Mark Spörrle © Vera Tammen

Guten Morgen,

was ist das Wort unserer Bundeskanzlerin wert? Im Wahlkampf hatte Angela Merkel noch erklärt, Deutschland werde sein Klimaschutzziel bis 2020 schaffen: "Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen." Nachdem nun im Laufe der Sondierungen zur Regierungsbildung bekannt wurde, dass Union und SPD planen, sich von dem Ziel zu verabschieden, den Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, hagelt es heftige Kritik; auch aus dem Norden. Robert Habeck, Hoffnungsträger der Grünen aus Schleswig-Holstein, warf den Sondierern vor, den Klimaschutz zu vernachlässigen. "Wer kämpft in der großen Koalition für den Kohleausstieg oder für eine wirkliche Verringerung des CO2-Ausstoßes, auch im Verkehr? Da ist niemand, den ich kenne." Umso bedenklicher in Zeiten, in denen ein Herr namens Trump tut, als wäre Umweltschutz allenfalls ein krudes Hobby einiger Spinner. Hat sich in den letzten 30, 40 Jahren in den Köpfen auch deutscher Politiker wirklich so wenig getan?

Nächstes Urteil in einem G20-Prozess: Das Amtsgericht Hamburg hat einen 28-Jährigen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, der bisher höchsten Strafe im Zusammenhang mit den Krawallen während des Gipfeltreffens. Der Mann hatte nach der "Welcome to Hell"-Demonstration am 6. Juli einer Bierflasche den Boden abgeschlagen, das gefährliche Wurfgeschoss auf Polizisten geschleudert und einen an der Hand verletzt. Mit dem Urteil gegen den Angeklagten, der 16 Vorstrafen haben soll und sich auch zu einem noch ungeklärten, zehn Jahre zurückliegenden "Tötungsdelikt" bekannte, ging das Gericht deutlich über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus.

Und die Wirtschaft im Norden muss aufholen. Dringend! Bei seinem Neujahrsempfang wies der Spitzenverband der norddeutschen Wirtschaft, UV Nord, auf die größer werdende "Wachstumslücke" zwischen Nord- und Süddeutschland hin: Der Anteil Süddeutschlands am Bruttoinlandsprodukt der alten Länder stieg seit 1970 von 31 Prozent auf fast 40 Prozent; in Norddeutschland ging er dagegen von 20 auf 17 Prozent zurück. Die "Nordländer" müssten unter anderem in Wirtschaft und Wissenschaft viel enger zusammenarbeiten, sagte Verbandspräsident Uli Wachholtz, die öffentliche Infrastruktur müsse besser ausgebaut werden. Und damit meinte er nicht nur Straßen, Schienen, Wasser- und Luftverkehr. Denn hört, hört: Künftiger Wachstumstreiber sei nicht mehr so stark wie bisher der globale Handel, so Wachholtz sondern Bildung und Digitalisierung. Wenn man sich also nur mal vorstellt, man würde all das für die Elbvertiefung (die andere!) vorgesehene Geld einfach in Schulen, Kitas und Hochschulen und das Internet stecken ...

Fehlten, um zum Süden aufzuschließen zwecks Motivation und Erbauung der Werktätigen, nur noch ein paar zusätzliche Feiertage. Der Vorsitzende des DGB Nord, Uwe Polkaehn, forderte am Dienstag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur mal wieder mehr Tempo für wenigstens einen zusätzlichen freien Tag: Es gebe enormen Nachholbedarf gegenüber Bayern und anderen Bundesländern.

Elbphilharmonie: Ein Renditetraum?

Wer einmal in einer Verkaufsschlange für Elphi-Tickets gestanden hat, ahnt es längst: Das Konzerthaus am Hafen boomt. Jeder will rein – oder drauf! Allein rund 850.000 Konzert- und mehr als 4,5 Millionen Plaza-Besucher beehrten die Elbphilharmonie bisher, was sich 365 Tage nach der Eröffnung auch in Zahlen – schwarzen, wohlgemerkt – niederschlägt. Der neue kulturelle Leuchtturm der Stadt hat nach vorläufigem Ergebnis schon im ersten Geschäftsjahr ein Plus gemacht, das sogar die Stadt überrascht hat: 542.000 Euro. Gerechnet hatte die Hamburg Musik gGmbH mit weitaus weniger, nämlich mit 1000 Euro. "Im Vorfeld wurde eher etwas konservativer prognostiziert. Es konnte ja auch kein Mensch ahnen, wie das Haus ankommt", formuliert es Pressesprecher Tom R. Schulz. Und auch bei der Elbphilharmonie und Laeiszhalle Betriebsgesellschaft rollt der Euro. Mehr Hallenvermietungen als erwartet haben aus einem erwarteten Minus von einer knappen halben Million Euro einen Gewinn von 374.000 Euro gemacht! Die Elbphilharmonie sei ein enormer Publikumserfolg, stellte wenig überraschend auch Kultursenator Carsten Brosda fest. "Sowohl beim Konzertkartenverkauf, den Vermietungen und bei der Anzahl der Plazabesucher wurden unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen." Vor allem die Zahl der Letzteren könnte in Zukunft aber beträchtlich sinken. Schließlich hat die Stadt die Kostenfreiheit des Plaza-Besuchs zunächst nur bis Sommer 2018 festgelegt. Ob Besucher trotz der guten Zahlen demnächst für den Ausblick blechen müssen, sei "eine rein politische Entscheidung", sagt Schulz. Er ist sich aber sicher: Das eingenommene Geld wird nicht in bauliche Maßnahmen investiert (liebe Damen: dahin die Hoffnung auf mehr Toiletten ...). Und eins wird sich in der kommenden Saison ändern: das Publikum. Denn während im ersten Jahr die Devise "Hamburger first" war, werden in Zukunft mehr Tickets in Reisepaketen von Drittanbietern à la "Drei Tage Hamburg inklusive Schnellkochtopf und Elbphilharmonie-Besuch" verkauft werden. (Übrigens: Mehr zur Elbphilharmonie finden Sie ab morgen in der ZEIT:Hamburg.)

