Kann ein altes Medikament die Parkinsonkrankheit bezwingen?

Gegen neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson kann die Medizin noch wenig ausrichten. Nun machen Forscher eine interessante Beobachtung: Männer, die ein bestimmtes Prostatamittel einnehmen, scheinen seltener an Parkinson zu erkranken.

Nicola von Lutterotti
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Eine Parkinson-Patientin hält zur Stabilisierung ihre zitternde Hand. (Bild: Imago)

Eine Parkinson-Patientin hält zur Stabilisierung ihre zitternde Hand. (Bild: Imago)

Im Jahr 1817 erstmals beschrieben, lässt sich die Parkinsonkrankheit bis heute nur unzureichend behandeln. Einige ihrer Folgen, etwa das Zittern und die Steifigkeit, können die Ärzte zwar lindern. Gegen den schleichenden Verlust der Nervenzellen sind sie jedoch machtlos.

Vor diesem Hintergrund stellen die Erkenntnisse einer internationaler Forschergruppe um Mark Welsh von der University von Iowa in den USA und Lei Liu von der University in Beijing in China einen Hoffnungsschimmer dar.1 Wie sie nahelegen, könnten für andere Zwecke zugelassene Medikamente in der Lage sein, den Fortgang des neurodegenerativen Leidens aufzuhalten. Die Rede ist von Terazosin und damit verwandten Wirkstoffen, die zur Linderung der Beschwerden bei gutartiger Prostatavergrösserung verschrieben werden.

Ursprünglich an anderen Fragestellungen interessiert, hatten die Wissenschafter beobachtet, dass Terazosin indirekt – indem es ein zuckerspaltendes Enzym namens PGK1 auf Trab bringt – die Produktion des zellulären Treibstoffs ATP ankurbelt und den Zellen damit einen Energieschub verleiht.

«Da die Nervenzellen von Parkinsonpatienten einen ausgeprägten Energiemangel aufweisen, kam uns der Gedanke, dass Terazosin hier Abhilfe schaffen könnte», sagt Kumar Narayanan, ein Mitarbeiter von Welsh, auf Anfrage.

In einem ersten Schritt schauten die Forscher, was das Mittel im Gehirn von Mäusen und Ratten mit parkinsonartiger Krankheit bewirkt. Wie sie feststellten, nahm die schleppende ATP-Produktion im Gehirn der kranken Nager daraufhin merklich Fahrt auf – und zwar unabhängig davon, ob ihr Parkinsonleiden genetische Wurzeln hatte oder auf Umweltgifte zurückging. Damit verbunden kam es bei den Tieren zu einer deutlichen Verringerung der motorischen Störungen. Besonders ausgeprägt war der therapeutische Effekt von Terazosin, wenn das Mittel bereits vor Ausbruch der Erkrankung verabreicht wurde. Aber auch danach zeigte es noch heilsame Wirkungen.

Von diesen Beobachtungen ermutigt, wandten sich die Forscher dem Menschen zu. Dabei gingen sie erst der Frage nach, ob Terazosin und zwei enge Verwandte (Doxazosin und Alfuzosin) das Risiko für eine Parkinsonkrankheit möglicherweise verringern. Dazu verfolgten sie das gesundheitliche Schicksal von rund 74 000 Männern, die einen dieser drei Wirkstoffe zur Linderung ihrer Prostatabeschwerden eingenommen hatten. Das Ergebnis: Im Verlauf von durchschnittlich sechs Monaten erkrankten in diesem Kollektiv weniger Personen (0,15 Prozent) am Parkinsonsyndrom als in einer vergleichbar grossen Gruppe von Männern (0,25 Prozent), deren Prostataleiden mit einem anderen Mittel (Tamsulosin) behandelt worden war.

In weiteren Analysen gingen die Forscher dann der Frage nach, ob Terazosin und dessen Verwandte das Fortschreiten des neurodegenerativen Leidens verlangsamen. Ein Blick in die Krankenakten von 18 000 Männern, die sowohl eine Parkinsonkrankheit als auch eine gutartige Prostatavergrösserung aufwiesen, lieferte dann tatsächlich ein solches Signal. Denn wie sich zeigte, nahmen die motorischen Defizite und viele andere Parkinsonsymptome, darunter die kognitiven Einbussen und die psychischen Störungen, bei den mit Terazosin, Doxazosin und Alfuzosin behandelten Männer weniger rasch zu als bei jenen, die Tamsulosin erhalten hatten.

In einer weiteren Studie wollen Welsh und seine Kollegen nun prüfen, ob sich ihre Beobachtungen bestätigen lassen. Zu hoffen bleibt, dass dies der Fall ist und bald schlagkräftigere Waffen gegen die Parkinsonkrankheit zur Verfügung stehen.

1 Journal of Clinical Investigation, Online-Publikation vom 16. September 2019.

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