Jeder bürgerliche Demokrat ist ein potenzieller Nazi, jeder Linksextremist ein guter Kerl: Im «Kampf gegen rechts» bleiben Vernunft und Verhältnismässigkeit zunehmend auf der Strecke.
Haben Sie heute schon gegen rechts gekämpft? Nein? Dann nichts wie los, die Auswahl ist gross: Wie wär’s mit «Velofahren gegen rechts»? Oder wollen Sie lieber «kuscheln gegen rechts» und sich danach einen Joint gönnen? Falls Sie mit «kiffen gegen rechts» nichts anfangen können: «Saufen gegen rechts» gibt’s auch, vielleicht können Sie dort ein paar «Omas gegen rechts» unter den Tisch saufen, sofern sie nicht doch lieber zu Hause den «Tatort» schauen wollen. In der aktuellen Folge singt Jeanette Biedermann nämlich «gegen rechts».
Die Beispiele sind allesamt real. Gegen «rechts» zu sein, hat sich zu einer Art Volkssport entwickelt, ausgehend von Deutschland, wo die schlimmste rechtsextreme Diktatur aller Zeiten bis heute nachwirkt. Wie nötig der Kampf gegen Rechtsextremismus ist, zeigt sich nicht nur in Deutschland, wo ein Neonazi gerade einen CDU-Politiker exekutiert hat und die NSU-Terroristen jahrelang ungestört Migranten ermorden konnten. Auch in der Schweiz machen Rechtsextremisten mobil, um an Konzerten «abzuhitlern», «Kameraden» mit Waffen zu versorgen oder in Ku-Klux-Klan-Kluft herumzustolzieren.
Mit seriöser Sensibilisierung für Rechtsextremismus und totalitäre Ideologien hat der modische Kampf «gegen rechts» jedoch nur noch bedingt zu tun. Vielmehr hat die manchmal gedankenlose und oft vorsätzliche Gleichsetzung der Begriffe «rechts» und «rechtsextrem» dazu geführt, dass heute jeder Rechte ein potenzieller Nazi ist. So jedenfalls sieht es der bürgerliche britische Historiker Niall Ferguson, und er steht mit dieser Einschätzung nicht allein da. Für die Boulevardzeitung «Blick» etwa ist der Tweet «Nazis raus!» ganz einfach eine Botschaft «gegen rechts». Umgekehrt kann, wer «gegen rechts» kifft oder kuschelt, auch nur an Ueli Maurer oder an Magdalena Martullo denken. Sprich: «Rechts» und «Nazi» ist Hans was Heiri. «Rechts ist diskreditiert, hat eine ähnliche Abwertung erfahren wie etwa die Dirne, die einst einfach ein Mädchen war», stellte der damalige Berliner Korrespondent der NZZ schon vor zehn Jahren fest, und: Wer früher einfach rechts gewesen sei, nenne sich nun verschämt «bürgerlich».
Im Gegenzug kann es für gewisse Leute im Moment gar nicht genug «Rechte» geben – gerade für jene, die sonst bei jeder Gelegenheit (und mit gewissem Recht) betonen, wie passé dieses Links-rechts-Schema doch sei. Das Schweizer Parlament, so warnen Journalisten und Politiker unermüdlich, ist furchtbar «rechts», die FDP auch, die SVP sowieso. Als wäre das nicht genug, sind auch noch «die Medien» und die Kunstschaffenden von einem gewaltigen Rechtsruck erfasst worden, denn Gölä, Chris von Rohr und Florian Silbereisen sind von mehreren Feuilletonisten als «rechts» identifiziert worden. Selbstverständlich sind in dieser Weltsicht auch alle negativen Phänomene «rechts», vom Populismus bis zum Hass im Internet.
