Wenn Weisse Afrika retten wollen

Eine amerikanische Highschool-Absolventin will in Uganda unterernährten Kindern helfen. Nun ist sie wegen des Todes von zwei Säuglingen angeklagt. Das Beispiel zeigt: Gut gemeint ist oft nicht gut genug. «Hilfseinsätze» von Freiwilligen können sogar schaden.

Fabian Urech
Drucken

Als die 18-jährige Amerikanerin Renee Bach zum ersten Mal nach Uganda reiste, wusste sie nichts über das ostafrikanische Land. Sie wusste nur, dass sie helfen wollte, am liebsten in einem Waisenhaus. Sie habe Kinder gemocht und sei überzeugt gewesen, dass sie «der Herr dorthin rief», sagte die Highschool-Absolventin der Lokalzeitung ihrer Heimatstadt in Virginia.

Doch es sollte nicht bei dem zehnmonatigen Freiwilligeneinsatz bleiben. Sie habe bald gemerkt, wie gross die Not sei und wie sehr sie das Land liebe. Bach gründete im Jahr 2010 ihre eigene NGO, Serving His Children. Anfangs unterstützte die christliche Organisation in der Kleinstadt Jinja bedürftige Familien mit kostenlosen Mahlzeiten. Später leistete sie – trotz fehlender Bewilligung – auch medizinische Hilfe und versorgte Kinder mit schwerer Mangelernährung. «Der Herr zeigte uns, dass wir helfen sollten», erklärte Bach vor einigen Jahren.

Das «Bauchgefühl» als Ratgeber

Diese Mission nahm sich die junge Amerikanerin offenbar so sehr zu Herzen, dass sie bei der Betreuung der oft schwer mangelernährten Kinder bald auch selbst Hand anlegte. Gemäss Medienberichten gab sie Medikamente aus, legte Infusionen und führte Bluttransfusionen durch. Im Jahr 2011 notierte Bach in einen mittlerweile gelöschten Blogbeitrag: «Ich habe Temperatur und Herzschlag gemessen, eine Infusion begonnen, den Blutzucker überprüft, auf Malaria getestet.»

Das Problem: Bach verfügt über keinerlei medizinische Ausbildung. Sie habe sich, erzählte ein ehemaliger Mitarbeiter, auf einen tropenmedizinischen Ratgeber («Where There Is No Doctor») sowie auf ihr Bauchgefühl verlassen. Gott würde sie wissen lassen, was sie für die Kinder tun müsse, habe sie geglaubt.

Mehrere Jahre lang blieb Bachs hochstaplerisches Wirken unerkannt. Nun aber haben zwei Mütter in Uganda Klage gegen die Amerikanerin eingereicht. Sie machen sie für den Tod ihrer Kinder verantwortlich, die in Bachs Organisation betreut wurden. In der Anklageschrift wird der heute 35-Jährigen vorgeworfen, medizinische Behandlungen in über hundert Fällen selbst durchgeführt und sich als Ärztin ausgegeben zu haben.

Bach wies gegenüber amerikanischen Medien die Vorwürfe zurück, gab aber zu, Krankenpflegerinnen bei ihrer Arbeit unterstützt zu haben. Ihr Anwalt sprach von «Reputationsterrorismus». Im Januar soll das ugandische Gericht ein Urteil fällen.

Debatte über «white saviors»

Der Fall hat in den USA eine mediale Debatte ausgelöst über ein Phänomen, das der nigerianische Schriftsteller Teju Cole vor einigen Jahren als «Weisse-Retter-Industrie» bezeichnete. Gemeint ist das gerade unter jungen, weissen und finanziell privilegierten Menschen verbreitete Bedürfnis, im fernen Afrika «etwas zu verändern». Mit guten Absichten, aber ohne spezifische Qualifikationen im Gepäck, reisen jährlich Tausende von Freiwilligen auf den Kontinent, um in Schulen, Waisenhäusern oder bei Naturschutzprojekten während einiger Wochen oder Monate «zu helfen». Viele tun dies laut Cole in der Überzeugung, dass «die Probleme der Welt allein mit Enthusiasmus gelöst werden können».

Die Geschichte von Renee Bach erinnert daran, dass die Realität ungleich komplexer ist. Tobias Denskus, ein Experte für Entwicklungskommunikation an der Universität Malmö, hat den Fall der jungen Amerikanerin eng verfolgt. Für ihn ist Bach ein Extrembeispiel, das stark mit der fehlenden Selbstreflexion in christlichen Missionarskreisen der USA zusammenhängt.

