«Tod den Reichen» – in den vergangenen Monaten sind Vermögende ins Visier der protestierenden Gelbwesten geraten. Hassbotschaft bei den Champs-Elysées, März 2019. (Bild: Benoit Tessier / Reuters)

«Tod den Reichen» – in den vergangenen Monaten sind Vermögende ins Visier der protestierenden Gelbwesten geraten. Hassbotschaft bei den Champs-Elysées, März 2019. (Bild: Benoit Tessier / Reuters)

Woher kommt die Wut auf den Wohlstand?

Wer Vermögen besitzt, muss ein Verbrechen begangen haben: Diese Sichtweise hält sich seit Jahrhunderten hartnäckig. Auf die Reichen zu spucken, ist zum Volkssport geworden – das könnte die modernen Staaten dereinst teuer zu stehen kommen.

Pascal Bruckner
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Lust auf ein kleines Experiment? Kommen Sie einmal mit Ihrem schönen Auto nach Frankreich. Sind Sie leichtfertig genug, den Wagen draussen zu parkieren und über Nacht dort stehenzulassen, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass Sie ihn am nächsten Morgen zerkratzt wiederfinden, mit zerbrochenen Scheiben oder aufgestochenen Reifen.

Im Land der Sansculotten ist es nicht empfohlen, einen hohen Lebensstandard zur Schau zu stellen. Und gerade in diesen Zeiten der Gelbwesten ist man gut beraten, einen einfachen Stil zu demonstrieren und den Schein der peinlichen Sparsamkeit zu pflegen. Ja, man muss heute bescheiden wirken, um keine Missgunst zu wecken. Woher kommt diese Wut gegen sichtbaren Wohlstand und Reichtum? Indem man näher hinschaut und der Frage nachgeht, kann man Aufschlussreiches über das Kuddelmuddel unserer europäischen Gegenwart lernen, auch jenseits von Frankreich.

Hier speist sich die Abneigung gegen das Vermögen aus drei spezifischen Quellen: dem Erbe des Katholizismus, des Feudalismus und des revolutionären Egalitarismus.

Kein Sinn für Arbeit

Mit der Kirche ist es einerseits einfach: Bekanntlich verkündeten schon die Evangelien, dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Und Papst Franziskus wird folglich auch nicht müde, das Geld zu verdammen, es zum «Misthaufen des Teufels» zu reden und als Spaltpilz zu brandmarken, der die Menschen gegeneinander aufbringe. Doch während er das Goldene Kalb verurteilt, hortet der Vatikan andererseits auch beispiellose Schätze und hat mit seiner Bank sogar schon Schwarzgeld gewaschen. Aber Widersprüchlichkeit ist heute überall anzutreffen – der Vatikan scheint sich an seiner eigenen jedenfalls nicht wirklich zu stören.

Der zweite Strang rührt von der französischen Aristokratie her. Diese hatte für Handel und harte Arbeit immer nur Verachtung übrig gehabt und sich vorzugsweise auf Jagden und in Kriegen verausgabt – im Unterschied etwa zum englischen Adel, der stark unternehmerisch auftrat. Was schliesslich die Revolution von 1789 angeht, so ist sie in gewissen Belangen als Vorwegnahme der Umbrüche von 1917 zu sehen: Sie wollte alle Privilegien abschaffen, und zwar jene der Geburt genauso wie jene des Besitzstandes. Jacques Roux zum Beispiel, der rote Pfarrer der Revolution, sah in den Reichen eine Teufelsbrut, die noch schlimmer war als der klassische Adel, und forderte die Guillotine für die Spekulanten und «Vampire», die das Volk aussaugten.

Diese Ansichten wirken nach. Die ganze europäische Literatur des 19. Jahrhunderts ist voll von rachsüchtigen Deklamationen gegen angebliche Raubvögel und Plutokraten. Sie sollten die marxistischen und anarchistischen Theorien nähren und den Hass auf den Kapitalismus befeuern – und dieser Hass ist heute nicht weniger virulent als im 19. Jahrhundert.

Wer hat, soll geben

Doch warum genau sind die Reichen zu hassen? Balzac hat einer Figur seines Romans «Vater Goriot» einen vielsagenden Satz in den Mund gelegt: «Das Geheimnis der grossen Vermögen, deren Entstehung unbekannt ist, ist irgendein Verbrechen, das man vergessen hat, weil es geschickt begangen wurde.» Da das Geld etwas grundsätzlich Verdammtes ist, kann es in dieser Perspektive auch kein Vermögen geben, das ohne Lüge, Betrug oder obskure Machenschaften zustande gekommen ist. Das bedeutet: In den Augen ihrer Kritiker nutzen die Reichen nicht nur arme Menschen aus, sie brechen auch Gesetze oder stellen sie direkt in ihre Dienste. Demnach wären Reiche immer auch Kriminelle, wenn nicht im strafrechtlichen, so doch gewiss im moralischen Sinn.

Derartige Analysen sind von missgünstigem Neid durchzogen – und dieser vernebelt bis heute die Sicht auf die Dinge. Das Ressentiment hat gravierende Folgen. Die radikale Linke wie die radikale Rechte versucht eifrig, die Vermögenden durch Abgaben um ihre wohlverdienten Vorteile zu bringen. Aus der Warte jener, die sich benachteiligt fühlen, sind Steuern Bussgelder, welche die Reichen für ihre Vergehen zu bezahlen haben. Lauthals fordern so denn zum Beispiel die französischen Gelbwesten, dass die Vermögenssteuer, die Präsident Macron eben erst abgeschafft hat, subito wieder eingeführt werde. Wer hat, soll geben.