Dass Populisten in Wahrheit oft mit antikapitalistischen, globalisierungsfeindlichen und nationalsozialistischen Versatzstücken hausieren; dass es Heerscharen von linken Netztrollen gibt; dass im Ständerat eine Mitte-links-Allianz dominiert und dass der «rechteste» FDP-Nationalrat auf einer Skala von minus 10 (ganz links) bis plus 10 (ganz rechts) bei sage und schreibe 3,4 steht – all das ist egal. Denn wer zuerst «rechts!» ruft, steht schon einmal auf der richtigen Seite. Dabei benennt der Begriff «rechts» eigentlich nur die Tatsache, dass es Demokraten gibt, die nicht links sind, zum Beispiel freisinnig, libertär, konservativ oder liberal ohne Linkszusatz. Rechtsextremisten dagegen lehnen Demokratie und Rechtsstaat ab, sie propagieren ein autoritäres Führerprinzip, und sie befürworten Gewalt gegen politische Gegner und bestimmte Bevölkerungsgruppen.
Manche Eiferer von heute können sich in Sachen paranoidem Furor durchaus mit Ernst Cincera und anderen Linkenjägern von damals messen.
Zwischen rechten Demokraten und Antidemokraten besteht also ein wesentlicher Unterschied, wie es auch zwischen Simonetta Sommaruga, Nicolas Maduro und Kim Jong Un einige Differenzen gibt, obwohl sie letztlich alle links sind. Bezeichnenderweise kommt aber niemand auf die Idee, links automatisch mit «linksextrem» gleichzusetzen, obwohl linker genau wie rechter (Diktatur-)Terror überall auf der Welt für unermessliches Leid gesorgt hat. «Omas gegen links»? «Kuscheln gegen links»? Auf diese lächerliche Idee käme nicht einmal die SVP – ganz einfach, weil links erst einmal sozialdemokratisch, grün oder alternativ bedeutet. So sollte es auch sein, zumindest in der Schweiz, wo die Polparteien SVP, Grüne und SP im internationalen Vergleich zwar einen aggressiven Kurs verfolgen, aber klar zu den demokratischen Grundwerten stehen, im Gegensatz etwa zu Teilen der AfD und der Partei «die Linke».
Die linksintellektuelle Dominanz an den Universitäten und in den Medien – so lautet Fergusons These – hat seit dem Ende des Kalten Krieges jedoch dazu geführt, dass zwischen links und rechts ein moralischer Unterschied konstruiert wird, der zunehmend wichtiger wird als der Gegensatz demokratisch - antidemokratisch. Möglich ist das, weil die Hitler-Barbarei im Westen viel präsenter ist und über die Gleichung rechts = Nazi dazu missbraucht wird, jegliches rechte Gedankengut unter Generalverdacht zu stellen; der Begriff «links» dagegen strahlt umso heller, weil sozialistische Verbrechen an Schulen und Universitäten gerne stiefmütterlich behandelt oder als «nicht mit Hitlers Verbrechen vergleichbar» relativiert werden, trotz Dutzenden Millionen von Opfern.
Das Wort «Massenmord» etwa kommt in manchen neuen Schweizer Lehrmitteln im Zusammenhang mit Stalin nicht einmal vor. Dafür können grüne Politiker oder die «Wochenzeitung» ohne Widerspruch behaupten, Rechte würden Ausländer, Linke indes nur Autos anzünden. Das ist sicher richtig, sofern man Polizisten nicht als Menschen betrachtet und einen historischen Horizont hat, der weder über Europa noch über die letzten 20 Jahre hinausreicht. Doch auch wenn man bedenkt, dass rechter Terror in den letzten Jahren viel mehr Opfer gefordert hat und selbst wenn man Linksextreme für intelligenter hält als die glatzköpfigen Nazi-Horden, ist die gegenwärtige Doppelmoral grotesk, ja gefährlich.
Gerade die demokratische Linke müsste eigentlich wissen, dass man politische Gegner nicht leichtfertig als Demokratiefeinde diffamieren sollte. Schliesslich ist es noch nicht lange her, dass bürgerliche Subversivenjäger im Kalten Krieg alles Linke pauschal mit «verdächtig» und «von Moskau gesteuert» gleichsetzten. Terror und Extremismus hat man damit nicht aus der Welt geschafft, dafür wurde das politische Klima nachhaltig vergiftet.
