Der chinesische Staat behält in Xinjiang die muslimischen Minderheiten immer im Auge. Eine Uigurin geht an einer Grossleinwand vorbei, auf welcher der Partei- und Staatschef Xi Jinping zu sehen ist. (Bild: Thomas Peter / Reuters)

Der chinesische Staat behält in Xinjiang die muslimischen Minderheiten immer im Auge. Eine Uigurin geht an einer Grossleinwand vorbei, auf welcher der Partei- und Staatschef Xi Jinping zu sehen ist. (Bild: Thomas Peter / Reuters)

Herzlich willkommen in Xinjiang – Her mit Ihren Kontaktdaten, Terminen und SMS!

Chinesische Behörden installieren auf den Handys von ausländischen Besuchern in Xinjiang eine App, die persönliche Daten abruft. Für die lokale Bevölkerung ist die Kontrolle noch viel schärfer.

Patrick Zoll
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Dass China in der Provinz Xinjiang, wo die Mehrheit der muslimischen Uiguren lebt, einen Überwachungsstaat orwellscher Dimensionen aufgezogen hat, war schon länger bekannt. Kameras mit Gesichtserkennung verfolgen die lokale Bevölkerung auf Schritt und Tritt, auf ihren Handys müssen die Angehörigen von Minderheiten Zensur-Apps installieren, und mindestens eine Million von ihnen ist in Umerziehungslagern eingesperrt.

Doch auch ausländische Besucher, die auf dem Landweg von Kirgistan nach Xinjiang einreisen, werden ausgespäht. Eine gemeinsame Recherche der «Süddeutschen Zeitung», der «New York Times» und weiterer Medien zeigt, dass an den Grenzübergängen die Kontaktdaten, Kalender, Textnachrichten und Anruflisten von den Handys der Reisenden kopiert werden. Dies scheint sehr systematisch zu geschehen und trifft kirgisische Lastwagenfahrer genauso wie westliche Touristen.

Passwort eingeben

Bei Handys mit dem Betriebssystem Android installiert der Grenzbeamte dazu ein kleines Programm, das den Namen Fengcai trägt. Grob übersetzt heisst das «sammelnde Honigbiene». Mit dem Fleiss einer Biene saugt das Programm dann die gewünschten Daten ab und überträgt sie per Wifi auf einen Server in der Grenzstation. Das Programm muss allerdings physisch auf dem Gerät installiert werden – wer die Grenze passieren will, muss den Beamten sein Gerät überreichen und das Passwort eingeben.

Die recherchierenden Journalisten wurden von einem ausländischen Touristen auf die Geschichte aufmerksam gemacht, bei dem die Chinesen vergessen hatten, die App nach getaner Arbeit zu deinstallieren. Sie liessen daraufhin das Programm von Spezialisten untersuchen, die aufzeigen konnten, wonach genau gesucht wird.

Aus dem Code konnten die Experten herauslesen, dass die App zuerst einmal persönliche Daten absaugt. Der chinesische Staat kennt danach alle Einträge im Kontaktverzeichnis und Termine in der Agenda. Ebenso ist er im Bilde darüber, wann man mit wem wie lange telefoniert hat. Oder was man wem per SMS geschrieben hat. Zusätzlich wird überprüft, welche Apps auf dem Handy installiert sind. Wo es ihnen interessant erscheint, kopieren sich die Behörden dann gleich den Benutzernamen der entsprechenden App. Unklar ist, ob die erbeuteten Daten an eine zentrale Datenbank weitergeleitet und mit deren Einträgen abgeglichen werden.

Suche nach verdächtigen Inhalten

Daneben sucht die App nach verdächtigen Inhalten und gleicht diese mit einer Liste mit mehr als 73 000 Einträgen ab. Zum Teil handelt es sich um islamistische Inhalte, doch auch einfache Koran-Suren gehören dazu oder ein Bild des Dalai Lama. Eine abschliessende Bewertung der Datenbank sei allerdings schwierig, schreibt die «Süddeutsche Zeitung», denn man habe nur einen Bruchteil der 73 000 Einträge untersuchen können.

Es scheint, dass die Android-App einzig auf die Anwendung im Grenzposten ausgelegt ist. Offenbar sammelt und übermittelt sie anschliessend keine weiteren Daten per Mobilfunknetz.

Auch iPhones mit dem Betriebssystem iOs werden offenbar durchsucht. Diese werden laut Augenzeugenberichten allerdings per Kabel an einen Computer in der Grenzstation angeschlossen. Es wurden bisher keine speziellen Programme auf iPhones gefunden. Darum ist in diesem Fall nicht bekannt, was im Detail abgerufen wird.

Da Android und iOs weltweit auf 98 Prozent der Handys installiert sind, betrifft die elektronische Durchsuchung praktisch jeden Besucher, der von Kirgistan nach Xinjiang einreist. Bis heute gibt es keine Berichte über ähnliche Massnahmen an den Grenzübergängen Xinjiangs mit anderen Ländern oder den Provinzgrenzen mit dem restlichen China.

Elektronische Überwachung der Bevölkerung

Auch bei der Überwachung der lokalen Bevölkerung kommen Apps zum Einsatz. Im Mai zeigte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, wie Polizisten in Xinjiang per App auf eine umfassende Datenbank zugreifen können. Die Informationen stammen von Tausenden von Überwachungskameras mit Gesichtserkennung, den unzähligen Checkpoints, wo die Bewohner ihre Identitätskarte vorweisen müssen, und manuellen Eingaben in die App.

Polizisten erhalten von dem Programm Aufträge, wen sie überprüfen und wozu befragen sollen. Die Beamten werden aktiviert, wenn das System in den riesigen Datenmengen «verdächtige Verhaltensmuster» entdeckt. Dazu zählen etwa eine Auslandreise oder auch blosser Kontakt mit Personen im Ausland. Auch wer länger von seinem Wohnort abwesend ist, macht sich verdächtig.

Jederzeit können die Behörden Mobiltelefone durchsuchen. Bei physischen Kontrollen wird überprüft, ob die Bewohnerinnen und Bewohner eine weitere App installiert haben, die jegliche Internetaktivität protokolliert und zensuriert. Daneben suchen die Behörden gezielt nach Applikationen, die schwer überwacht werden können. Dazu gehören etwa Whatsapp, das verschlüsselte Kommunikation ermöglicht, oder VPN-Anwendungen, mit denen die chinesische Internetzensur umgangen werden kann. Es gibt Augenzeugenberichte, nach denen Personen in Xinjiang im Umerziehungslager gelandet sind, weil auf ihrem Handy Whatsapp gefunden worden war.

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