Stararchitekt Rem Koolhaas plant einen spektakulären Neubau der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo. Visualisierung. (Bild: Albright-Knox Art Gallery)

Stararchitekt Rem Koolhaas plant einen spektakulären Neubau der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo. Visualisierung. (Bild: Albright-Knox Art Gallery)

Nach dem Abriss kommt der Aufbau: Kunst und Architektur sollen der Rust-Belt-City Buffalo zu neuer Blüte verhelfen

Manchmal macht in den USA die Provinz mobil: Die Kleinstadt Buffalo zieht neuerdings Medizin-Startups an, und Stararchitekt Rem Koolhaas plant hier einen aufsehenerregenden Neubau. Ein Besuch vor Ort.

Christoph Gisiger, Buffalo
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Der Niedergang der amerikanischen Schwerindustrie hat viele Facetten. Eine der weniger bekannten, aber erschütterndsten ist die Implosion Buffalos. Einst eines der wohlhabendsten Wirtschaftszentren der Vereinigten Staaten, hat die Stadt unweit der Niagarafälle jahrzehntelang unter dem Abbau von Arbeitsplätzen, Bevölkerungsschwund und steigender Kriminalität gelitten. Doch jetzt spielt sich ein überraschendes Revival ab. Die Aufbruchsstimmung manifestiert sich in einem ambitionierten Museumsprojekt, mit dem sich die ikonische Rust-Belt-City als internationale Kunstdestination etablieren will.

«Wir setzen ein Zeichen für Buffalos Renaissance im 21. Jahrhundert. Das Projekt wird nicht nur das Kulturleben der Stadt bereichern, sondern auch ihre ökonomische Entwicklung beschleunigen», sagt Janne Sirén, Direktor der Albright-Knox Art Gallery. Unter Insidern gilt die Sammlung wegen der herausragenden Werke moderner und zeitgenössischer Kunst als Geheimtipp. Ein 160 Millionen Dollar teurer Umbau soll sie nun zum Anziehungspunkt für ein breites Publikum machen. «Das neue Erscheinungsbild, kombiniert mit der Weltklasse unserer Kollektion, wird Besucher von überallher in Staunen versetzen», meint Sirén, während er die Baupläne in seinem Sitzungszimmer erläutert.

Glorreiche Geschichte

Etwas in die Tage gekommen, blickt die Kunststätte wie Buffalo auf eine schillernde Vergangenheit zurück. Der Aufstieg der Stadt am Eriesee beginnt 1825 mit der Eröffnung des Erie-Kanals. Die neue Route erleichtert den Getreidetransport vom Mittleren Westen an die US-Ostküste, was die Region zu einer der geschäftigsten Handelsdrehscheiben Amerikas macht und die Basis zum industriellen Fertigungsstandort legt. Die Bevölkerung nimmt explosionsartig zu, Stararchitekten wie Frank Lloyd Wright, Louis Sullivan und H. H. Richardson formen Buffalo zum Kunstwerk. Vom immensen Wohlstand zeugt bis heute die «Millionaires’ Row» an der Delaware Avenue, wo sich eine Prachtvilla im Beaux-Arts-Stil an die nächste reiht.

Umso härter ist das Schicksal, als der Abschwung einsetzt. Wie in Detroit, Cleveland, Pittsburgh und anderen Industriestandorten im Gebiet der Grossen Seen gehen ab den sechziger Jahren mehr und mehr Jobs verloren. Fabriken schliessen, die Produktion wandert in Billiglohnländer ab. Die Verbrechensrate steigt weit über den Landesdurchschnitt. In der Stadt, die zu Glanzzeiten wegen ihrer frühen Adaption der Elektrizität als «The City of Light» bewundert worden ist, wird es düster. Die Einwohnerzahl schrumpft auf 260 000 Personen – so viele wie 1890. Über Generationen von wirtschaftlichem Wachstum ausgeschlossen, fehlt selbst das Geld, die altersschwachen Gebäude abzureissen.

Heute erweist sich das als Chance. Niedrige Lebenskosten ziehen junge Leute an, Kreativität und Unternehmergeist leben neu auf. Speziell in der Medizintechnologie und im Startup-Bereich entstehen wieder Jobs. Architektonische Schmuckstücke gewinnen ihren Charm zurück: Die von H. H. Richardson konzipierte psychiatrische Anstalt etwa, die mit ihren zwei Türmen an ein Schloss aus dem alten England erinnert, ist zum mondänen Hotel renoviert. Im Anbau des eleganten Darwin D. Martin House von Frank Lloyd Wright finden Yogakurse statt. Trendige Restaurants offerieren kulinarische Vielfalt, Industrieruinen wie der Larkin-Distrikt entwickeln sich zu gefragten Wohnquartieren. Sogar die monolithischen Getreidesilos am Buffalo River dienen Kunstschaffenden als Arbeits- und Ausstellungsraum.

