Michelin Movin On: Innovationsmesse für zukünftige Mobilität

Jedes Ende ist auch in der Autoindustrie ein Anfang

An der Mobilitätsmesse «Movin’On» stecken Innovatoren die Köpfe zusammen, um eine Zukunft zu entwerfen, in der die Mobilität eine noch bessere Rolle spielt. Nachhaltig und hochtechnisiert.

Herbie Schmidt
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Die Veranstaltung rund um zukünftige Mobilität hat Reifenhersteller Michelin ins Leben gerufen. Sie ersetzt die Bibendum Challenge, die bis 2016 durchgeführt wurde. (Bild: PD)

Die Veranstaltung rund um zukünftige Mobilität hat Reifenhersteller Michelin ins Leben gerufen. Sie ersetzt die Bibendum Challenge, die bis 2016 durchgeführt wurde. (Bild: PD)

Think-Tank und Startup-Börse zugleich ist die vom französischen Reifenhersteller Michelin initiierte Veranstaltung «Movin’On», die im Juni 2019 bereits zum dritten Mal im kanadischen Montréal stattfand und einer Vielzahl neuer Ideen für die zukünftige Mobilität Raum bot.

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Weniger als sonst lag der Schwerpunkt der Podiumsgespräche, Pressekonferenzen, Präsentationen und Workshops auf dem Thema Nachhaltigkeit, sondern diesmal eher auf dem technischen Fortschritt. «Wenn wir schneller vorankommen wollen, brauchen wir Partner», verdeutlicht Florent Menegaux, CEO von Michelin. «Also arbeiten wir mit Universitäten in der Forschung, mit Startups für Inspiration und mit Joint Ventures zum Outsourcen von Fachthemen wie 3-D-Druck.»

Der in Montréal alljährlich durchgeführte Event gilt als Thinktank für nachhaltige Mobilität. (Bild: PD)

Der in Montréal alljährlich durchgeführte Event gilt als Thinktank für nachhaltige Mobilität. (Bild: PD)

Warum aber dann diese Veranstaltung, darf man sich fragen. «Wir wollen mehr tun, als uns nur ums kommerzielle Geschäft zu kümmern», so Menegaux. «Wenn wir auf neue Möglichkeiten der Mobilität aufmerksam machen und neue Partner aufspüren wollen, ist eine solche Veranstaltung sinnvoll.»

Mancher aber mag sich fragen, ob es nicht einen Widerspruch zur angestrebten Nachhaltigkeit darstellt, wenn Fachleute und Medien aus der ganzen Welt nach Montréal eingeflogen werden, damit Ergebnisse nachhaltiger Mobilität thematisiert werden. «Wir müssen mobil sein, um vorwärtszukommen», ist Menegaux’ lapidare Antwort. «Daher fliegen wir viele Menschen ein, um ihnen zu zeigen, was wir tun und was wir schon erreicht haben. Aber sämtliche CO2-Emissionen sind kompensiert.»

Der Uptis-Reifen von Michelin kommt ohne Luft aus, aber noch nicht ohne Felge. (Bild: PD)

Der Uptis-Reifen von Michelin kommt ohne Luft aus, aber noch nicht ohne Felge. (Bild: PD)

Michelin selbst präsentierte eine Weltneuheit, die es im Kleinen schon gibt. Mit dem gerade lancierten Uptis-Reifen ist die Luft definitiv raus aus dem Pneu. Der Uptis (für Unique Puncture-proof Tire System) sieht ein wenig wie ein Speichenrad aus und ersetzt die Luft zwischen Profil und Felge mit einer ausgeklügelten Strebenstruktur aus Verbundstoffmaterial. Da platzt nichts mehr, das Produkt soll so lange halten wie das Auto selbst. «Dabei sind wir uns aber bewusst, dass die innere Struktur des Uptis durchaus verletzlich ist», erklärt Michelin-Entwicklungschef Eric Vinesse.

Da sich der Uptis mangels Reifendruckoptimierung nicht auf verschiedene Strassenbeläge und Anforderungen einstellen lässt, scheint er nicht für jede weltweite Anwendung geeignet zu sein. «Reifen sind Weltprodukte, doch auch der Uptis wird auf regionale Besonderheiten abgestimmt sein», erläutert Yves Chapot, Geschäftsführer bei Michelin. «In Japan muss der Reifen komfortabel und möglichst lautlos abrollen, in Europa sind die Handling-Eigenschaften wichtiger.» Der richtige Kompromiss muss also noch gefunden werden.

Movin'On fand diesmal auf einem weitläufigen Industriegelände am Stadtrand von Montréal statt. (Bild: PD)

Movin'On fand diesmal auf einem weitläufigen Industriegelände am Stadtrand von Montréal statt. (Bild: PD)

Wenn der Uptis nach den Plänen der Franzosen 2024 in Serie geht, dann ist es vorbei mit dem Ärger bei einem Plattfuss, der sich dann verdoppelt, wenn sich herausstellt, dass sich im Kofferraum anstelle eines Ersatzrads ein kleines Set zum notdürftigen Reparieren und Aufpumpen des defekten Reifens findet.

Dann aber bricht möglicherweise eine ganze Industrie ein. Neue Reifen kauft man dreimal seltener, selbst wenn natürlich abgefahrene Profile auch bei luftlosen Reifen zum Neukauf oder zur Runderneuerung der Profilschicht führen. Aber ob es dann noch so etwas wie Auswuchten braucht – das weiss Michelin noch nicht einmal selbst. Viel wichtiger ist den Franzosen, dass sie einen weiteren Schritt in Richtung Umweltschutz machen, wenn möglichst viele die dreimal haltbareren Uptis-Reifen kaufen – die übrigens, wie Vinesse bestätigt, auch das Dreifache kosten dürften, damit die Rechnung für den Hersteller aufgeht. Aber es fällt weniger Gummi an, weil neue beschädigte Luftpneus nicht mehr vorkommen. «Nachhaltigkeit ist viel wichtiger als Stückzahlen», sagt Vinesse.

Das slowenische Start-up Nervetech sammelt auch an der Movin'On Daten zum alltäglichen Fahrverhalten und kommt so mit Versicherungen und Verkehrsämtern in Kontakt. (Bild: PD)

Das slowenische Start-up Nervetech sammelt auch an der Movin'On Daten zum alltäglichen Fahrverhalten und kommt so mit Versicherungen und Verkehrsämtern in Kontakt. (Bild: PD)

Trotz allen Vorteilen in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit soll der Uptis aber nur ein Zwischenschritt sein, der in Partnerschaft mit General Motors bei umfangreichen Tests auf der Strecke und im Versuchszentrum den letzten Schliff bekommt. «GM testet anders als wir, weshalb wir das Produkt nun perfekt aufs Auto zuschneiden können», verrät Vinesse.

Nach wie vor strebt Michelin nach der Fertigstellung eines Rades, das dem vor zwei Jahren vorgestellten Vision Concept entspricht und komplett mit Nabe gefertigt wird. Spätestens dann bricht ein weiterer Industriezweig zusammen: die Felgenherstellung.