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Die "Identitäre Bewegung" hetzt im Hipstergewand

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Alina von Rauheneck beugt sich vor und küsst das heruntergelassene Visier einer Ritterrüstung. „Make love & defend Europe“ steht quer über das Instagram-Bild geschrieben. Die Hashtags: #identitär #identitaire #europe #defend #europa #kiss #knight #love #malta #valetta #grandmasterspalace #identitariangirls #europeangirl.

Alina von Rauheneck, 25, Goldschmiedin und Germanistik-Studentin aus Wien, heißt eigentlich Alina Wychera. Sie ist eines der Postergirls der völkischen Subkultur namens „Identitäre Bewegung“ (IB). Sie nennen sich „Ibster“ – identitäre Hipster. Seit Mitte August werden die Identitären vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Ein paar Landesämter und der österreichische Staatsschutz schauen schon genauer hin, seit die Bewegung mit mehreren spektakulären Aktionen Schlagzeilen machten:

Im Juni 2015 erklimmen sie einen Balkon des Willy-Brandt-Hauses, der SPD-Bundeszentrale, und des Hamburger Büros und entrollen ein Banner mit dem Aufdruck: „Stoppt den großen Austausch!“ Anfang August dieses Jahres mauern sie die Parteizentrale der österreichischen Grünen zu. Ende August klettern mehrere "Identitäre "auf das Brandenburger Tor, ihr Banner sagt: „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft.“ Viele Passanten rufen: „Nazis raus.“ Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nennt die IBler: „Demokratiefeinde.“ 

Der jüngste Angriff: Am 12. September stören „Ibster“ im Berliner Maxim-Gorki-Theater eine Podiumsdiskussion mit Margot Käßmann und Jakob Augstein. Der Spiegel-Publizist twittert danach, es sei erschreckend gewesen, „plötzlich so einer organisierten Einheit gegenüberzustehen“, und fühlt sich an 1930 erinnert. 

Martin Sellner, Kopf der österreichischen IB, re­tweetet den linken Intellektuellen sofort. Man kann ihn sich dabei wohl als zufriedenen Menschen vor­stellen. Wieder ist seine mediale Guerilla erfolgreich. Wieder hat ihnen ausgerechnet der politische Gegner billige Aufmerksamkeit verschafft, weil er sich vor ihren gepflegt auftretenden „Bodentruppen“ (Zitat Augstein) fast schon lustvoll gruselte.

Die Kombination aus bürgerlicher Hipness und völkischer Ideologie überrascht und alarmiert natürliche Feinde von links, die grölende Skinheads gewöhnt sind. Und so unterfüttert die IB ihre Schock-Aktionen auch nicht mit Nazi-Sprüchen, sondern mit einer akademischen Sprache. Und einer Social-Media-Propaganda, die neue Medien mit altem Denken füllt. Alina von Rauheneck und die anderen hübschen Instagrammerinnen vermischen zwei Welten – und schaffen dadurch etwas möglicherweise sehr Mächtiges.

Die Faszination dieses scheinbaren Widerspruchs scheint die IB verstanden zu haben. Sie sendet auf YouTube (4000 Abonnenten), Facebook (39 500 Fans) und Twitter (4500 Follower), einzelne Gruppen drehen aufwendige Image-Videos mit dramatischer Musik, und man hat mit dem Track „Europa“ des identitären MCs Komplott sogar eine eigene Rap-Hymne: „Europa weint, Europa schreit nach dem Ende, der Wende. Es ist an der Zeit, zum Verteidigen des Eigenen.“ Auch das Symbol der IB mischt Pop in die Propaganda: der griechische Buchstabe Lambda. Der war angeblich auf den Schildern der Spartaner angebracht, als sie 480 vor Christus gegen die Perser kämpften. Der Laie und vermutlich auch die IB kennen die Geschichte aus der blutigen Comicverfilmung „300“, in der tapfere Spartaner Europa gegen die feindlichen Horden verteidigen. Die IB, ursprünglich in Frankreich als „Génération Identitaire“ gegründet und dort schon weitaus größer, soll in Deutschland immerhin 400 Mitglieder haben.