Filigraner Neubau

Das Erweiterungsprojekt der Albright-Knox Art Gallery soll die Stadt auch international rehabilitieren. Den entscheidenden Impuls gegeben hat der US-Finanzinvestor Jeffrey Gundlach mit einer Spende von über 50 Millionen Dollar. «Wenn ich dieses Geld einem grossen Museum in New York oder einer Eliteuniversität wie Dartmouth gebe, ist das wie ein Tropfen im Meer. Hier in Buffalo hingegen kann ich etwas bewegen, um die Lebensqualität zu verbessern und die Attraktivität des Standorts zu fördern», meint der Milliardär bei einem Gespräch an seinem Firmensitz in Los Angeles. In Buffalo aufgewachsen, sei er von der Mutter oft ins Museum «gezerrt» worden. Heute ist er selber ein profilierter Sammler. «Wir werden der Welt zu verstehen geben, dass es in Buffalo überhaupt ein Kunstmuseum gibt», sagt er.

Das neoklassische Gebäude im Stil einer Palastanlage thront seit 1905 am Rand einer weitflächigen Grünanlage des legendären Landschaftsarchitekten Frederick Olmsted, der zuvor den Central Park in New York konzipiert hatte. Anders als bei vergleichbaren Projekten wie beispielsweise dem Guggenheim-Museum in Bilbao wurde die Erweiterung der Albright-Knox Art Gallery nicht für ein fertiges Design ausgeschrieben. Ziel war es, im Dialog mit der öffentlichen Verwaltung, der Anwohnerschaft und anderen Interessengruppen einen Ort der Begegnung im Einklang mit der Umgebung zu schaffen. Die Wahl fiel dabei auf das Architekturbüro OMA von Rem Koolhaas.

Ländliche Identität vor hundert Jahren, in einer Fotografie aus Kirilow, Russland, ca. 1909. Die Menschen haben ihren Ort und zeigen mit Stolz ihre Kostüme und Produkte.
13 Bilder
Die grössten Gebäude stehen nicht in Metropolen, sondern auf dem Land. Und meist sind sie nicht für Menschen, sondern für Roboter und Maschinen gebaut.
Rem Koolhaas glaubt, dass die Architekten kaum Theorien über nichtstädtische Territorien entwickelt haben. Dafür gibt es umso mehr Magazine wie «Landlust», wie er in einer Vorlesung 2014 illustrierte.
Das Cover seines 1978 erschienenen Buches «Delirious New York: Ein retroaktives Manifest für Manhattan» schmückt eine Malerei der OMA-Mitbegründerin Madelon Vriesendorp. Keiner schaute in den 1970er Jahren auf die Städte, also nahm Rem Koolhaas sie unter die Lupe. Vierzig Jahre später meint er, dass sich die Aufmerksamkeit fast gänzlich dorthin verschoben habe, und geht wieder in die intellektuelle Opposition.
Die 1992 fertiggestellte Kunsthalle Rotterdam ist eines der frühen öffentlichen Gebäude, die OMA international bekannt machten. Die teilweise kruden Details wurde von den einen kritisiert, von den anderen für ihre Direktheit bewundert. Nicht die Perfektion zählt hier, sondern die räumliche Dynamik.
Als Rem Koolhaas 2000 den Pritzker-Preis bekam, lobte die Jury die Bewegung durch Ausstellungsräume, Restaurant und Auditorium der Kunsthalle Rotterdam.
Das «Maison à Bordeaux» ist eines von zwei spektakulären Privathäusern, die OMA in Frankreich realisieren konnte. Es wurde 1998 für ein Ehepaar gebaut, das sich in seinem eigenen Haus wie im Gefängnis fühlte: Nach einem Autounfall war der Mann an den Rollstuhl gebunden.
Einblicke in das «Maison à Bordeaux» von OMA: Die drei Bereiche stehen wie drei Häuser übereinander. Über einer Art Höhle steht die Hauptetage für die Eltern und die Kinder, in der Mitte gibt es einen Glaspavillon, eine Seite des Aufzugs besteht aus einer Bibliothek.
Die niederländische Botschaft in Berlin stellte OMA 2003 fertig. Darin erprobte die Firma, unterdessen auf neun Partner angewachsen, wie über Versätze der Geschossplatten im Gebäudeinnern mehrfache Raumbezüge erzeugt werden können.
2014 kuratierte er die Biennale für Architektur in Venedig. Unter dem Titel «Fundamentals» versammelte er die Grundelemente der Architektur wie Aufzüge, Treppen oder hier Kamine.
Die Fondazione Prada in Mailand wurde 2015 eröffnet. Im gesamten Gebäude, auch im vergoldeten Turm, wird in einer ins Extrem getriebenen Atmosphäre die zuweilen provokative Kunstsammlung gezeigt.
Über zehn Jahre dauerte die Realisierung der Sendezentrale des staatlichen Fernsehens China Central Television (CCTV), die Koolhaas 2012 für die Volksrepublik fertigstellte: Die 237 Meter hohen Doppeltürme, die durch einen Querriegel verbunden sind und eine gefaltete Schlaufe bilden, sind von fast jedem Ort in der Stadt Peking sichtbar.
Provokation in alle Richtungen: «Kill the Skyscraper», titelte Rem Koolhaas ein Kapitel in seinem Ausstellungskatalog «Content» von 2003. Auf dem Cover ragt im Hintergrund eine Projektzeichnung für das CCTV-Gebäude in die Höhe, das OMA in Peking baute.

