen anderer Klassen vergleichen werden. Das könnte zum Beispiel Aufschluss darüber geben, wie sehr sich die Wiederkäuer bereits an ihr Sommerfutter draussen auf der Weide gewöhnt haben.

Die Kühe grasen erst seit kurzem wieder auf der Weide. Daten anderer Klassen auf demselben Hof könnten interessante Vergleiche ergeben. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Die Kühe grasen erst seit kurzem wieder auf der Weide. Daten anderer Klassen auf demselben Hof könnten interessante Vergleiche ergeben. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

«Je intensiver Kühe wiederkäuen, desto ökonomischer ist das für die Landwirte, da die Grashalme im Maul feiner zermahlen werden und die Bakterien in den Mägen die schwerverdaulichen Zellulosefasern so besser abbauen können», erläutert Wolf. Faserarmes Kraftfutter hingegen (auf das die Familie Weber verzichtet) sei leichter zu verdauen und führe zu weniger klimaschädlichen Rülpsern.

Doch zu viel Kraftfutter würde den Tieren schaden, weil sie so weniger wiederkäuten, weniger Speichel produzierten und ihr grösster Magen, der sogenannte Pansen, in der Folge übersäuern könnte. Wolf erzählt den Gymnasiasten auch von Forschungsprojekten mit einheimischen Pflanzen, die die Methanproduktion signifikant senkten und den Kühen trotzdem gleich gut schmeckten.

Zehn verschiedene Lernfelder

Die 32-Jährige kann diese Zusammenhänge gut erklären. Es ist nicht das erste Mal, dass sie als Expertin im Schuleinsatz ist. Sie hat vor drei Jahren in der Forschungsgruppe Graslandwissenschaften der ETH einen Kurs absolviert, um Schulklassen fachkundig, aber auch verständlich begleiten zu können («Lernfeld»). Für dieses Engagement erhalten Masterstudierende und Doktoranden einen Kreditpunkt.

Die Unterlagen mit dem Hintergrundwissen und den praktischen Aufgaben auf dem Bauernhof stammen von Globe Schweiz, einem Verein, der auf eine Bildungsinitiative des ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore zurückgeht und seit 2009 dank einem Staatsvertrag mit den USA auch in der Schweiz aktiv ist. Pro Jahr profitieren etwa fünfzig Klassen von dem Angebot, vom Kindergarten bis zum Gymnasium.

Christina Wolf hat über die Auswirkungen von Omega-3-Fettsäuren in Rinderfutter doktoriert. Doch auch sie muss sich immer wieder einlesen, zumal es sein kann, dass eine Schulklasse nicht Kühe, sondern Regenwürmer beziehungsweise deren Rolle bei der Beschaffenheit des Bodens durchnimmt oder sich mit Pflanzenvielfalt und bestäubenden Insekten beschäftigt. Insgesamt decken die «Lernfelder» von Globe Schweiz zehn verschiedene Themen ab aus den Bereichen Klimawandel, Biodiversität und Landwirtschaft.

«Wir wollen den Forschergeist wecken mit Projekten, die im Schulzimmer kaum durchführbar wären.»
Eric Wyss, Geschäftsführer von Globe Schweiz

Damit ist auch das Ziel verbunden, künftige Studierende für Naturwissenschaften zu begeistern. «Wir wollen den Forschergeist wecken mit Projekten, die im Schulzimmer kaum durchführbar wären», sagt Eric Wyss, der Geschäftsführer von Globe Schweiz.

«Notieren Sie auch das!»

Ob diese Botschaft bei den 16- und 17-Jährigen auf dem Bauernhof in Liestal ankommt, ist schwer zu sagen. Begeisterung fürs Datensammeln im Feld? «Vielleicht ist es dafür noch etwas zu früh», antwortet einer der Schüler. «Aber wir sind aktiv gefordert, und es ist interessant, das alles einmal mit eigenen Augen zu sehen.»

Berührungsängste mit dem Forschungsmaterial sind auf jeden Fall keine auszumachen – auch dann nicht, wenn die Schüler frischen Kot aufnehmen und die feuchte Masse auf drei verschiedenen Sieben auf ihre Bestandteile untersuchen. Eine der Kühe hat offenbar auch Kieselsteine gefressen. «Notieren Sie auch das!», sagt Stephan Ledergerber, einer der beiden Biologielehrer. «Man weiss nie, wozu solche vermeintlich nichtigen Beobachtungen später noch gut sein können.»

Die unscheinbare Szene zeigt: Feldforscher sollten immer alles im Blick haben, ergebnisoffen sein und alles dokumentieren. Das ist zwar mühsam, aber eine willkommene Abwechslung zum theoretischen Unterricht, wie die Basler Gymnasiasten auf dem Heimweg übereinstimmend festhalten.

Die Schülerinnen des Gymnasiums Leonhard untersuchen und dokumentieren auch anderes landwirtschaftliches Material – frischen Rinderkot. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

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Mehr von Robin Schwarzenbach (RSc)

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