Der Schnappmechanismus solcher Rohrfallen gilt als saubere Methode im Kampf gegen Wühlmäuse, hier auf einem Feld eines Bauernhofs in Auw im Aargau. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Der Schnappmechanismus solcher Rohrfallen gilt als saubere Methode im Kampf gegen Wühlmäuse, hier auf einem Feld eines Bauernhofs in Auw im Aargau. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Mäuseplage: Der Kampf der Bauern gegen gefrässige Nager braucht Zeit – und ist manchmal doch vergebens

Wühlmäuse sind wieder auf dem Vormarsch. Auf einzelnen Feldern im Jura, in der Zentral- und in der Ostschweiz müssen die Landwirte mit einem Totalschaden rechnen. Was kann man dagegen tun? Unterwegs mit einer Profimauserin in Zürich.

Robin Schwarzenbach (Text), Annick Ramp (Bilder)
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Zack! Die Falle schnappt zu. Doch die Maus ist noch nicht tot. Kathrin Hirsbrunner muss nachhelfen. Sie bricht dem Nager mit einem kurzen Handgriff das Genick. «Manchmal sind sie so schnell unterwegs, dass sie erst mit dem Hinterteil steckenbleiben und nicht mit dem Kopf», sagt die 62-Jährige. Der Kadaver kommt vorerst in einen Robidog-Sack. Die rohrförmige Falle wird scharf gemacht und wieder im Boden versenkt – an der gleichen Stelle wie vorher, wo sich ein unterirdischer Gang befindet.

Profimauserin Kathrin Hirsbrunner hat ein Loch für die Falle gebohrt. Da, wo die Erde leicht nachgibt, könnte sich ein Gang befinden. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Profimauserin Kathrin Hirsbrunner hat ein Loch für die Falle gebohrt. Da, wo die Erde leicht nachgibt, könnte sich ein Gang befinden. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Den Stollen der Wühlmäuse hat Hirsbrunner zuvor ausgemacht: eine dünne Eisenstange in die Erde stecken; da, wo es leicht nach unten geht, könnte sich ein Gang befinden. Dann mit einem weiteren Werkzeug ein Loch machen und den Stollen mit einem alten Löffel inspizieren. Vielleicht ist sogar eine Abzweigung in der Nähe?

Wühlmäuse wandern

Hirsbrunner ist professionelle Mauserin – die Einzige, die diesen Job hauptberuflich macht in der Schweiz. Normalerweise ist sie auf Feldern im Einsatz, im Auftrag von Bauern. Doch an diesem Montagnachmittag im Juli arbeitet sie auf einer schmalen Grünfläche am Strassenrand zwischen Zürich Leimbach und Adliswil, unweit der Sihl.

Das Gras ist frisch geschnitten, junge Bäume und ein paar Sträucher zieren das «Verkehrsbegleitgrün», wie es bei Grün Stadt Zürich heisst, dem Auftraggeber von Hirsbrunner. Doch die Bäume sind gefährdet. Zehn der jungen Pappeln mussten dieses Jahr bereits ersetzt werden. Die Mäuse fressen ihnen die Wurzeln ab, vor allem im Winter, wenn die Nahrung knapp ist.

Hirsbrunner ist bereits zum zweiten Mal dieses Jahr hier. Im Frühling hat die Berner Oberländerin auf dem 400 Meter langen Streifen an einem Tag rund 40 Mäuse gefangen. Heute sind es erst ein halbes Dutzend. Viele der Erdhäufchen, die Wühlmäuse im Gras hinterlassen und die auf den ersten Blick kaum zu erkennen sind, stammen noch aus dem Frühjahr, als die Grünfläche noch viel dichter bevölkert war – ein Zeichen, dass Mausen etwas bewirken kann.

Hirsbrunner arbeitet seit 14 Jahren als Mauserin. Aufträge erhält die frühere Arbeitsagogin vor allem von Bauern, aber auch vom Militär, von Städten und Gemeinden und von Gartenbesitzern. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Hirsbrunner arbeitet seit 14 Jahren als Mauserin. Aufträge erhält die frühere Arbeitsagogin vor allem von Bauern, aber auch vom Militär, von Städten und Gemeinden und von Gartenbesitzern. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Doch ob die Massnahme zum Schutz der Bäume am Strassenrand auch langfristig etwas bringt, ist unsicher. In einem dicht bewachsenen Hang auf der anderen Seite des Trottoirs entdeckt Hirsbrunner weitere Häufchen. Sie weiss: Wühlmäuse wandern. Vielleicht nehmen sie den Grünstreifen und die verlassenen Gänge gegenüber in ein paar Monaten wieder in Besitz, um sich an den Wurzeln der jungen Pappeln zu laben.

Ertragseinbussen von bis zu 50 Prozent

Schäden durch Wühlmäuse sind ein Dauerthema. Die Nagetiere werden bereits nach 35 Tagen geschlechtsreif, ein Weibchen kann nach einer Tragzeit von drei Wochen um die acht Junge zur Welt bringen. Der warme Herbst 2018 führte vielerorts dazu, dass sich die Populationen um eine weitere Generation vergrösserten. Wiesen und Weiden wuchsen lange, so hatten die Tiere in den kalten Monaten mehr als genug zu fressen. Ihr täglicher Futterbedarf entspricht ungefähr dem eigenen Körpergewicht.

