Die Geldpolitik wird in eine neue Phase treten, in der Notenbanken Hand in Hand mit Regierungen und ihrer Ausgaben- und Finanzpolitik gehen werden.
Ray Dalio hat einen scharfen Blick für alles, was die globalen Finanzmärkte betrifft. Der Gründer und Co-Chef des weltgrössten Hedge-Fund, Bridgewater Associates, scheut sich nicht, klar und deutlich auszudrücken, was ihn an den Finanzmärkten und der sie beeinflussenden Politik stört. Seit einiger Zeit gibt er nicht nur seinen Investoren, sondern direkt auch einer breiteren Öffentlichkeit Einblick in seine Gedanken. Vor allem beklagt er die Schere zwischen Arm und Reich, die sich immer mehr öffne.
Im Sommer hatte Dalio argumentiert, dass die seit der Finanzkrise von Notenbanken und Regierungen verfolgte Politik keinen Grenznutzen mehr bringe. Das geltende Paradigma sei nicht länger vertretbar und müsse ersetzt werden. Nun hat er in einem kurzen Aufsatz nachgelegt und eine griffige These aufgestellt: «The World Has Gone Mad And The System Is Broken», die Welt sei verrückt geworden, und das System sei kaputt. Der Grund sei eine beunruhigende Anhäufung von nicht länger tragbarer Unvernunft.
Verrückt geworden sei die Welt, wenn extrem liquide Investoren Anlagen erwerben würden, bei denen sie wüssten, dass sie weniger zurückbekämen, als sie gezahlt hätten. Die Anleger tun dies, weil sie durch die Politik der Notenbanken über mehr Kapital verfügen, als sie sinnvoll anlegen können. Besonders krasse Beispiele sind die vielen spekulativen Unternehmen, die ohne Gewinn oder auch nur Gewinnaussichten ihre Aktien teuer verkaufen können. Manche Investoren hätten so viel Geld, dass sie Startups regelrecht zwängen, mehr Geld aufzunehmen, als sie brauchten. Den Notenbanken sei es nicht gelungen, die Liquidität in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen, das Geld sei vielmehr in den Finanzmärkten versickert.
Gleichzeitig bestünden grosse und – da Schuldenmachen eine neue Dynamik erhalten habe – wachsende Defizite der Staatshaushalte. Die Finanzierung der zusätzlichen Schulden werde die Kapitalmarktzinsen in die Höhe treiben und die vielen ohnehin stark verschuldeten Unternehmen und Konsumenten weiter unter Druck setzen. Dalio ist überzeugt, dass die Notenbanken einspringen und die neuen Staatsschulden mit frisch gedrucktem Geld finanzieren werden.
Parallel dazu werden immer mehr Verpflichtungen der Alters- und der Gesundheitsvorsorge fällig. Diese Lasten seien wie Schulden. Sie zu tilgen, werde mangels Kapital und Verzinsung oft gar nicht möglich sein. Es sei vielmehr zu befürchten, dass es einen hässlichen Verteilkampf darum geben werde, wie die Finanzierungslücken zu schliessen seien. Von den drei möglichen Lösungen – zu denen auch Leistungskürzungen und Steuererhöhungen zählten – sei Gelddrucken die einfachste, weil die Umverteilung von Wohlstand von unten nach oben so am wenigsten sichtbar werde.
Einen grossen Paradigmawechsel hält Dalio für unumgänglich. Wie er aussehen könnte, hat er schon mehrfach beschrieben. In einer dritten Phase der monetären Politik (MP3) – nach der Zinspolitik (MP1) und der quantitativen Lockerung (MP2) – werden Geldpolitik und Finanzpolitik Hand in Hand gehen und die Ausgabenbereitschaft von Staat und Konsumenten anregen. Die Modern Monetary Theory (MMT) sei eine von vielen möglichen Varianten der MP3: Demnach werde der Staat die immer häufiger empfohlenen Infrastrukturvorhaben und Massnahmen zur Modernisierung und Stimulierung der Wirtschaft mit Defiziten finanzieren. Die Notenbank werde die Schuldtitel direkt aufkaufen und monetisieren. Und mit der Zeit, ergänzt Steve Blumenthal, Leiter der CMG Capital Management Group, würden die Schulden aus den Büchern der Regierung (und der Notenbank) «verdunsten».
Ray Dalio ist nicht der Einzige in Finanzmarktkreisen, der laut über eine Reorientierung der Geldpolitik nachdenkt. Der Marktkommentator und Stratege Grant Williams empfiehlt, man solle sich besser daran gewöhnen, dass die Modern Monetary Theory – insbesondere in den USA – in der einen oder anderen Form kommen werde. Diese Entwicklung sei eine unvermeidliche Folge der Notenbankpolitik seit der Finanzkrise, der entstandenen sozialen Verzerrungen und der politischen Reaktionen.
Zur Krise des Verkauf- und Rückkaufgeschäfts (Repo) stellt Williams fest, dass niemand im Markt die Ursachen kenne. Sicher sei nur, dass ein heftiger Vertrauensverlust unter US-Banken entstanden sein müsse. Es sei höchst beunruhigend, wenn das Fed jeden Monat 130 Mrd. $ an Liquidität zuführen müsse.