Jedes Foto sagt: Wir sehen gut aus. Wir könnten welche von euch sein.

Davon sind, so schätzt Sellner, „höchstens zwanzig Prozent Frauen“, denn es sei nicht ganz einfach, sie für die Sache zu gewinnen, gibt er zu. Denn „der Druck auf Patrioten ist hoch“. Man werde psychisch wie physisch angegangen, „angespuckt, angerempelt, als ‚Nazi‘ geoutet. Man muss immer alert sein.“ Das schrecke Frauen ab. Zudem stünden Frauen gerne „auf der moralisch richtigen Seite“, und die IBler würden wegen ihrer Einwanderungskritik oft als „Unmenschen“ dargestellt. Doch aus Sorge vor einer überfremdeten Gesellschaft, in der sie als Frau beeinträchtigt sind, kämen immer mehr Frauen zur IB. „Neulich hatten wir eine aus den Medien und eine Yoga-Lehrerin hier beim Stammtisch“, sagt er, „die politisieren sich als emanzipierte urbane Frauen, ohne ein klassisches Rollenbild zu haben.“ Er hätte gerne mehr vorzeigbare Aktivistinnen, die zeigen, dass die „Dämonisierung durch die Mainstream-Medien“ nicht stimmt.

Alina Wychera ist dafür umso überzeugter. „Ich engagiere mich in der IB, weil ich meine Heimat liebe und möchte, dass auch meine Kinder und Enkelkinder in einem sicheren Europa aufwachsen können“, sagt sie. „Die Vielfalt der Völker und Kulturen ist ein einzigartiger Schatz, der erhalten werden muss.“ Heimat, Kultur, Volk. Das sind ihre Vokabeln. Das Reizwort Rasse nimmt niemand in den Mund. Eben weil sie für Gleichberechtigung sei, sagt Alina Wychera, sei ein „islamisiertes Europa“ ihre Horrorvision. Im Gegensatz zu ihrer politischen Härte bedient sie auf ihren Bildern das Kindchenschema: große Augen, rote Backen, Zöpfe. Sie kümmert sich um ihr Baby und pocht auf ihr Recht, auch einfach Hausfrau sein zu dürfen. Auf den Bildern: weiche Farben, Schmollmund, Natur.

Melanie Schmitz hingegen, eine andere sehr präsente IBlerin, scheint eher die unabhängige, aggressive Weiblichkeit der politisch strammen Aktivistin zu vertreten. Schmitz nennt sich auf Instagram „mimiforgeronne“ und gehört zu einem IB-Ableger namens „Kontrakultur Halle“. Deren Hashtag: #wir kriegeneuchalle. Wenn sie, 23 Jahre alt, rote Haare, weiße Haut, lange Beine, mit einem Baseballschläger für Instagram posiert, dann ist alle doppeldeutige Inszenierung Teil der Botschaft. Ähnlich wie bei Alina Wychera ist ihr Online-Avatar halb Modeblog, halb Propaganda-Kanal. Schmitz posiert im strengen Outfit der Damenschaft „Atrytone Assindia zu Essen“, der weiblichen Entsprechung zur Burschenschaft, aber auch in Hot Pants und Motörhead-Shirt. Beide schaffen Bilderwelten, die gut deutsch sind, aber cool und damit anschlussfähig bleiben. The medium is the message. Jedes Foto sagt: Wir sehen gut aus. Wir könnten welche von euch sein. Aber wir haben etwas ganz anderes vor.