Senat droht Kita-Netzwerk mit dem Verfassungsgericht – ohne Chance?

Muss eine Volksinitiative darlegen, wie ihr Anliegen finanziert werden soll? Nein, sagt das Kita-Netzwerk Hamburg, das mit seiner Forderung nach mehr Erziehern in Hamburgs Kitas dem Senat auf die Pelle rückt. Doch, behauptet Rot-Grün. Kein Wunder: Setzt sich die Volksinitiative durch, muss der Senat Geld in die Hand nehmen – geschätzte 350 Millionen Euro pro Jahr, die er nicht eingeplant hat. Knifflig, denn es gibt ja auch noch die Schuldenbremse. Also sollen die fordernden Bürger selbst das Problem lösen. "Wenn jemand sagt, es soll im großen Umfang mehr Geld ausgegeben werden, muss man aus unserer Sicht auch sagen, woher es genommen wird", erklärt Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks auf Nachfrage. Auch die unliebsame Frage, wo Geld gestrichen werden soll, müsse die Volksinitiative beantworten. Das sieht der Rechtswissenschaftler Ulrich Karpen anders. "Meine zehnjährige Erfahrung in der Bürgerschaft sagt mir: Es ist unmöglich, für jedes Vorhaben gleich einen Deckungsvorschlag zu machen." Dafür sei der Haushalt viel zu komplex. Kosten abzuwägen sei außerdem Aufgabe der gewählten Politik. "Von einer Volksinitiative kann man das nicht erwarten." Tjarks beharrt trotzdem darauf: "Wenn die Initiative nicht beidreht, wird das dem Verfassungsgericht vorgelegt werden müssen", erklärt er. Laut Karpen eine schwache Drohung. Die Richter müssten schließlich auf Grundlage des Gesetzes urteilen. Und dort steht: "Einem Gesetzentwurf oder einer anderen Vorlage [...] soll ein Deckungsvorschlag beigefügt werden." Das sei zu wenig, meint der Jurist: "Eine Soll-Bestimmung reicht nicht aus, um dem Senat vor dem Verfassungsgericht eine Chance zu geben."

Sozialwohnungen in bester Lage

120 Sozialwohnungen im Verhältnis zu zehn frei vermieteten – was bis 2022 in Ottensen entstehen soll, klingt wie ein Wunschtraum von Sozialverbänden und Mietrechtsorganisationen. Verwirklichen will ihn die Genossenschaft Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) an der Friedensallee 128. Sollten Sie jetzt Haare raufend vor dem Bildschirm sitzen, sind Sie bestimmt vom Fach. So ein Filetgrundstück! Das ließe sich richtig teuer vermarkten! Stimmt schon, sagt Altoba-Sprecherin Silke Kok. Aber: "Wir sind kein renditeorientiertes Unternehmen, sondern der Wohnraumversorgung unserer Mitglieder verpflichtet." Von wegen also, in den städtischen Toplagen entstünden nur Penthäuser für Geldanleger und reich geerbte Singles. Genossen und solche, die es werden wollen, könnten sich jetzt schon eintragen in die Liste der Mietinteressenten – wer auf eine der 120 Wohnungen zu rund 6,40 Euro pro Quadratmeter hofft, braucht freilich einen §5-Schein. Dennoch bleibt das Wohnquartier an der Friedensallee nicht vorrangig Menschen mit weniger Geld vorbehalten. Insgesamt sollen auf dem bisherigen Grundstück der Rheinmetall Immobilien GmbH 420 Wohnungen entstehen, jeweils ein Drittel davon öffentlich gefördert, frei vermietet und frei verkäuflich. Ein weiterer Bauherr ist schon bekannt: Die Handwerkergenossenschaft "Kolbenwerk" will die historische Halle 7 sanieren und mit Gewerbeflächen die Geschichte des Handwerks an der Friedensallee fortsetzen.

