Die rückwärtige Aussenmauer des Bürgerbräukellers gibt den Blick auf das zerstörte Dach frei. (Foto vom 10. November 1939). – Rechts: Georg Elser mit kahlgeschorenem Kopf in Gefangenenkleidung. Die Aufnahme entstand zwischen November 1939 und Januar 1940. (Bilder: Gestapo / AP. E4320B#1970/25#2* / Schweizerisches Bundesarchiv)

Die rückwärtige Aussenmauer des Bürgerbräukellers gibt den Blick auf das zerstörte Dach frei. (Foto vom 10. November 1939). – Rechts: Georg Elser mit kahlgeschorenem Kopf in Gefangenenkleidung. Die Aufnahme entstand zwischen November 1939 und Januar 1940. (Bilder: Gestapo / AP. E4320B#1970/25#2* / Schweizerisches Bundesarchiv)

Er wollte ein noch grösseres Blutvergiessen verhindern – mit einer Bombe: Georg Elser, der Schreiner, der Hitler töten wollte

Im Alleingang versuchte der Schwabe 1939 auch Göring und Goebbels in die Luft zu sprengen. Doch die Bombe zündete 13 Minuten zu spät. Es dauerte Jahrzehnte, bis der Widerstandskämpfer Anerkennung fand.

Stefan Reis Schweizer
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Wie beseitigt man einen Diktator? Für Georg Elser war das ab Herbst 1938 eine ganz praktische, ja die entscheidende Frage, um die sein Leben kreiste. Der in Königsbronn in Württemberg aufgewachsene Schreiner, damals 35-jährig, lehnte die nationalsozialistische Ideologie ab. «Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedanken», gab er später der Gestapo zu Protokoll.

Im Jahr 1938 begannen die Nationalsozialisten, mit einer aggressiven Aussenpolitik die Grenzziehungen des Versailler Vertrages zu beseitigen. Im März erfolgte der Einmarsch der Wehrmacht in Österreich. Ende September erreichte Hitler durch das «Münchner Abkommen», dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an das Deutsche Reich abtreten musste.

Elser zog aus solchen Ereignissen seine eigenen Schlüsse, wie er in seinen Vernehmungen im November 1939 schilderte: «Ich war bereits voriges Jahr um diese Zeit der Überzeugung, dass es bei dem Münchener Abkommen nicht bleibt, dass Deutschland anderen Ländern gegenüber weitere Forderungen stellen und sich andere Länder einverleiben wird und dass deshalb ein Krieg unvermeidlich ist.»

Das in Berlin entstandene Gestapo-Protokoll ist die wichtigste Quelle zu Elsers Leben. Zugleich ist es ein Dokument, das die Sprache der Täter widerspiegelt und unter Folter und Misshandlungen entstand.

«Beseitigung der augenblicklichen Führung»

Elser kam zu dem Schluss, dass sich die Lage nur ändern könne «durch die Beseitigung der augenblicklichen Führung». Darunter verstand er die «Obersten», also Hitler, Göring und Goebbels. Mit einer bemerkenswerten Konsequenz entschied er sich nach eigener Aussage vor dem November 1938 dazu, seine Absicht selbst in die Tat umzusetzen.

Doch welche Möglichkeiten hatte ein Einzelkämpfer wie Elser überhaupt? Dem Handwerker aus einfachen Verhältnissen fehlten für einen Tyrannenmord fast alle Voraussetzungen. Elser war völlig auf sich alleine gestellt. Er verfügte weder über eine wichtige Position, ein einflussreiches Netzwerk, etwa in der Wehrmacht, noch gehörte er einer bedeutenden Familie an, wie der ebenfalls im Südwesten aufgewachsene Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der mehr als vier Jahre später ein Attentat auf Hitler verüben sollte.

Vor allem Stauffenberg und die Männer und Frauen des 20. Juli sind heute die ungleich bekannteren Gesichter des deutschen Widerstands. Elser hat zwar seit Jahrzehnten einen festen Platz in der offiziellen Erinnerungskultur in Deutschland, findet diesen aber erst allmählich im Bewusstsein der Deutschen.

