Ein erster Blick ins Gesicht eines Denisova-Menschen: So könnten unsere ausgestorbenen Verwandten ausgesehen haben

Das ganze Skelett aus einem Fingerknochen rekonstruieren? Das geht nicht. Mithilfe des Erbguts aus dem Fingerknochen eines Denisova-Mädchens haben Forscher nun aber erstmals eine gute Idee vom Aussehen dieser frühen Menschen entwickelt.

Stephanie Kusma
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Viel kennt man nicht von ihnen: Ein Knochen eines kleinen Fingers, drei Zähne und ein Unterkieferknochen mit zwei Backenzähnen – das ist alles, was man bisher als Fossilien der Denisova-Menschen identifiziert hat. Diese archaischen Menschen waren Zeitgenossen der Neandertaler und des frühen modernen Menschen: Bis auf einen stammen alle Funde aus einer Höhle in Sibirien und sind zwischen 20 000 und 100 000 Jahre alt. Den über 160 000 Jahre alten Unterkiefer, das einzige Stück, das ausserhalb Sibiriens entdeckt wurde, fanden Forscher in einer Höhle auf dem tibetischen Hochland.

Weitere Spuren hinterliessen die Denisova-Menschen zum Beispiel im Erbgut heutiger Tibeter. Diese besitzen ein «Denisova-Gen», das den Aufenthalt in grosser Höhe erleichtert. Über das Aussehen der Denisova-Menschen sagen all diese Funde jedoch nichts. Allerdings ist ihr Erbgut bekannt. Und nun haben Forscher versucht, die Anatomie der Denisova-Menschen aus der DNA-Sequenz annäherungsweise zu rekonstruieren. Ihre Ergebnisse beschreiben sie in der Fachzeitschrift «Cell».

Aus den Aktivierungsmustern ihrer Gene haben Forscher ein vorläufiges Bild eines jugendlichen Denisova-Mädchens erstellt.(Bild: Maayan Harel)

Aus den Aktivierungsmustern ihrer Gene haben Forscher ein vorläufiges Bild eines jugendlichen Denisova-Mädchens erstellt.(Bild: Maayan Harel)

Dabei schauten sie allerdings nicht auf die Gene. Von diesen auf das Aussehen zu schliessen, ist nur bei wenigen Eigenschaften überhaupt möglich und oft wenig verlässlich. Stattdessen verglichen sie die Aktivitätsmuster im Erbgut und suchten nach Stellen, die bei Neandertalern, Denisova- und modernen Menschen unterschiedlich aktiv waren. Solche Muster lassen sich auch aus fossiler DNA gewinnen, da die sogenannten epigenetischen Veränderungen am Erbgut, die an der Regulation von Genen beteiligt sind, bei ihrer Zersetzung charakteristische Spuren hinterlassen.

Dann untersuchten die Forscher, ob und welche Veränderungen die unterschiedlich aktiven Sequenzen verursachen könnten. Sie benutzten dazu eine Datenbank, in der körperliche Veränderungen bei Erbkrankheiten aufgeschlüsselt sind. So erhielten sie Hinweise darauf, ob eine verminderte Aktivität eines Erbgutabschnitts Folgen nach sich zieht, und fanden teilweise auch heraus, welche. Sie beschränkten ihre Suche auf Merkmale an Skelett und Zähnen, da die Erbinformationen, die ihnen vorlagen, aus diesen Geweben stammten.

Insgesamt identifizierten die Wissenschafter um Liran Carmel von der Hebrew University of Jerusalem 56 Eigenschaften, in denen Denisova-Menschen von Neandertalern oder modernen Menschen abwichen. So besassen sie demnach unter anderem einen verlängerten Zahnbogen und einen breiteren Kopf als die beiden anderen, hatten aber wie die Neandertaler kein Kinn, einen robusten Kiefer, eine fliehende Stirn und ein breiteres Becken als moderne Menschen.

Bereits vorher hatten Testläufe unter anderem mit Schimpansen-Erbgut ergeben, dass die Trefferquote der Methode gut war. Doch noch während sie an ihrer Studie arbeiteten, erhielten die Forscher eine viel bessere Bestätigung: Der Unterkiefer, dessen Beschreibung im Mai publiziert wurde, passte in sieben von acht Punkten zu ihren Vorhersagen.

Cell 179, S. 1–13 (2019).

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