Kommentar

Soll Deutschland die Laufzeit der AKW verlängern, um schneller aus der Kohleverstromung auszusteigen?

Als einziges Industrieland will Deutschland quasi zeitgleich aus der Atomenergie und der Kohleverstromung aussteigen. Das kommt die Konsumenten angesichts der höchsten Strompreise in Europa teuer zu stehen. Eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten könnte aus einem Dilemma helfen, meint nun VW-Chef Diess.

Michael Rasch, Frankfurt
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VW-Chef Herbert Diess schlägt eine Verlängerung der Laufzeit der KKW vor. (Photo: Sean Gallup / Getty Images)

VW-Chef Herbert Diess schlägt eine Verlängerung der Laufzeit der KKW vor. (Photo: Sean Gallup / Getty Images)

Der Konzernchef von Volkswagen hat Ende vergangener Woche einen interessanten Vorschlag gemacht. Wenn uns der Klimaschutz wichtig sei, sollten die Kernkraftwerke länger laufen, sagte Herbert Diess im Interview mit einem Fachblatt des Berliner «Tagesspiegels». Deutschland hätte zuerst aus der Kohle und dann aus der Kernkraft aussteigen sollen, meinte Diess weiter. Natürlich redet der Volkswagen-Chef pro domo. Der Konzern setzt nämlich inzwischen voll auf das Elektroauto, und dessen CO2-Bilanz ist erheblich besser, wenn der Strom zum Laden der Batterien von Kernkraft- und nicht von Kohlekraftwerken stammt.

Dennoch trifft Diess einen wunden Punkt. Deutschland will mit seiner Harakiri-Energiepolitik als einziges Industrieland der Welt mehr oder weniger zeitgleich sowohl aus der Atomenergie als auch aus der Kohleverstromung aussteigen. Das letzte rund halbe Dutzend Kernkraftwerke soll Ende 2022 vom Netz gehen, weil Kanzlerin Angela Merkel nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 quasi in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eine 180-Grad-Wende in der Energiepolitik vollzog und seitdem schnellstmöglich aus der Atomenergie aussteigen will. Aufgrund des Klimawandels und der eigenen Unfähigkeit, die selbst gesetzten CO2-Ziele zu erreichen, will die Regierung nun auch noch aus der Kohleverstromung schrittweise bis zum Jahr 2038 aussteigen. Zugleich plant Berlin Milliarden Euro an Strukturhilfen für die Betroffenen Kohleregionen bereitzustellen. Weltweit sind parallel zu den Vorgängen in Deutschland rund 1000 neue Kohlekraftwerke im Bau oder in Planung.

Wie es um die Energiesicherheit in Deutschland bestellt ist, scheint längst zweitrangig zu sein. Im Zweifel kann man (Atom-)Strom aus anderen europäischen Ländern hinzukaufen. Arme wie reiche Verbraucher müssen für die kopflose Energiepolitik büssen, denn Deutschland hat die höchsten Strompreise in Europa. Sie liegen gemessen in Cent pro Kilowattstunde um 50% über dem europäischen Durchschnitt. Eine deutliche Verlängerung der Laufzeiten der verbliebenen sicheren Atomkraftwerke in Deutschland könnte daher nicht nur dazu beitragen, die Strompreise unter Kontrolle zu bringen, sondern auch beim schnelleren Kohleausstieg helfen, was wiederum für das Erreichen der Klimaziele wichtig wäre.

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