Eigenwillig und gesellig

Zeitgenossen beschrieben den 1903 in Hermaringen geborenen Johann Georg Elser als eigenwilligen unabhängigen Geist, beruflich wie privat. Der Schreiner achtete auf einen angemessenen Lohn für seine Arbeit. Er hatte den Ruf eines sehr genau arbeitenden Handwerkers, der stolz auf seinen Beruf ist. Elser wird als eher verschlossener Mensch beschrieben. «Arbeitsam, ruhig und solide», so schildert ihn 1939 der Sohn eines Schreinereibesitzers in Bottighofen am Schweizer Ufer des Bodensees, wo Elser zehn Jahre zuvor gearbeitet hatte.

Zugleich suchte Elser die Gesellschaft. Die Musik nahm früh eine wichtige Rolle in seinem Leben ein, schon in der Schule spielt er Flöte, später Ziehharmonika und Zither. In Konstanz gehörte er seit 1926 dem Trachtenverein «Oberrheintaler» an, dort und in Königsbronn war er auch im Zitherclub.

1934 kaufte er sich einen Kontrabass, den er im Zitherclub und später auch im Königsbronner Gesangverein Konkordia spielte. Während seiner Wanderjahre als Schreinergeselle am Bodensee wie auch später ging er mehrere Beziehungen ein. 1930 wurde sein einziger Sohn Manfred geboren, das Paar trennte sich aber bald danach.

Der letzte Angehörige

Franz Hirth hat seinen Onkel Georg Elser noch als Kind erlebt. In den Jahren zwischen 1932 und 1935 lebte Elser wieder in seinem Elternhaus in Königsbronn, wo zu dieser Zeit auch «Franzle», wie Elser ihn einmal in einem Brief nannte, bei seiner Grossmutter lebte.

Der heute 90-jährige Hirth hat sich eine klare Erinnerung an seinen Onkel bewahrt, auch wenn sie nach so vielen Jahrzehnten langsam verblasse. «Ich hatte einen engen Bezug zu ihm», sagt der letzte noch lebende Familienangehörige Elsers kurz vor dem 80. Jahrestag des Attentats mit fester Stimme am Telefon. «Für mich war er eine Art Vatersperson», ergänzt der in Stuttgart lebende Hirth.

Elsers starker Gerechtigkeitssinn und seine Sorge um das Wohl der Arbeiter prägten auch seine politischen Vorstellungen. Er wählte immer kommunistisch, weil er nach eigener Aussage davon ausging, dass sich die KPD für die Arbeiter einsetzt. Zeitweilig gehörte er dem Roten Frontkämpferbund an, dem paramilitärischen Kampfverband der KPD.

Besichtigung des Bürgerbräukellers

Um seine Absicht eines Attentats in die Tat umzusetzen, schien Elser der Gedenkanlass zum Jahrestag von Hitlers gescheitertem Putsch von 1923 geeignet. In München versammelten sich jedes Jahr seit der Machtübernahme 1933 am 8. und 9. November die führenden Nationalsozialisten. Hitler hielt im Bürgerbräukeller vor den «alten Kämpfern» eine Rede, am Tag darauf erfolgte ein Gedenkmarsch zur Feldherrenhalle im Stadtzentrum.

Elser reiste also am 8. November 1938 von Königsbronn mit dem Zug nach München, um herauszufinden, ob seine Tat dort umsetzbar sei. Erst nach der Rede Hitlers traf er im Saal des Bürgerbräukellers im Stadtteil Haidhausen ein, schaute sich dort um, kam am nächsten Tag nochmals dorthin und fuhr dann wieder zurück nach Königsbronn.

Der Tag von Elsers Rückreise, der 9. November 1938, steht für eine nun vollends entfesselte Gewalt des Regimes gegenüber den Juden, die sich auf offener Strasse abspielt und eine bisher nicht da gewesene Brutalität annahm: die sogenannte Reichskristallnacht. Synagogen stehen in Flammen, und jüdische Geschäfte werden geplündert. Es ist auch der Tag des gescheiterten Attentats des Neuenburgers Maurice Bavaud auf Hitler in München.