Gleichwohl werfe der Fall ein Schlaglicht auf andere freiwillige «Hilfseinsätze» in Entwicklungsländern, die sich auch in Europa grosser Beliebtheit erfreuen. Das Grundmotiv, das viele dieser sogenannten «weissen Retter» («white saviors») antreibe, sei im Wesentlichen das gleiche wie bei Bach: «Es ist die Annahme, dass dort nichts ist und nichts funktioniert. Und dass also gilt: Egal, was ich mache, es ist besser als nichts.»

Wie zahlreiche andere Entwicklungsexperten ist Denskus überzeugt, dass diese Art von vermeintlicher «Entwicklungshilfe» oft mehr schadet als nützt. Man müsse die Frage, was junge, unqualifizierte Freiwillige in einem fremden Land innert weniger Wochen zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können, ehrlich beantworten: «In den meisten Fällen sehr wenig.»

Den verbreiteten Glauben, in Afrika mit einfachen Mitteln und ohne Vorkenntnisse helfen zu können, führt Denskus auch auf ein verzerrtes Bild zurück: «Viele Medien und Hilfsorganisationen zeigen ein klischiertes, negatives Abziehbild des Kontinents, das um Jahrzehnte veraltet ist.» Afrikanerinnen und Afrikaner würden dabei oft als dringend Hilfsbedürftige dargestellt, die ausserstande seien, ihre eigenen Probleme zu lösen. In diesem Verständnis des Kontinents, schreibt der Journalist Alex Perry, verkämen die Menschen in Afrika zu «eindimensionalen Objekten, die darauf warten, dass freundliche Ausländer sie retten oder ihre Lage verbessern».

Widerstand in Afrika

Der hilflose Afrikaner auf der einen Seite, der strahlende weisse Retter auf der anderen: Gegen dieses Bild formiert sich längst auch in afrikanischen Staaten Widerstand. Bestes Beispiel dafür ist die Online-Kampagne «No White Saviors», die von der Uganderin Olivia Alaso und der Amerikanerin Kelsey Nielsen angeführt wird. Die beiden Frauen waren – in unterschiedlichen Rollen – früher selbst in einem Hilfswerk tätig. Heute kämpfen sie für eine Veränderung in der Missionars- und Entwicklungszusammenarbeit. Ihre Kernbotschaft: «Gute Absichten allein reichen nicht.»

Die Überzeugung, Probleme auf der anderen Seite der Welt bewältigen zu können, obwohl einem diese zu Hause niemals anvertraut würden, sei typisch für die «white saviors», schreibt die Organisation. Schädliche Hilfe dürfe nicht mit dem guten Willen entschuldigt werden. Um die Helfer und deren emotionale Befriedigung dürfe es nicht gehen. «Afrika ist kein Spielplatz, um sich selbst zu finden.»

Auch Teju Cole glaubt, dass es bei diesen kurzen «Hilfseinsätzen» kaum je um die Bedürftigen geht. «Es geht um eine grosse emotionale Erfahrung, durch die die eigenen Privilegien bestätigt werden.» Afrika biete, so schreibt der Autor, einen Raum, «auf den man bequem sein weisses Ego projizieren kann».

Das Geschäft mit dem Helfersyndrom

In vielen Ländern Europas ist diese Kritik ausserhalb von Fachkreisen noch kaum angekommen. Freiwilligeneinsätze in Entwicklungsländern erfreuen sich grosser Beliebtheit. Der sogenannte Voluntourismus, eine Kombination aus kurzzeitiger Freiwilligenarbeit und Erlebnisreise, hat sich in den vergangenen Jahren gar zu einem wachsenden Trend entwickelt.

Verschiedene kommerzielle Reisebüros und Anbieter von Sprachreisen haben entsprechende Freiwilligeneinsätze, die üblicherweise zwischen zwei Wochen und drei Monaten dauern, in ihr Angebot aufgenommen. Weil die Volontäre für ihre Einsätze meist einen nicht unerheblichen Betrag bezahlen, ist das ein lukrativer Geschäftszweig. Allein in Deutschland sollen jährlich bis zu 25 000 Personen im Rahmen solcher Freiwilligeneinsätze in Entwicklungsländer reisen.

Viele klassische Entwicklungsorganisationen betrachten diesen Trend mit Sorge. «Die freiwilligen Kurzeinsätze von Unqualifizierten haben mit professioneller Entwicklungszusammenarbeit wenig zu tun», sagt Fernanda Gurzeler von Unité, dem Schweizer Verband für Personelle Entwicklungszusammenarbeit. Zur nachhaltigen Entwicklung vor Ort trügen sie in den wenigsten Fällen bei. Zudem seien sie für die Freiwilligen nicht selten frustrierend. «Es kann schon vorkommen, dass man eine Wand streicht, die vor einigen Wochen bereits von den letzten unqualifizierten Volontären gestrichen wurde.»