 

Bei alldem sieht Melanie Schmitz ironischerweise aus wie Alina Levshin in „Kriegerin“, dem preis­gekrönten Film über einen jungen weiblichen Neonazi. Der gleiche Pony, die gleiche Lust an der Provokation, die gleiche Härte im Gesicht. Auf ihren Fotos wickelt sie sich um ihren Freund, den vorbestraften Neonazi Mario Alexander Müller, der inzwischen ebenfalls bei der IB aktiv ist. Zusammen verteilten sie schon Pfefferspray als Waffe gegen Übergriffe durch Migranten. Prompt „outete“ sie die Antifa auf einer Webseite als "identitär". Seitdem hat sie mehrere Tumblr, die noch privatere Bilder zeigten, abgeschaltet.

 

Den jungen, fotogenen Frauen der Bewegung ist Sellner „sehr dankbar“ für ihr öffentliches Engagement, das ihnen „viel Hass einbringt“, wie er weiß. Aber die Mission ist wichtiger. „Es gibt immer mehr Frauen, die den Mut haben, für die Verteidigung Europas aufzustehen, aktiv zu werden und Gesicht zu zeigen“, schreibt Alina Wychera im Magazin „Compact“, einer knalligen Mischung aus völkischer Propaganda, Elitehass und Verschwörungstheorien. Das Bild vom dumpfen, kalten Neonazi, der „Ausländer klatschen“ geht und zu viel Bier trinkt, muss weg. Weibliche Vorbilder müssen her. Schmitz, Wychera und die anderen „Ibster“ tragen Skinny Jeans, fotografieren sich im Gegenlicht. Auf ihrem YouTube-Kanal haucht Melanie Schmitz, nur mit einer akustischen Gitarre bewaffnet, Emo-Balladen von Boy bis zu The Smiths. Und auch ihre Studienwahl passt: Schmitz sattelte auf Medienwissenschaften um, nachdem sie fast Lehrerin geworden wäre. Das Praktikum an einer Schule hatte sie schon absolviert.

 

Mit ihrer Social-Media-Offensive organisieren die völkischen Mädels nichts weniger als die Verteidigung der „Festung Europa“ gegen den „großen Austausch“. Die Bevölkerung des ganzen Kontinents soll durch Muslime ersetzt werden, so laute angeblich der Plan unserer Politiker. Was nach B-Movie-Plot klingt, meinen die "Identitären"ernst: die „Heimat“ als bedrohter Schutzraum für ein Volk, das nur hier und nur in Reinheit prosperieren kann. Die schädliche Vermischung, die letztlich zu einem „Einheitsbrei“ führe statt zu Vielfalt in Einfalt. Und ein kranker, rot-grün-versiffter Mainstream, der all das nicht erkennen will. „Nur die dümmsten Kälber zer­stören ihre Heimat selber“, singt Schmitz und fordert eine „Remi­gration“. Das alles in ihrem „AfD-Song“, den sie auch auf einer Wahlkampfveranstaltung der Partei in Schwerin sang. In wenigen Tagen sammelte ihre Antwort auf Jennifer Rostocks Anti-AfD-Lied fast 400000 Views. 

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Zwischen Partei und Guerilla- Bewegung gibt es viele inhalt­liche und personelle Berührungspunkte, besonders zur „Jungen Alternative“ (JA), der Jugendorganisation der AfD. Deren Vorsitzender, Sven Tritschler, grenzt sich aber entschieden ab: „Es gibt Überschneidungen, aber auch einen generellen Unvereinbarkeitsbeschluss. IBler dürfen bei uns nicht Mitglied werden.“ Auch seine Parteichefin, Frauke Petry, ist gegen eine offizielle Zusammenarbeit mit den „Ibstern“. Dennoch sind einige AfDler gleichzeitig bei der IB, nach Informationen der „taz“ zum Beispiel Jannik Brämer, Schatzmeister der Jungen Alternative und Kandidat der AfD in Charlottenburg-Wilmersdorf. Er marschierte, zusammen mit den JA-Vorstandsmit­gliedern Joel Bußmann und The-Hao Ha, im Juni mit der IB durch Berlin. Schmitz’ gesungene Wahlkampfhilfe in Mecklenburg-Vorpommern nahm man bei der großen Partei jedenfalls gerne an. Denn auch die AfD kann junge Frauen gut gebrauchen, gilt sie vielen trotz einer Parteivorsitzenden als Altherrenpartei.