Für die Protestierenden spielt es offenbar keine Rolle, dass in Frankreich drei Viertel der Einkommenssteuern von jenen Bürgern stammen, die am meisten verdienen. Es sind die Begüterten, die das steuerliche Gerüst der Nation stabil halten, und wenn man sie fortjagt, verarmt das ganze Land: Die Reichen durch strafende Steuern in die Flucht zu schlagen, bedeutet unweigerlich, eine Nation in den Ruin zu treiben. Eine intelligente Sozialpolitik muss darum immer zum Ziel haben, den Steuerdruck auf die höchsten Einkommen in ein sinnvolles Verhältnis zu ihrer ökonomischen Wirkkraft zu setzen.

Applaus für die Armut

Bevor man auf die Vermögenden spuckt, sollte man also überlegen, welche Dienste sie einem Land erweisen. Nehmen wir ein Beispiel aus der jüngsten Zeit: Direkt nach dem Brand von Notre-Dame haben Bernard Arnault und François Pinault ostentativ ihre Grosszügigkeit demonstriert und dreihundert Millionen Euro gespendet. Ohne diese Geste wäre der Spendenfluss für den Wiederaufbau der Kathedrale nie so in Gang gekommen, dass er schliesslich fast eine Milliarde Euro erreichte. Es gibt schmutziges Geld, ja, aber umgekehrt eben auch sauberes, und dieses verdient es nicht nur, anerkannt zu werden. Man darf es sogar beklatschen. Denn Eigentum ist nicht Diebstahl, sondern Wohltat – auch für die anderen.

Applaus erhält in unseren Gesellschaften aber nicht der Reichtum, sondern die Armut. Wir verherrlichen und glorifizieren die einfachen oder gar notleidenden Existenzen. Arme Menschen sind unsere Meister – jedenfalls den Worten nach. Im Showbusiness zum Beispiel, in der Welt des Theaters, des Kinos oder in der Intellektuellenszene brüsten sich alle gern mit einem Vater, der ein kleiner Arbeiter war, oder einer Mutter, die als bescheidene Hausfrau wirkte.

Solche Geschichten über die eigene Herkunft funktionieren wie umgekehrte Adelstitel: Sie erhöhen jenen, der sie erzählt, weil er sich extra kleinmacht. Natürlich kommt das nicht immer gut an. Als sich etwa kürzlich die Schauspielerinnen Juliette Binoche und Emmanuelle Béart medienwirksam zu den Gelbwesten bekannten, wurden sie von diesen zum Teufel, also: zurück in ihr privilegiertes Milieu, gejagt. Das war zu viel der Anbiederung.

Hinter den Glanz gucken

Wenn man hasserfüllt auf die Reichen blickt, übersieht man freilich nicht nur die Beiträge, die sie zum Funktionieren des Gemeinwesens leisten. Auch Arbeit, Aufwand und Anstrengung sind nie je ein Thema. Man nimmt immer nur die äusseren Zeichen des Geldes wahr: das schöne Haus, das grosse Auto, den glitzernden Schmuck, die massgeschneiderten Kleider. Dass dahinter eine Leistung steht, dass die Besitzenden Opfer erbringen mussten, um den jetzt sichtbaren Zustand zu erlangen, wird nicht besprochen. Vielleicht liegt hierin zuletzt auch das grösste Problem: Durch das Beschimpfen der Reichen wird auch der Erfolg delegitimiert – und damit die Frucht fleissigen Arbeitens und genialen Denkens.

Selbstverständlich ist Reichtum zunächst ein Spektakel, das auf die Augen wirkt – und auch Gelüste weckt. Man braucht sich nur einmal die Szenen anzuschauen, die sich im Sommer täglich in europäischen Badeorten abspielen. Legt da irgendeine Jacht an und schlürft darauf ein steinreicher Mann in Shorts entspannt seinen Drink – dann scharen sich sofort die Touristen um ihn, drängeln sich gegenseitig weg und verschlingen den Reichen mit ihren Blicken.

Nun könnte man solchen Darbietungen mit ganz unterschiedlichen Haltungen begegnen. Manche mögen Bewunderung empfinden und sich eine vergleichbar luxuriöse und scheinbar sorgenfreie Existenz erträumen. Man kann mit Wut reagieren und es skandalös finden, dass solcher Überfluss noch möglich ist. Auch Gleichgültigkeit wäre denkbar: Man kann den Leuten ihre Spielzeuge gönnen und sich selber andere Erfolgsmassstäbe setzen. In der Realität ist wohl nicht zu vermeiden, dass sichtbarer Reichtum die Menschen zu Vergleichen anregt. Die aber sind nur dann produktiv, wenn sie nicht in Groll münden, sondern sich in Eifer verwandeln.

Das ist denn auch das Beste, was der Blick auf die Reichen bewirken könnte: In einer Gesellschaft, die Leistung mit Erfolg honorierte, würde der vermögende Mensch alle anderen dazu anspornen, selber tätig und innovativ zu werden – anstatt in Neid und Ressentiment zu versinken. Noch ist diese Einsicht aber nicht sehr weit verbreitet. Ehrgeiz und Stolz schlummern, zumal in Frankreich, vor sich hin. Solange sich in diesen Bereichen nichts regt und stattdessen die Wut täglich aufs Neue aufersteht, muss man raten, auf Experimente zu verzichten – und unser Land bis auf weiteres mit dem Zug zu bereisen.

Der Schriftsteller und Philosoph Pascal Bruckner lebt in Paris. Zuletzt ist von ihm erschienen: «Un an et un jour» (Grasset, 2018). – Aus dem Französischen übersetzt von cmd.