Gewisse Angebote seien zudem grundsätzlich zu hinterfragen, sagt Gurzeler. Zum Beispiel entspreche die Kinderbetreuung durch Volontäre kaum einem Bedürfnis der Entwicklungszusammenarbeit. Für diese Aktivität gebe es am Einsatzort qualifizierte Einheimische. «In der Schweiz würden wir eine Person aus einem anderen Land ohne spezifische Qualifikationen auch nicht für ein paar Wochen in einer Kita einsetzen.»

Gemäss einer Studie verschiedener Hilfswerke aus dem Jahr 2018 ist aber just die Kinderbetreuung ein Hauptbestandteil vieler Voluntourismus-Projekte. Von 50 analysierten Angeboten im deutschsprachigen Raum umfassten über 40 eine Zusammenarbeit mit Kindern. Eine Kinderschutzstrategie oder spezifische Kinderschutzmassnahmen konnten die meisten Programme nicht vorweisen. Hinzu kommt, dass die Eignung und die Motivation der Volontäre oft kaum überprüft werden. Einen Lebenslauf oder ein Motivationsschreiben müssen sie bei den wenigsten Anbietern einreichen, Bewerbungsgespräche finden praktisch nie statt.

Australien erlässt Voluntourismus-Verbot

Der Schluss liegt nahe, dass es sich kommerzielle Anbieter zunutze machen, dass viele Standards, die in der professionellen Entwicklungszusammenarbeit längst Courant normal sind, sich im Voluntourismus noch kaum etabliert haben.

Besonders in den Fokus gerückt sind in diesem Zusammenhang kurze Freiwilligeneinsätze in angeblichen Waisenhäusern. Weil Voluntourismus-Angebote in solchen Heimen besonders beliebt waren, ist ihre Anzahl in gewissen Ländern Afrikas und Asiens in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Mit den Bedürfnissen der Betroffenen hatte das aber in den meisten Fällen wenig zu tun. Vielmehr haben die Betreiber gemerkt, dass sich mit dem Betrieb solcher Institutionen gutes Geld verdienen lässt. Und dass kaum einer fragt, ob es sich bei den Kindern tatsächlich um Waisen handelt. Untersuchungen in Ländern wie Kambodscha, Liberia und Sri Lanka zeigten, dass über 80 Prozent der Kinder in dortigen Waisenhäusern noch Eltern hatten. Diese hatten sie dorthin gebracht, weil sie auf eine gute Bildung und Versorgung ihrer Kinder hofften. Nicht selten erhielten sie dafür sogar Geld.

Das zeigt: Voluntourismus ist im Bereich der Kinderbetreuung nicht nur aus pädagogischer Sicht fragwürdig, sondern kann im schlimmsten Fall sogar Kinderhandel und Kindesmissbrauch fördern.

In Australien, wo entsprechende Freiwilligeneinsätze bei jungen Highschool-Abgängern während Jahren hoch im Kurs gestanden hatten, hat dieser Missstand im vergangenen Herbst gar zu einem Verbot von Kurzeinsätzen in Waisenhäusern im Ausland geführt. Das Gesetz – das erste seiner Art überhaupt – folgte auf eine Kampagne einer breiten zivilgesellschaftlichen Allianz, der auch verschiedene NGO aus der Entwicklungszusammenarbeit angehörten.

Die australische Senatorin Linda Reynolds (heute Verteidigungsministerin), die sich für das Verbot starkmachte, wies auf die perfide List hin, die hinter solchen Voluntourismus-Angeboten stehe. Sie machten junge Leute mit hehren Absichten glauben, etwas Gutes zu tun, was sich zudem prima in den sozialen Netzwerken mit Freunden teilen lasse. Tatsächlich aber landeten sie oft in Institutionen, die Missbrauch und Kinderhandel förderten. Das mache, so Reynolds, den Voluntourismus zum «perfekten Betrug des 21. Jahrhunderts».

Anm. d. Red.: In einer früheren Version wurde der Artikel mit einer Mitarbeiterin des betreffenden Waisenhauses und einem Kind bebildert. Das Bild kann trotz Ausführungen in der Bildlegende falsch interpretiert werden. Das Sujet wurde entfernt.

Mehr von Fabian Urech (urf)