Weil einige der Kernpatente des Roboters Da Vinci mittlerweile abgelaufen sind, wittert die Konkurrenz Morgenluft. Im Bild seziert der Roboter Da Vinci eine Rose. (Bild: Imago)

Weil einige der Kernpatente des Roboters Da Vinci mittlerweile abgelaufen sind, wittert die Konkurrenz Morgenluft. Im Bild seziert der Roboter Da Vinci eine Rose. (Bild: Imago)

Roboter drängen ins Labor und in den Operationssaal

Grosskonzerne wie ABB und Kleinfirmen wie Distalmotion entwickeln Geräte, die die Abläufe im Gesundheitswesen revolutionieren sollen. Ein Selbstläufer sind diese Initiativen jedoch nicht.

Giorgio V. Müller
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Im Gesundheitswesen ist Handarbeit nach wie vor Trumpf. Ob in der Pflege, bei einer Operation oder im Labor bei der Analyse: Noch immer arbeiten die meisten Pfleger, Chirurgen und Laboranten vorwiegend manuell. Mit Blick auf die scheinbar unaufhaltsame Kostensteigerung im Gesundheitswesen eröffnet dieser Umstand ein riesiges Potenzial für Automatisierungslösungen. Sie sollen die herkömmlichen, arbeitsintensiven Abläufe in den medizinischen Zentren günstiger und im besten Fall auch besser machen. Dabei werden zunehmend Roboter eingesetzt, nicht zuletzt auch solche von Schweizer Herstellern.

Teurer Da Vinci

Schon seit einigen Jahren haben Roboter Einzug in den Spitälern gefunden und das nicht nur für eher belanglose Tätigkeiten, sondern auch für Interventionen am Patienten. Prominentester Vertreter dieser Gattung ist Da Vinci, ein vor rund 20 Jahren entwickeltes roboterassistiertes Operationssystem, das vor allem bei Krebserkrankungen der Prostata oder der Gebärmutter eingesetzt wird. Für den Hersteller dieses Operationsroboters, die in Kalifornien ansässige Intuitive Surgical, ist dies ein äusserst lukratives Geschäft. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen mit einem Umsatz von 3,7 Mrd. $ einen stolzen Gewinn von 1,1 Mrd. $.

Von den durchschnittlich gut 1 Mio. $ teuren Geräten sind weltweit bereits mehr als 5000 Stück im Einsatz, der Grossteil davon in den USA (knapp 3300). In der Schweiz gibt es 33 Da Vincis, die im Schnitt 1,8 Mio. Fr. gekostet haben und meist bei spezialisierten Urologen stehen. Aus wirtschaftlichen Gründen haben diese den Ansporn, wenn immer möglich mit dem Roboter zu operieren. Der hohe Preis kann sich Intuitive nur leisten, weil die Firma ihr System von Anfang an mit mehr als 1000 Patenten breit abgesichert hat; das hielt die Konkurrenz fern. Für das Gesundheitswesen bedeutete dies aber Zusatzkosten – ausser dem Anschaffungspreis kommen nochmals rund 1 Mio. Fr. für die Instrumente und jedes Jahr etwa 100 000 Fr. für den Unterhalt hinzu – und entsprechend kostspieligere Behandlungen: Jüngst zeigte eine Untersuchung durch das Swiss Medical Board (SMB), dass die Entfernung einer Prostata mit einem Da Vinci rund 4000 Fr. teurer ist als ein minimalinvasiver, laparoskopischer Eingriff ohne Roboterhilfe. Laut dem Bundesamt für Gesundheit kommt in der Schweiz mittlerweile bei rund 60% der Prostataoperationen ein Da Vinci zum Einsatz. Bei Gebärmutterentfernungen, bei denen erst rund 5% der Eingriffe mit einem Da Vinci gemacht werden, ist ein Eingriff sogar um 4300 bis 5500 Fr. teurer. Zudem dauern voll roboterisierte Operationen länger.

Schonzeit für Da Vinci abgelaufen

Bedenklich daran ist aber, dass die zusätzlichen Kosten kaum oder gar nicht zu einer medizinisch besseren Versorgung geführt haben, so das ernüchternde Fazit der SMB-Untersuchung. Weil einige der Kernpatente des Da Vinci mittlerweile abgelaufen sind, wittert nun die Konkurrenz Morgenluft und will die Dominanz von Intuitive brechen. Ein wegweisender Schritt könnte die Übernahme von Auris Surgical Robotics gewesen sein. Das Unternehmen von Fredric Moll, der auch Intuitive gegründet hatte, wurde im April für 3,4 Mrd. $ von Ethicon, einer Tochtergesellschaft von Johnson & Johnson, übernommen. Aber auch andere Grosskonzerne wie Metronic werden den Marktführer wohl bald unter Druck setzen. Mengenmässig hat sich das roboterassistierte Operieren bisher noch nicht durchgesetzt. Weltweit wurde im vergangenen Jahr rund 1 Mio. Mal mit einem Da Vinci operiert. Das entspricht lediglich einem Zehntel der minimalinvasiven Operationen mit der heute gebräuchlichen «Schlüssellochtechnik».

Die Kritik an den hohen Kosten der Vollroboter und der Wegfall wichtiger Patente beim Da Vinci öffnen das Fenster für neue Anbieter und neue Verfahren. Diese Gelegenheit hat Distalmotion wahrgenommen, ein Spin-off des Robotics-Lab der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Die Forscher haben einen zweiarmigen Roboter (Dexter) entwickelt, der den Chirurgen bei der Laparoskopie unterstützt. Der Roboter kommt nur bei den Operationsschritten zum Zug, bei denen er Vorteile hat, zum Beispiel beim Nähen und Schneiden von Gewebe. Beim Abklemmen von Gefässen gehe es jedoch nach wie vor einfacher und schneller von Hand, erklärt Michael Friedrich. Der 38-jährige Berner ist 2014 beim Startup-Unternehmen eingestiegen, zwei Jahre später wurden die Gründer ausgekauft, und seither treibt er als CEO von Distalmotion die Marktzulassung von Dexter voran.