 

Doch mit einer vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe möchten junge AfDler wie Tritschler zumindest offiziell nichts zu tun haben. „Wir sehen bei der 'Identitären Bewegung' Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“, sagte Hans-Georg Maaßen, Chef des Verfassungsschutzes. „So werden Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten in extremistischer Weise diffamiert.“ Auch deshalb versucht die IB nach Kräften, sich von jeder kleinsten Spur eines rechts­extremistischen, also demokratie­feindlichen Images rein zu halten. So forderte Melanie Schmitz vor einem mög­lichen Interview in einer Einverständniserklärung, dass wir sie oder die Identitäre Bewegung weder „rechtsradikal“, „rechtsex­tre­mistisch“ noch „neonazistisch“ nennen. Dass eine freie Presse sich so einen Eingriff niemals vorschreiben lassen würde, leuchtete ihr nicht ein. „Wenn ihr Informa­tionen von uns wollt, dann musst du auch ein Angebot machen können“, schrieb sie. Pressefreiheit? Wohl kein identitärer Wert. 

 

Und auch soziale Medien mögen sie nur, solange sie ihnen nutzen. Wenn eine Autorin wie die Österreicherin Stefanie Sargnagel einer Alina Wychera auf Facebook romantische Fantasien mit „schönen Offizieren“ aus der Nazizeit unterstellt, melden IBler ihr Profil bei Facebook und erwirken eine drei­tägige Sperrung. An Austausch scheint ihnen nur gelegen zu sein, wenn er ihnen nutzt. Alina Wychera beantwortet Fragen immerhin schriftlich, so wie eine andere, anonyme IBlerin aus Bayern, die von Merkel fordert, sie solle „Kanzleramt gegen Küche tauschen“, und den „Affentanz um das ganze Gender-Zeug“ nicht versteht.

So spricht nur Martin Sellner mit uns. Der Student aus Wien trat schon bei der AfD auf, schreibt für die rechte Zeitschrift „Sezession“, pflegt Kontakte zum Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek, das als Think-Tank der Neuen Rechten gilt. Auch Melanie Schmitz und Alina Wychera waren schon auf Kubitscheks Rittergut in Schnellroda, wo erdacht wird, was Deutschland retten soll. Dem Magazin „Compact“ sagte Sellner: „Mit einer spektakulären Aktion erreichen wir auf einen Schlag Millionen.“ Darin sieht er „gewaltfreien Widerstand in der Tradition von Mahatma Ghandi und Martin Luther King“. In Deutschland solle der in einer „Maidanisierung“ nach Vorbild der Proteste in der Ukraine 2013/2014 münden. Denn ohne eine „Besetzung öffentlicher Räume durch die Opposition“ sei der Umschwung nicht zu schaffen. 

 

Und ohne eine Besetzung von popkulturellen Codes ist die deutsche Jugend heute nicht mehr zu er­reichen. Wychera, Schmitz und die anderen wissen vermutlich genau, was sie da harmlos bis cool aus­sehen lässt: ein auf das unbelastete Stichwort „Kultur“ umcodierter Rassismus, ein erzkonservatives Frauenbild im Hipster-Gewand, eine autoritäre Ideologie im Mantel des friedlichen Protestes. Dass identitärer Rap, Instagram-Filter und Punk-Cover genau das tun, was ihre Ideologie als schädlich ansieht, nämlich kulturell zu mischen, scheint niemanden zu stören. Zur Verteidigung des Eigenen scheint jedes Mittel recht. Auch das Fremde.

 

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