Mut und Disziplin

Zurück in Königsbronn entschloss sich Elser, die Tat im Bürgerbräukeller auszuführen. Allmählich reifte in ihm die Idee eines Sprengstoffattentates. Im April 1939 fuhr er nochmals für einige Tage nach München, seine Vorbereitungen nahmen nun konkretere Gestalt an. Elser prüfte die Voraussetzungen, um einen Sprengsatz in der Säule hinter dem Rednerpult einzubauen.

Hitler während seiner Rede am 8. November 1939 im Bürgerbräukeller. Elser hatte die Bombe in der Säule hinter der Fahne eingebaut. (Bild: Heinrich Hoffmann / Ullstein / Getty)

Hitler während seiner Rede am 8. November 1939 im Bürgerbräukeller. Elser hatte die Bombe in der Säule hinter der Fahne eingebaut. (Bild: Heinrich Hoffmann / Ullstein / Getty)

Der schwäbische Tüftler entwickelte eine Konstruktion, bei der durch eine Gewehrpatrone die Sprengkapsel gezündet wurde. Die Programmierung des genauen Zeitpunkts stellte er über zwei Uhrwerke sicher. Um die Funktionsweise seiner Bombe zu testen, machte er auch Versuche im Obstgarten seiner Eltern in der Nähe von Königsbronn. Den Sprengstoff hatte er sich als zeitweiliger Hilfsarbeiter in einem Steinbruch besorgt.

Am 5. August, rund drei Monate vor dem Attentat, fuhr Elser nach München, um dort mit der ihm eigenen Akribie die konkreten Vorbereitungen für die Tat zu treffen. Der mutige Schreiner legte eine erstaunliche Disziplin an den Tag: Nach eigener Erinnerung liess er sich dazu 30- bis 35-mal nachts im Saal des Bürgerbräukellers einschliessen.

Mühsames Arbeiten auf den Knien

Vorher ass er noch nebenan zu Abend, um dann gegen 22 Uhr in den Saal zu gelangen, der noch nicht versperrt war. Er versteckte sich in einem Abstellraum, bis der Saal verschlossen wurde. Dann arbeitete er mehrere Stunden an einer Säule hinter dem Rednerpult, um zunächst eine Aushöhlung für seinen «Apparat», wie er es nannte, zu schaffen. Bis 2 oder 3 Uhr in der Nacht arbeitete Elser, bevor er wieder zurück in den Abstellraum ging, um dort zu warten, bis der Saal am Morgen wieder aufgeschlossen wurde.

Elsers Gemütsverfassung lässt sich nur erahnen. Er musste immer damit rechnen, dass sein Vorhaben aufflog. Bei der Ausführung stand er unter grossem Zeitdruck. Den Krieg konnte er nicht mehr vereiteln, am 1. September überfiel Deutschland das Nachbarland Polen. Doch das entmutigte Elser nicht: «Ich wollte ja auch durch meine Tat ein noch grösseres Blutvergiessen verhindern», sagte er später in den Vernehmungen. Im Bürgerbräukeller arbeitete Elser auf den Knien beim Schein einer Taschenlampe mit einfachem Werkzeug: Meissel, Bohrwinde und Steinbohrer. Das Aushöhlen der Säule war auch deshalb mühsam, weil er keine Geräusche verursachen durfte.

Zupass kam Elser, wie er in den Vernehmungen angab, dass etwa alle 10 Minuten in den WC-Anlagen des Bürgerbräukellers eine automatische Spülung einsetzte, der er seine Arbeitsweise anpassen konnte. Nachdem er Anfang November seine Konstruktion im Hohlraum der Säule eingesetzt hatte, stellte er am 4. November die Uhren seiner Sprengvorrichtung auf den Abend des 8. November ein. Elser hatte sie so konstruiert, dass er den Zeitpunkt der Explosion 96 Stunden im Voraus einstellen konnte.

