In einem Labor in Shenzhen ind China wird einem Embryo das Konstrukt für die Genschere Crispr/cas injiziert. Der Chinese He Jianku behauptete im November 2018, auf diese Weise gentechnisch veränderte Babys erschaffen zu haben. Die Aufnahme stammt vom 9.Oktober 2018. (AP Photo/Mark Schiefelbein)

In einem Labor in Shenzhen ind China wird einem Embryo das Konstrukt für die Genschere Crispr/cas injiziert. Der Chinese He Jianku behauptete im November 2018, auf diese Weise gentechnisch veränderte Babys erschaffen zu haben. Die Aufnahme stammt vom 9.Oktober 2018. (AP Photo/Mark Schiefelbein)

Die Gentechnik wird immer exakter

Die Genschere Crispr/Cas wird in ersten Versuchen bereits an Patienten erprobt. Aber womöglich ist ihre Zeit schon bald vorbei. Denn Forscher haben schon präzisere Werkzeuge in der Hand.

Stephanie Lahrtz
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Der Chemiker und Biologe David Liu ist fasziniert vom Genom und von den modernen Techniken, mit denen man es verändern kann. Als 2012 die Genschere Crispr/Cas präsentiert wurde, war der 46-Jährige begeistert. Doch wie viele andere störte ihn die Tatsache, dass das System immer noch ein bisschen schlampig arbeitet.

Zwar wird die molekulare Schere so konstruiert, dass sie vorrangig an ausgewählten Stellen im Erbgut ansetzt. Aber dort schneidet sie den DNA-Doppelstrang dann brachial ganz durch. Bei der anschliessenden Reparatur können zwar gewünschte Veränderungen entstehen, aber es passieren auch viele zufällige Veränderungen und Fehler. Das sei eigentlich Genom-Vandalismus, so beschrieb es kürzlich der renommierte Genetiker George Church, der ebenso wie Liu an der Harvard University am Crispr/Cas-System forscht, im Wissenschaftsmagazin «Science».

Liu machte es sich zum Ziel, die Genschere präziser zu machen. Bereits 2016 stellten er und sein Team dafür eine Methode namens «base editing» vor, die deutlich schonender mit dem Erbgutmolekül umgeht, aber nur einen kleinen Teil der Gendefekte beheben kann. Am Montag hat Lius Team nun in der Fachzeitschrift «Nature» ein Schneidwerkzeug präsentiert, das präzise arbeitet und viele verschiedene Genmutationen reparieren kann.

Weniger Schnitte, mehr Kontrollen

Die Forscher nennen es «prime editing». Wenn man Crispr/Cas mit einer scharfen Stoffschere vergleicht, dann ist das neue Schneidwerkzeug eine scharfe kleine Nagelschere. Diese trennt nur einen Faden des Strangs auf. Und sie hat noch weitere Vorteile. Beim Crispr/Cas-System wird die Lücke mit einem zufällig vorhandenen DNA-Schnipsel gefüllt, oder es wird eine separat in die Zelle eingebrachte Vorlage, zum Beispiel ein «gesunder» DNA-Abschnitt, eingebaut. Beim «prime editing» hingegen hängt diese Vorlage bereits an der molekularen Schere, so dass sie immer an der Schnittstelle verfügbar ist. Das mache das neue System bei der Reparatur effizienter und präziser, betont Liu. Zudem besitze das neue Werkzeug drei interne Kontrollmechanismen, Crispr/Cas hingegen nur einen. Daher habe es in ihren Experimenten auch deutlich weniger unerwünschte Veränderungen an völlig unbeteiligten Orten im Erbgut gegeben. Dies geschah nur in wenigen Prozent der untersuchten Genabschnitte. Beim Crispr/Cas-System ist das laut den Autoren um bis zu zehnmal häufiger.

Die Forscher zeigten, dass mit «prime editing» verschiedene Eingriffe gelingen: einzelne DNA-Bausteine austauschen, mehrere Bausteine entfernen sowie neue einfügen, und dies auch in Kombination. So veränderten sie an einer Stelle im Erbguttext der Zellen einen «Buchstaben» und bauten eine Zeile weiter ein komplett neues «Wort» ein. All das können andere Genscheren zwar auch, aber nicht so effizient. Man könne jetzt voraussichtlich 89 Prozent aller bekannten pathologischen Erbgutveränderungen korrigieren, sagte Liu in einer Telefonkonferenz zur Präsentation der Ergebnisse.