Genau das droht auch heute, zumal sich manche Eiferer von heute in Sachen paranoidem Furor durchaus mit Ernst Cincera und anderen Linkenjägern von damals messen können. Beispiel Christchurch: Nachdem ein Rechtsextremer 50 Muslime ermordet hatte, verbannte die grösste neuseeländische Buchhandelskette den Bestsellerautor Jordan Peterson aus den Regalen, weil es falsch sei, «den Autor derzeit zu unterstützen», obwohl sich dieser bisher mit keiner Zeile für Gewalt oder Diktatur ausgesprochen hat. An Schweizer Universitäten versuchen selbsternannte «Antifaschisten» regelmässig und zum Teil erfolgreich, Auftritte von unliebsamen Rednerinnen wie Christine Lagarde zu verhindern. Neuerdings betätigt sich auch die Boulevardpresse als Wächterrat gegen «rechts». So hat der «Blick» kürzlich unter Berufung auf «empörte Kunden» dafür gesorgt, dass die Valora-Gruppe den Verkauf der deutschen Zeitung «Junge Freiheit» («JF») gestoppt hat. Diese sei, so verkündete das Blatt ganz stolz, «jahrelang vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet worden». Tatsächlich bewegt sich die «JF» in einem Graubereich zwischen rechts und rechtsradikal; ihre Ansichten werden jedoch genauso von der Meinungsfreiheit gedeckt wie jene der ehemaligen DDR-Postille «Junge Welt». Die bietet die Valora-Gruppe ebenfalls feil, ohne dass dies den «Blick» je gestört hätte. Dabei steht dieses Leibblatt alter Stasi-Spitzel und Linksextremisten im Gegensatz zur «JF» bis heute unter Beobachtung des deutschen Verfassungsschutzes, weil es Gewalt nicht grundsätzlich ablehnt und immer wieder mit Elogen auf die DDR-Diktatur auffällt. Zum 50. Jahrestag des Berliner Mauerbaus setzte die Redaktion folgenden Titel: «Wir sagen an dieser Stelle einfach mal: Danke».
Doch wer im Kampf «gegen rechts» auf der richtigen Seite steht, muss sich oft kaum noch kritische Fragen gefallen lassen. In Deutschland geht das so weit, dass der Staat auf Recherchen linksextremer «Antifaschisten» zurückgreift, die von gewissen Medien und linken Politikern gedankenlos beklatscht werden. Vergessen geht dabei, dass der Antifaschismus eine demokratische und eine antidemokratische Tradition hat, genau wie der Antikommunismus. Auch Stalin und Erich Mielke waren Antifaschisten, und wer ein zu eliminierender Faschist war, bestimmte die Partei, in Hunderttausenden Fällen. Auch der moderne Kampf gegen rechts geht zum Teil auf das linksextreme deutsche Sektenmilieu der 1970er Jahre zurück. Antifaschistische Gruppen leisten heute zwar wichtige und mutige Aufklärung in Sachen Rechtsextremismus, viele sind jedoch selber gewalttätig und von totalitären Phantasien beseelt. Dazu gehört es, politische Gegner und den «bürgerlichen» Staat willkürlich als «faschistisch» zu brandmarken, um Gewalt als «Notwehr» zu legitimieren. Nach diesem Prinzip mordete auch die RAF, die bis weit ins linksliberale Bürgertum Sympathien genoss. Die linksextreme Masche, Rechte pauschal zu Rechtsextremen zu machen, hat dort ebenfalls längst verfangen.
Höchste Zeit für bürgerliche Demokraten und Antifaschisten also, all den Omas, Kuschlern und Säufern zuzurufen: «Ich bin rechts, und das ist gut so.»