Ländliche Identität vor hundert Jahren, in einer Fotografie aus Kirilow, Russland, ca. 1909. Die Menschen haben ihren Ort und zeigen mit Stolz ihre Kostüme und Produkte.

Mikhaylovich Prokudin-Gorsky / Library Of Congress

Um die Ausstellungsfläche zu verdoppeln, ist ein filigraner Neubau mit transparenten, gegen oben angeschrägten Fassaden geplant. Ein serpentinenartiger Korridor verbindet ihn mit dem historischen Hauptgebäude und dem ästhetischen Anbau aus dem Jahr 1962. Eine kühne Installation aus triangulären Glas- und Spiegelflächen wird künftig den Innenhof überdecken. Die Bauarbeiten starten im Spätherbst und sollen 2021 fertig sein. In dieser Zeit ist der Museumsbetrieb weitgehend geschlossen.

Eine überwältigende Sammlung

«Eine spektakuläre Architektur kann in Sachen Imagegewinn und Symbolwirkung viel auslösen, wie sich am Beispiel Guggenheim Bilbao gezeigt hat», meint dazu Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler. Er verfolgt das Projekt in Buffalo aufmerksam, zumal in Riehen ebenfalls an einer Erweiterung gearbeitet wird. «Für den nachhaltigen Erfolg eines Museums ist aber nicht nur die ‹Hardware› entscheidend. Viel wichtiger ist die ‹Software›, sprich das Programm», fügt er hinzu.

Als eine der ältesten Kunstinstitutionen Amerikas verfügt die Albright-Knox Art Gallery diesbezüglich über beste Voraussetzungen. Das Highlight ist die Kollektion auf dem Gebiet des amerikanischen abstrakten Expressionismus, die Monumentalwerke wie Jackson Pollocks «Convergence», Mark Rothkos «Orange and Yellow» und Willem de Koonings «Gotham News» umfasst. Sie entstammen der Hinterlassenschaft von Seymour Knox II., dem Spross eines Kaufhaus-Tycoons. Er pflegte in der Nachkriegszeit engen Kontakt zur Kulturszene New Yorks und erstand die meisten Werke, lange bevor der betreffende Künstler zum Superstar avancierte. Wie es heisst, war die Albright-Knox Art Gallery das erste Museum, das 1963 mit «100 Cans» ein Bild von Andy Warhol erwarb.

Bewundern lassen sich ebenso Meister der Moderne wie Gauguin, Van Gogh, Matisse, Chagall und Modigliani. Ein Grossteil dieser Gemälde gehörte zur Sammlung von Anson Goodyear, Sohn des Industriemagnaten Charles Goodyear und späterer Gründer des Museums of Modern Art in New York. Auch er zeichnete sich durch einen avantgardistischen Geschmack aus. So setzte er schon 1926 den Kauf des Gemäldes «La Toilette» von Picasso durch, das zuletzt als Leihgabe in einer Ausstellung zum Frühwerk des Malers in der Fondation Beyeler zu sehen war.

«In Buffalo kaufte man bereits Picasso, bevor die meisten Museen in Europa sein bahnbrechendes Talent erkannten», sagt Sam Keller. Die Albright-Knox Art Gallery demonstriere, dass es in Amerika nicht nur in den grössten Metropolen wie New York, Chicago oder Los Angeles bedeutende Sammlungen gebe, sondern auch in weniger bekannten Städten wie Buffalo. «Als ich die Kollektion zum ersten Mal sah, war ich vollkommen überwältigt», erinnert er sich.