Allerdings ist noch unklar, wie effizient die neue Schere in normalen menschlichen Zellen arbeitet. Alle bisherigen Versuche wurden nämlich in menschlichen Tumorzellen gemacht, die sich unermüdlich teilen und deshalb mit gentechnischen Methoden besser zu verändern sind. Einen Versuch machten die Forscher zwar mit Nervenzellen, allerdings stammten diese von Mäusen.

Technisch gesehen sei das neue System eine sehr intelligente Weiterentwicklung, meint Jan Korbel vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg. Allerdings ist auch «prime editing» nicht absolut sicher. Die Autoren sowie andere Experten betonen daher, dass das neue Werkzeug noch keineswegs reif sei für einen Einsatz am Patienten, weil es sich ja noch um einen Prototyp handele.

In der Forschung bald im Einsatz

Doch unter Forschern könnte es sich schnell verbreiten. Gerald Schwank, der am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich Genscheren für seine Forschung verwendet, hat das neue Werkzeug bereits am Tag der Publikation bestellt – Liu stellt es Wissenschaftern für die Forschung bereits zur Verfügung. Schwank will das «prime editing»-System kommende Woche ausprobieren, wie er sagte.

Für seine Arbeit verwendet er bereits den Vorgänger aus Lius Labor, das «base editing»-System. Er will damit eine Therapie für Stoffwechselerkrankungen entwickeln. Dafür verpackt er das molekulare Schneidwerkzeug in winzige Fettpartikel. Diese werden Mäusen in die Blutbahn injiziert. Die Partikel sind so konstruiert, dass sie nur in Leberzellen hineinkommen. Dort sollen sie Gendefekte korrigieren, die für fehlerhafte Enzyme verantwortlich sind.

Crispr ist aus vielen Projekten der Forschung nicht mehr wegzudenken. Damit werden Gene verändert und Zellen oder Tiere gezüchtet, um verschiedene Krankheiten zu untersuchen. Oder es werden Tumorzellen gezielt verändert, um damit herauszufinden, ob ein bestimmtes Medikament auch so wie vorhergesagt wirkt.

Erste Crispr-Studien mit Patienten

Ungewöhnlich schnell für eine neue Entdeckung kam Crispr auch in ersten klinischen Studien zum Einsatz. Dazu gehört auch das unrühmliche Beispiel von dem Chinesen He Jiankui, der damit veränderte Babys auf die Welt brachte. Doch handelte er sich damit harsche Kritik und einen Prozess ein, weil er sich dabei über ethische Grenzen und offenbar auch über chinesisches Gesetz hinwegsetzte. In China starteten 2017 aber auch legale erste Versuche mit dieser Crispr-Gentherapie an erwachsenen Patienten. In Europa erhielt zu Beginn dieses Jahres ein Patient mit Sichelzellanämie eigene Blutstammzellen, die aufgrund des gentechnischen Eingriffs eine gesunde Form von Hämoglobin produzieren. Diese Zellen wurden von der Schweizer Firma Crispr Therapeutics entwickelt. Demnächst soll ein Patient mit einer anderen Störung der roten Blutkörperchen mit derart veränderten Zellen behandelt werden. Zudem wurden in den USA im April zwei Krebspatienten mit durch Crispr/Cas veränderten Immunzellen behandelt. Mehr als ein Dutzend weiterer Gentherapie-Studien mit Crispr-Zellen stehen in den Startlöchern.

Aus Tierversuchen weiss man, dass mit dem Crispr/Cas-System behandelte Zellen manchmal sehr grosse DNA-Abschnitte verlieren und zudem gewisse Mutationen ausbilden. Es besteht das Risiko, dass solche Zellen zu neuen Krebsherden werden. Aus diesem Grund versucht man, solche Fehler möglichst zu vermeiden. Der Genetiker Fyodor Urnov vom Innovative Genomics Institute in Berkeley erwartet daher laut einer Stellungnahme im Magazin «Science», dass künftig in Gentherapien für Menschen nur noch «prime editing» verwendet wird. Liu denkt aber schon weiter und plant ein noch schonenderes Genreparatursystem, das vielleicht ganz ohne Schneiden auskommt.