Auch der Hitzesommer im vergangenen Jahr scheint den Wühlmäusen in der Schweiz kaum zugesetzt zu haben, meistens handelt es sich um Schermäuse. Markante Rückgänge sind einzig zwischen Baselbiet und Bodensee auszumachen, wie aus dem Schermaus-Radar der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaus (AGFF) vom Frühjahr 2019 hervorgeht. Viele der untersuchten Felder im Mittelland weisen wachsende Populationen auf, einige seit Jahren. Auf einzelnen Parzellen im Jura, in der Zentral- und in der Ostschweiz müssen die Landwirte im schlimmsten Fall mit einem Totalschaden rechnen.

Heinrich Hebeisen vom Berufsbildungszentrum Natur und Ernährung in Hohenrain im Kanton Luzern beziffert die Ertragseinbussen betroffener Bauern auf bis zu 50 Prozent. Die Futterqualität nehme ab, da Wühlmäuse auch Mais, Getreide und Raps befielen und Unkraut sich an der Stelle der abgefressenen Pflanzen breitmachen könne. Auch Obst- und Gemüsekulturen seien gefährdet. Hinzukomme ein grösserer Verschleiss bei landwirtschaftlichen Maschinen.

Meistens ist es schon zu spät

Einer, der die Folgen einer Mäuseplage aus eigener Erfahrung kennt, ist Dominik Bühlmann, Meisterlandwirt in Maschwanden im Kanton Zürich. Eine seiner Wiesen wird von der AGFF jedes Jahr durchmessen. Im März kamen die Wissenschafter auf fast 250 Mäuse pro Hektare – doppelt so viele wie 2018. Auf einzelnen Parzellen betragen seine Ausfälle 60 Prozent und mehr. «Bei Regen verdrecken die Erdhaufen das Gras, wenn ich es schneide», sagt Bühlmann. «Das haben die Kühe nicht gern beim Fressen.»

Rasant wachsende Population in Maschwanden

Mäuse pro Hektare auf dem gleichen Feld von Landwirt Dominik Bühlmann

Bühlmann versucht zu reagieren. Auf einigen Feldern hat er die Wiesen schneller als normal gepflügt und Weizen oder Mais angesät, um den Wühlmäusen ihren bevorzugten Untergrund zu entziehen. Zudem geht er selber auf Mäusejagd. Im April hat er 100 Mäuse gefangen mit demselben Fallentyp, den auch Hirsbrunner verwendet. Doch das kostet Zeit. Und es klappt nicht immer. «Mäuse sind nicht blöd», sagt Bühlmann. «Sie werfen manchmal Erde in die Falle im Gang, weil sie ihnen verdächtig vorkommt.»

Die Tiere zu vergasen mit einem benzinbetriebenen Mäusevernichter, wäre eine weitere Möglichkeit, wie Bühlmann erläutert. Doch die Methode ist nicht die sauberste, und man sieht nicht, wie viele Mäuse man tatsächlich erwischt hat.

Im Frühling hat Hirsbrunner am Stadtrand von Zürich rund 40 Mäuse gefangen. Der Einsatz in Auw ist ebenfalls ergiebig. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Im Frühling hat Hirsbrunner am Stadtrand von Zürich rund 40 Mäuse gefangen. Der Einsatz in Auw ist ebenfalls ergiebig. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Ausserdem kann es sein, dass die Bekämpfungsmassnahmen auf den eigenen Feldern hinfällig werden – wenn der Bauer auf dem Land nebenan nichts gegen die gefrässigen Schädlinge unternimmt. «Viele Landwirte erkennen das Problem nicht», sagt Bühlmann. Laut der AGFF sind 40 Mäuse pro Hektare knapp noch zu kontrollieren. «Doch wenn wir den Bauern den Bestand auf ihrem Land mitteilen, ist es meist schon zu spät», sagt Rafael Gago, Versuchstechniker der AGFF, die beim Bundesforschungsinstitut Agroscope angesiedelt ist.

«Ich habe Respekt vor den Tieren, auch wenn ich sie töten muss.»

Kathrin Hirsbrunner, Profi-Mauserin

Die Wissenschaft geht zwar davon aus, dass Mäusepopulationen nach starken Wachstumsphasen wie bei Dominik Bühlmann in Maschwanden wieder zusammenbrechen, da ihnen allmählich das Futter ausgeht. Prognosen, auf die sich Bauern verlassen können, sind jedoch schwierig, wie Gago auf Anfrage bestätigt. Niederschläge und Trockenheit spielen ebenfalls eine Rolle. Bühlmann sagt: «Ich rechne nicht mit einem plötzlichen Kollaps – ich weiss, wie schnell die Mäuse wiederkommen.»

Am Stadtrand von Zürich sucht Kathrin Hirsbrunner den nächsten Grünstreifen ab. Es ist eine Arbeit, die nie ganz fertig ist. Wären wir besser dran ohne Mäuse? «Nein», antwortet die Profimauserin. «Ich habe Respekt vor den Tieren, auch wenn ich sie töten muss.» Wühlmäuse haben auch eine Funktion in der Natur. Sie sind selber Futter, für Füchse, Wiesel oder Bussarde zum Beispiel, und bilden so ein wichtiges Glied in der Nahrungskette. Ihre Gänge durchlüften den Boden, und sie verbreiten Pflanzensamen.

Wenn sie nur nicht in Massen des Bauern Felder bevölkern würden.

Fähnchen bezeichnen die Stellen mit scharfen Fallen in der Erde. Mausen ist eine einsame Tätigkeit, die Zeit braucht. Hirsbrunner jedoch sagt: «Ich bin gerne an der frischen Luft.» (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Fähnchen bezeichnen die Stellen mit scharfen Fallen in der Erde. Mausen ist eine einsame Tätigkeit, die Zeit braucht. Hirsbrunner jedoch sagt: «Ich bin gerne an der frischen Luft.» (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Mehr von Robin Schwarzenbach (RSc)

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