Nächstes Projekt des Serienunternehmers

Im Gegensatz zum Da Vinci, der vom Chirurgen von einem separaten Raum aus bedient wird, sitzt beim Dexter der Chirurg im Operationssaal an der Konsole und kann innerhalb von 20 Sekunden zwischen dem Roboter und seinen von Hand bedienten Operationsgeräten hin und her wechseln. Hergestellt wird das Gerät von der Schweizer Firma Jossi in Frauenfeld. Derzeit laufen Tests an Leichen, die Lancierung ist für Ende Jahr geplant, damit die Zulassung in Europa noch knapp unter dem alten Regulierungssystem (MDD) erfolgen kann, bei dem es keine klinischen Studien braucht. Den deutschsprachigen Raum und Frankreich will Distalmotion direkt beliefern, zuerst die grossen Universitätskliniken, wo viel operiert wird. «Dexter ist eine Erweiterung der Laparoskopie; den Da Vinci wollen wir nicht frontal konkurrenzieren», so skizziert Friedrich die Strategie. Für 2020 werde eine hohe zweistellige Zahl von Robotern angepeilt. Die derzeitigen Produktionskapazitäten reichten ungefähr für gut 300 Chirurgen.

Der Jungunternehmer hat sich sein Studium in Mikroelektronik an der EPFL mit einem Vergleichsportal (Berne Byte Bears) finanziert, das er während seiner Gymnasiumszeit aufgebaut hatte und 2001 an den Vergleichsdienst Comparis hatte verkaufen können («mein erster Exit»). Danach gründete und leitete er Aïmago, ebenfalls ein EPFL-Spin-off, das 2014 für 12 Mio. $ an Novadaq veräussert wurde. Für Novadaq arbeitete Matthias Reif, bei Distalmotion ist dieser nun für das Marketing zuständig. Gesamthaft sind rund 40 Personen beim Unternehmen beschäftigt. Bisher wurde es von Schweizer Investoren finanziert. In einer ersten Runde investierten sie 20 Mio. Fr., in einer zweiten, grösseren Finanzierungsrunde sind erstmals auch ausländische Kapitalgeber dabei. Grösster Aktionär ist René Lanz (40%), ein branchenfremder Unternehmer aus Bern.

Das Besondere an der Jungfirma ist ihr Geschäftsmodell. Die Roboter werden nicht verkauft, sondern als Gesamtdienstleistung vermietet. Ein Eingriff kostet so rund 1200 Fr. bis 2000 Fr. Ein Vertrag läuft über mindestens drei Jahre und mindestens 80 Eingriffe pro Jahr. Je nach Nutzung betragen die Gesamtinvestitionen für ein Spital 750 000 bis 1,5 Mio. Fr. Darin seien die Kosten für die Wartung, die Instrumente und Software-Updates enthalten. Pro Eingriff braucht es drei Instrumente, die zwecks Abrechnung nur einmal verwendet werden.

ABB entdeckt Gesundheitswesen

Auch der Schweizer Industriekonzern ABB will sich von der zunehmenden Roboterisierung im Gesundheitswesen ein Stück abschneiden. ABB geht davon aus, dass es bis 2025 weltweit gegen 60 000 Roboter für nichtoperative Anwendungen geben wird. Bei den Industrierobotern gehört das Unternehmen zu den grössten Anbietern. Diesen Mittwoch kündigte es an, seine Roboter auch in medizinischen Labors und Krankenhäusern einzusetzen. Dazu wird ein 20-köpfiges Team von ABB Robotics am Texas Medical Center (TMC) in Houston (US-Gliedstaat Texas) in den TMC Innovations Campus integriert. Das TMC gilt als «grösste medizinische Stadt der Welt», in der jedes Jahr 10 Millionen Patienten von über 106 000 Mitarbeitern behandelt werden. Der Health Care Hub von ABB in Texas diene als Labor für die Automatisierung und als Trainingsanlage für Roboter und solle Startup-Firmen, aber auch anderen Spitälern und Medtech-Firmen offenstehen, erklärt Sami Atiya, Präsident des Geschäftsbereichs Robotik & Fertigungsautomation. In einem ersten Schritt komme der kollaborative Roboter Yumi, der keinen Schutzkäfig braucht, sondern Seite an Seite mit einer Person arbeiten kann, zum Zuge.

Die Serviceroboter sollen im Gesundheitswesen manuelle Verrichtungen übernehmen. Die in der Laborautomation tätigen Medtech-Firmen will ABB nicht konkurrenzieren, sie seien vielmehr Kunden ihrer in der Industrieautomation tätigen Tochter B&R. In anderen Branchen wie dem Automobilbau und der Nahrungsmittelindustrie sind Roboter seit langem im Einsatz. In der Division Robotik & Fertigungsautomation (Umsatz 2018: 3,6 Mrd. $), der kleinsten der vier Sparten von ABB, hat die Robotik den grösseren Anteil. Zurzeit leidet dieses Geschäft unter der zyklischen Schwäche des weltweiten Automobilgeschäfts. Die operative Ebita-Marge ging 2018 auf 14,6% (i. V. 16,0%) zurück und fiel im ersten Quartal 2019 auf 11,2% – höchste Zeit, dass ABB seine Roboter in weitere Branchen bringt. Laut Atiya könnten im Gesundheitswesen in ein bis zwei Jahren erste konkrete Lösungen von ABB auf dem Markt sein.

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