Babysitter für Lieferroboter gesucht

Manche führen Hunde aus, andere Roboter. Dahinter steckt keine neumodische Freizeitbeschäftigung, sondern das Startup Starship Technologies mit Hauptsitz in den USA, das mit seinen voll automatisierten Robotern den Lieferservice revolutionieren will. In Hamburg waren die Roboter – auch 6D9 genannt – bereits für ein Pilotprojekt des Paketdiensts Hermes, aber auch für Foodora und Domino’s für Lieferungen bis zur Haustür unterwegs. Allerdings nie allein. Die Stadt hat zwar eine Ausnahmeregelung für die kleinen Lieferanten erteilt, die ein wenig an R2D2 aus "Star Wars" erinnern und bis zu zehn Kilogramm transportieren können, allerdings mit der Auflage, dass sie beaufsichtigt werden müssen. Deswegen läuft, witzig, aber wahr, immer noch ein Mensch mit: der "Robot-Handler", der im Notfall eingreifen kann. Dabei geht es weniger darum, den Roboter auf sechs Rädern vor schelmischen oder räuberischen Passanten zu bewahren, sondern um die Verkehrssicherheit. "Gute 120.000 Kilometer waren die Roboter in mehr als 100 Städten weltweit unterwegs, und das unfallfrei", sagt uns Hendrik Albers, der die Hamburger Büros von Starship leitet. Haben die Roboter den menschlichen Babysitter also überhaupt nötig? "Sie würden das Ausliefern auch allein schaffen", meint Albers. Jetzt weitet das Unternehmen sein Geschäftsfeld auf das Eimsbüttler Gebiet rund um die Osterstraße aus und liefert auch für kleinere Geschäfte wie Apotheken und Blumenläden aus. Robot-Handler werden noch gesucht. "Wetterfest und kommunikativ müssen sie sein", so Albers. Erinnert an den Lieferanten aus Fleisch und Blut, oder?

"Mein Wunsch für Hamburg"

Aale-Dieter © aaledieter.de

von Aale-Dieter

"Ich bin jetzt seit 59 Jahren auf’m Fischmarkt, wenn ich und meine Kollegen arbeiten und die Touristen bei uns stehen und zuhören, ist das manchmal wie am Theater. Jedes Jahr kommen 70.000 Leute hierher, und ich wünsche mir, dass sie weiter Freude daran haben, sich zu begegnen, miteinander zu kommunizieren und einzukaufen. Dieses wunderbare Panorama an der Elbe muss erhalten bleiben, der Fischmarkt ist ein Aushängeschild für Hamburg, deswegen muss er gepflegt werden und einen guten Mix an Händlern behalten. Die Hamburger als solches sollten außerdem weltoffen und tolerant bleiben."

Dieter Bruhn, genannt Aale-Dieter, ist Fischhändler und steht seit 1959 jeden Sonntag mit seinen Fischen auf dem Hamburger Fischmarkt in Altona

Mittagstisch

Was geht

Goethes Nachwuchs: Acht Minuten, eine Bühne, zahlreiche "Eidelstedter Poeten". Lokale Nachwuchsautoren kommen bei der offenen Lesung mit Prosa und Poesie zu Wort, gesungen, gedichtet, gelesen. Zwischen den Beiträgen klingt ein Klavier. Wer will noch mal, wer hat noch nicht?

Eidelstedter Bürgerhaus, 19 Uhr, Anmeldung der Poeten ab 18.30 Uhr, Eintritt frei

Twist mit Suzie: Wenn Zeitzeugen der Sechziger und eine junge Rockröhre aufeinandertreffen, kehrt der Beat zurück – das zumindest ist die Idee hinter Suzie and the Seniors. Im himmelblauen Anzug nicken die Herren mit Saxofon und Co. zu Klassikern der Beatles, Rolling Stones und Beach Boys. "Suzie" alias Patricia Stegemann springt derweil im Lederdress auf der Bühnenkante herum. "Twist and shout!"

Engelsaal, Valentinskamp 40–42, 19.30 Uhr, ab 20 Euro

Was bleibt

Abenteuer Auswandern: Wen hält es noch in Thüringen, wenn die weite Welt winkt? Die Sonderausstellung "Lebe wohl Heimat, Amerika ruft" erzählt von Abenteuern des Auswanderns im Thüringen des 19. und 20. Jahrhunderts. Schüler und Wissenschaftler erfassten dafür über 70.000 Datensätze. Drei Jahre lang forschten sie zu den Thüringer Staaten, über die Beweggründe der Menschen, ihre Strapazen auf der Reise und das Leben in der neuen Heimat.

Auswanderermuseum BallinStadt, Veddeler Bogen 2, Ausstellung bis zum 7.2., täglich 10–16.30 Uhr

Hamburger Schnack

Meine Stadt

Unsere Stadt soll schöner werden! © Petra Andresen

Das war sie wieder, die Elbvertiefung. Wollen Sie uns Ihre Meinung sagen, wissen Sie etwas, über das wir berichten sollten? Schreiben Sie uns: elbvertiefung@zeit.de

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Morgen lesen wir uns wieder, wenn Sie mögen!

Ihr Mark Spörrle

 

PS: Gefällt Ihnen unser Letter, leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an unter www.zeit.de/elbvertiefung. Dann schicken wir Ihnen die neue Elbvertiefung, solange Sie wollen, immer montags bis freitags ab 6 Uhr.