Verheerende Explosion

Am 8. November 1939 um 21 Uhr 20 explodierte die Bombe Elsers im Münchner Bürgerbräukeller nach Plan. Die Wucht der Explosion zertrümmerte die tragende Säule hinter dem Rednerpult, die Decke wie eine Aussenwand stürzten ein, der Schutt lag mehrere Meter hoch. Acht Personen starben, mehr als 60 wurden verletzt. Hitler hatte den Saal nach seiner Rede schon um 21 Uhr 07 verlassen. Weil Nebel über München herrschte, konnte er nicht fliegen, sondern musste mit dem Zug zurück nach Berlin reisen.

Kurze Zeit vor der Explosion der Bombe in München wurde Elser gegen 20 Uhr 45 im Garten des Wessenbergschen Erziehungsheims in Konstanz von zwei Zollbeamten festgenommen, als er versuchte, illegal die Grenze zur Schweiz zu überqueren. Er wurde auf die Wache gebracht, später nach München zur Gestapo, wo er geschlagen wurde und knapp eine Woche nach dem Attentat gestand.

Georg Elser in einer Aufnahme, die Mitte der 1930er Jahre entstand. – Rechts ein Bild der Gestapo vom November 1939, das Elser mit Folterspuren am linken Auge zeigt. Den Mantel und den Hut trug er auch bei seiner Festnahme. (Bilder: E4320B#1970/25#2* / Schweizerisches Bundesarchiv)

Georg Elser in einer Aufnahme, die Mitte der 1930er Jahre entstand. – Rechts ein Bild der Gestapo vom November 1939, das Elser mit Folterspuren am linken Auge zeigt. Den Mantel und den Hut trug er auch bei seiner Festnahme. (Bilder: E4320B#1970/25#2* / Schweizerisches Bundesarchiv)

Es folgten Verhöre in der Gestapo-Zentrale in Berlin, die unter Folter stattfanden. Ohne Gerichtsverfahren wurde er in das nahe Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg gebracht. Anfang des Jahres 1945 kam Elser in das KZ Dachau bei München. Als Sonderhäftling hatte er eine etwas grössere Zelle und eine Hobelbank. Er sollte nach dem Krieg in einem Schauprozess verurteilt werden. Auf Befehl der NS-Führung wurde Georg Elser nach mehr als fünfjähriger Isolationshaft am 9. April 1945 mit 42 Jahren von einem SS-Offizier im Konzentrationslager Dachau erschossen, wenige Tage vor der Befreiung des KZ durch alliierte Truppen. Sein Leichnam wurde verbrannt.

Nach dem Krieg wurde über Georg Elser jahrzehntelang geschwiegen. Auch in dessen Familie, wie sein Neffe Franz Hirth erzählt. Ein halbes Jahrhundert nach dem Münchner Attentat thematisiert der Spielfilm «Georg Elser – einer aus Deutschland» 1989 das Schicksal Elsers als wichtiger Widerstandskämpfer, unter der Regie von Claus Maria Brandauer, der auch die Hauptrolle übernahm.

«Der Film war für mich ein Lichtblick», resümiert Hirth heute. Er habe ein ganz anderes Bild seines Onkels vermittelt als das, mit dem er aufgewachsen sei. Hirth verweist darauf, dass die Propaganda der Nationalsozialisten noch lange nachgewirkt habe, die Elser als einen Agenten des britischen Geheimdienstes verunglimpften.

Nur wenige Jahre vor Brandauers Kinofilm hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1984 in einer Gedenkrede für die Attentäter des 20. Juli Georg Elser erstmals in eine Reihe mit anderen Widerstandskämpfern gestellt. Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier formulierte es am Montag bei der Einweihung eines Denkmals in Elsers Geburtsort Hermaringen so: «Georg Elser ist in der Geschichte des 20. Jahrhunderts ein Grosser, ein Grosser, an den die Erinnerung lange, viel zu lange klein gehalten worden ist.»

Literaturhinweis: Peter Steinbach, Johannes Tuchel: Georg Elser. Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin 2008. 270 S., als Taschenbuch: Steinbach, Tuchel: Georg Elser. Der Hitler-Attentäter. Bebra Verlag, Berlin 2010. 400 S.. Fr. 23,90.